Des Flavius Josephus kleinere Schriften (Selbstbiographie — Gegen Apion — Über die Makkabäer). Übersetzt und mit Anmerkungen versehen Dr. Heinrich Clementz. Halle a. d. S. Verlag von Otto Hendel. Digitized by Gck gle Original from NEW YORK PUBLIC LIBRARY □ 3 ” 6 ' by Google Original fj^rtr NEW YORK PUBLIC LIBRARY Des Flavius Josephu Selbstbiographie. TFT ” ” T vn dt..; i i-i-v..«., i ASTO*. LFNOX AND“ TILD N F 01) N DAT IONS. 1 1 R 1914 , L | Go -gle Vorbemerkung. Die Selbstbiographie schrieb Josephus, um sich gegen die Beschuldigungen zu verteidigen, welche Justus von Tiberias 1 und andere gegen ihn erhoben hatten. Man warf ihm nämlich vor, eine Reihe von Thatsachen, zumal solche, die seine Statthalterschaft in Galilaea betrafen, wissentlich verschwiegen oder verfälscht zu haben. Justus von Tiberias- insbesondere hatte wie Josephus eine Ge- schichte des Jüdischen Krieges 2 3 herausgegeben und darin seine Angriffe gegen den Befehlshaber von Galilaea ver- öffentlicht. Dieses Werk ist nicht auf uns gekommen; wir vermögen deshalb nicht zu sagen, wie der Verfasser seine Anklagen zu beweisen versucht hat. Einige der- selben müssen wohl nicht ganz unbegründet gewesen sein was daraus hervorgeht, dass der mittlere, wichtigste Teil der Selbstbiographie, der vornehmlich der Widerlegung 1 Vergl. über ihn : Creuzer, Studien und Kritiken, 1853, S. 57 — 59, und besonders: Bärwald, Flavius Josephus in Galilaea etc., S. 20 — 26. Die letztere Schrift giebt übrigens einen dankenswerten Kommentar zur Selbstbiographie des Josephus, wenn man sich auch mit den darin enthaltenen Ausführungen Uber Agrippa II., Joannes von Gischala und Josephus (letzterer wird schlankweg als Verräter gebrandmarkt) nicht durchgängig einverstanden erklären kann. 3 Als Teil seines Gesamtwerkes: IIep\ ’IouSouüjv ßaatXecov ttov ev rote «m’pfiaaiv (Ueber die gekrönten Könige der Juden). Dass Justus ausser dieser Chronik, die bis Trajan reichte, noch eine besondere Geschichte des Jüdischen Krieges verfasst habe, wie Müller (Des Fl. Jos. Schrift gegen den Apion, S. 6) annimmt, ist eine durch nichts bestätigte Vermutung. Photius (9. Jahrh. n. Chr.) , dem die Chronik noch Vorgelegen hat, hezeiebnet deren Stil als kurz und gedrängt, fügt aber hinzu, Justus habe eine Menge der wichtigsten Begeben- heiten übergangen und namentlich in Bezug auf den Krieg der Römer gegen die Juden und die Zerstörung Jerusalems erdichtetes Zeug vorgebracht (Phot. bibl. cod. 33). dienen sollte, in merklicher Aufregung und stellenweise sogar in offenkundiger Verlegenheit geschrieben ist. Dem Zweck der Biographie entsprechend ist der in diesem mittleren Teil behandelte Lebensabschnitt, weil er sich auf die Statthalterschaft in Galilaea bezieht, am ausführlichsten geschildert, und so mag die Schrift nicht unpassend als Anhang zur Geschichte des Jüdischen Krieges aufgefasst werden. Was die Zeit betrifft, in der das Werkchen geschrieben wurde, so ergiebt sich aus Abschnitt 66, wo der 101 n. Chr. erfolgte Tod Agrippas II. vorausgesetzt wird, dass die Abfassung erst nach diesem Ereignis, also im Jahre 102 oder 103 n.Chr. stattgefunden hat. Im übrigen ist die flott geschriebene Biographie ohne weitere vorgängige Erläuterungen verständlich. 1. Ich habe einen Stammbaum aufzuweisen, der nicht unberühmt ist, sondern bis in die ältesten Priester- familien zurückreicht. Bekanntlich gründet sich der Adel bei dem einen Volk auf diese, bei dem anderen auf jene Voraussetzung, und so wird bei uns als Kenn- zeichen vornehmer Geburt die Zugehörigkeit zur Priester- schaft angesehen. Übrigens leite ich meine Abstammung nicht nur aus priesterlichem Geschlecht, sondern — was viel besagen will — sogar aus der ersten der vierund- zwanzig Klassen und zwar aus der vornehmsten Familie derselben her. Mütterlicherseits bin ich auch könig- lichem Geblüt entsprossen; denn die Asamonäer, die Vorfahren meiner Mutter, sind während eines beträcht- lichen Zeitraumes Hohepriester und Könige unseres Volkes gewesen. Mein Stammbaum ist folgender: Mein Urahn Simon mit dem Beinamen Psellos lebte um die Zeit, als ein Sohn des Hohepriesters Simon, derselbe, der zuerst unter den Hohepriestern den Namen Hyrkanus trug, das hohepriesterliche Amt bekleidete. Simon Psellos hatte neun Söhne. Einer von diesen, Matthias, des Ephlias Sohn genannt, heiratete die Tochter des Hohepriesters Jonathas, der zuerst von den Asamonäern die Hohe- priesterwürde an sein Haus brachte und dessen Bruder Simon gleichfalls Hohepriester war, und erhielt von ihr im ersten Jahre der Regierung des Hyrkanus einen Sohn, Matthias mit dem Beinamen „der Bucklige.“ Des letzteren Sohn war Joseph, geboren im neunten Regierungsjahre Alexandras, und von Joseph ward im zehnten Jahre der Regierung des Königs Archelaus Matthias gezeugt. Der Sohn 8 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. dieses Matthias bin ich selbst, geboren im ersten Jahre der Herrschaft des Caesars Gajus. Ich habe wiederum drei Söhne, von denen der älteste, Hyrkanus, im vierten, Justus im siebenten, und Agrippa im neunten Jahre der Regierung des Imperators Vespasianus das Licht der Welt erblickte. Indem ich so meinen Stammbaum, wie ich ihn in den amtlichen Urkunden vorfand, veröffent- liche, sehe ich mit Verachtung auf diejenigen hinab, die mich verleumden wollen. 2. Mein Vater Matthias war aber nicht bloss um seines Adels, sondern noch mehr um seiner Gerechtigkeit willen ein hervorragender Mann und deshalb in unserer Hauptstadt Jerusalem allgemein geachtet. Mit meinem leiblichen Bruder Matthias gemeinsam erzogen, eignete ich mir einen hohen Grad von Bildung an, und man glaubte von mir, dass ich die anderen an Gedächtnis und Verstand überträfe. So kam es, dass ich schon als Knabe von etwa vierzehn Jahren meiner Wissbegierde wegen von jedermann gelobt wurde, und dass selbst die Hohepriester und Vornehmen der Stadt mich besuchten, um eine besonders gründliche Auslegung des Gesetzes von mir zu erfahren. Im Alter von sechzehn Jahren fasste ich den Entschluss, unsere Sekten zu prüfen, deren es, wie ich des öfteren 1 auseinandergesetzt habe, drei giebt: Pharisäer, Sadducäer und Essener. Ich glaubte nämlich dadurch die beste herausfinden zu können, dass ich sie alle kennen lernte. Unter harten Abtötungen und zahlreichen Mühseligkeiten durchlief ich die drei Sekten, und als ich dann meinen Wissensdrang noch immer nicht für befriedigt hielt, wurde ich der eifrige Schüler eines gewissen Banus, der, wie ich vernahm, in der Wüste lebte, Kleider von Baumrinde trug, wildwachsende Kräuter ass und zur Reinigung sich öfters am Tage wie in der Nacht mit kaltem Wasser wusch. Bei ihm brachte ich drei Jahre zu und kehrte, nachdem meine Absicht erreicht war, in die Stadt zurück. Im neunzehnten 1 J. A. XIII, 5, 9 ; Jüd. Krieg II, 8. Selbstbiographie. 0 Lebensjahre begann ich dann die öffentliche Laufbahn als Anhänger der Pharisäersekte, welche den griechischen Stoikern nahe kommt. 1 3. Mit dem vollendeten sechsundzwanzigsten Lebens- jahr unternahm ich eine Reise nach Rom aus folgender Veranlassung. Um die Zeit, als Felix Landpfleger von Judaea war, 2 liess derselbe einige mir sehr befreundete Priester, wackere und ehrenwerte Männer, einer ganz unbedeutenden Ursache wegen verhaften und schickte sie nach Rom, wo sie sich vor dem Caesar verantworten sollten. In der Absicht nun, zu ihrer Befreiung das meinige beizutragen, besonders aber, weil ich erfuhr, dass sie auch im Unglück die Ehrfurcht gegen Gott nicht ausser acht liessen und sich von Feigen und Nüssen ernährten, fuhr ich nach Rom, hatte aber zur See schwere Gefahren zu bestehen. Unser Schiff nämlich sank mitten auf dem Adriatischen Meere unter, und wir mussten, fast sechshundert an der Zahl, die ganze Nacht hindurch schwimmen. Endlich gegen Tagesanbruch kam uns durch Gottes Fürsorge ein Fahrzeug aus Kyrene zu Gesicht, in welches ich nebst einigen anderen, die den übrigen vorausgeschwommen waren, im ganzen etwa achtzig, auf- genommen wurde. So ward ich gerettet und kam nach Dikaearchia, welches die Italiener Puteoli nennen und wo ich bei Aliturus gastliche Aufnahme fand. Dieser Mann, ein geborener Jude, war Schauspieler und stand bei Nero in hoher Gunst. Durch ihn wurde ich mit der Gemahlin des Caesars, Poppaea, bekannt und trug ihr nun sogleich die Bitte um Freilassung der Priester vor. Sie gewährte mir denn auch diese Gnade, und nachdem ich obendrein noch reichlich von ihr beschenkt worden war, kehrte ich nach Hause zurück. 4. Hier fand ich das Feuer des Aufruhrs schon am glimmen und musste die Wahrnehmung machen, dass 1 Der stoische Monotheismus war aber in Wirklichkeit Pan- theismus, und zwar ein recht materialistisch gefärbter. 2 53—61 n.Chr. 10 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. gar viele sich mit dem verwegenen Plane trugen, von den Römern abzufallen. Ich versuchte nun die Empörer zu beschwichtigen und auf andere Gedanken zu bringen, indem ich ihnen vorstellte, mit wem sie es aufnehmen wollten und dass sie den Römern nicht nur an Kriegs- erfahrung, sondern auch an Glück nachstehen würden: sie möchten daher nicht so leichtfertig und sinnlos über Vaterland, Familie und sich selbst die äusserste Gefahr herauf beschwören. So sprach ich und drang eifrig in sie, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, weil ich voraussah, dass der Krieg für uns in der schrecklichsten Weise enden würde. Glauben aber fand ich nicht» denn der Wahnsinn der Verzweifelten überstieg alles Mass. 5. Schliesslich musste ich fürchten, durch derartige Reden den Hass der Menge sowie den Argwohn auf mich zu laden, als hielte ich es mit den Feinden, und demzufolge von den Empörern ergriffen und getötet zu werden. Ich zog mich daher, weil die Antonia bereits genommen war, ins Innere des Tempels zurück. Nach der Ermordung des Manaem und der Anführer des räuberischen Gesindels aber schlich ich mich wieder aus dem Heiligtum hinaus und hielt mich zu den Hohepriestern und den einflussreichsten Pharisäern. Unsere Besorgnis hatte übrigens schon einen hohen Grad erreicht; sahen wir doch das Volk in Waffen, uns selbst aber in gänz- licher Ratlosigkeit und ausser stände, dem Aufruhr Ein- halt zu thun, während uns die offenkundigste Gefahr bedrohte. Zum Schein stimmten wir deshalb dem Vor- haben der Empörer bei, rieten aber zur Mässigung, da wir hofften, Gessius 1 werde binnen kurzem mit bedeu- tender Truppenmacht heranziehen und den aufständischen Bewegungen ein Ende machen. 6. Er kam denn auch, wurde aber in einem Treffen geschlagen und verlor eine Menge seiner Leute. Diese 1 Statt Gessius ist nach Jild. Krieg II, 19 hier wie im folgenden zu lesen: Cestius. Selbstbiographie. 11 Niederlage des Gessius war das Verderben unseres ganzen Volkes. Den Kriegslustigen schwoll darob der Kamm, und im Vollgefühl ihres Sieges über die Römer hofften sie, dieselben vollends vernichten zu können. Hierzu kamen als treibendes Moment noch andere Vorfälle, die 6ich folgendermassen abspielten. Die Bewohner der be- nachbarten syrischen Städte ergriffen die bei ihnen an- sässigen Juden und metzelten sie samt Weibern und Kindern ohne jeden stichhaltigen Grund nieder: denn die Ärmsten batten weder an Abfall von den Römern gedacht, noch gegen die Syrer etwas feindseliges im Schilde geführt. Am gottlosesten und grausamsten trieben es die Bürger von Skythopolis. Als sie nämlich von - den auswärtigen Juden* angegriffen wurden, zwangen sie deren Stammesgenossen , die unter ihnen lebten , gegen diese zu den Waffen zu greifen, was nach unseren Ge- setzen ein Frevel ist, und überwanden mit ihrer Hilfe die Angreifer. Kaum aber hatten sie gesiegt, als sie die Treue gegen ihre Mitbewohner und Kampfgenossen ver- gassen und dieselben samt und sonders ermordeten, viele tausend an der Zahl. Ein gleiches Schicksal traf die Juden zu Damaskus. Doch diese Vorgänge habe ich in meinem Werke über den Jüdischen Krieg ausführlicher besprochen ; hier erwähne ich sie nur flüchtig, um dem Leser zu beweisen, dass die Juden den Krieg gegen die Römer nicht mit Vorbedacht unternommen haben, sondern grössten teils dazu gezwungen wurden. 7. Als die Männer, welche zu Jerusalem an der Spitze standen , nach dem Siege über Gessius sahen , dass die Räuber samt den Empörern stark bewaffnet waren, be- gannen sie zu furchten, sie möchten diesen ihren Feinden unterliegen, wenn sie selbst unbewaffnet blieben. In der That hat sich später gezeigt, wie begründet die Besorgnis war. Um diese Zeit erfuhren sie auch, dass noch nicht ganz Galilaea von den Römern abgefallen sei, vielmehr ein Teil des Landes sich ruhig verhalte. Sie schickten mich daher nebst zwei anderen höchst wackeren Priestern, Joazar und Judas, dorthin mit dem Auftrag ab, die 12 Des Flaviua Josephus kleinere Schriften. Übelgesinnten zur Niederlegung der Waffen zu bereden und ihnen klar zu machen , dass es besser sei, wenn nur der kräftigste Teil des Volkes sich derselben bediene. Unsere Partei nämlich war wohl entschlossen, für den Notfall die Waffen bereit zu halten, wollte jedoch zu- nächst ab warten, was die Römer thun würden. 8. Mit diesen Aufträgen also kam ich nach Galilaea. Hier fand ich die Sepphoriten in grosser Unruhe wegen ihrer Vaterstadt, die von den Galiläern einesteils wegen ihrer Freundschaft für die Römer, andernteils weil sie mit Cestius Gallus, dem Statthalter von Syrien, einen Vertrag abgeschlossen hatte, mit Plünderung bedroht wurde. Sogleich aber befreite ich sie insgesamt von ihrer Furcht, indem ich das ihnen feindlich gesinnte Volk günstig für sie stimmte und ihnen sogar die Er- laubnis gab, so oft sie wollten, ihre Verwandten zu be- suchen, welche in Dora, einer phoenicischen Stadt, bei Gessius als Geiseln sich befanden. Die Bewohner von Tiberias dagegen traf ich bereits in bewaffnetem Aufruhr, der sich aus folgender Ursache entwickelt hatte. 9. Drei Parteien gab es in der Stadt. Die erste be- stand aus lauter angesehenen Männern mit Julius Capellus an der Spitze. Dieser Capellus und sein Anhang, näm- lich Herodes, des Miaros Sohn, Herodes, des Gamalos Sohn, und Kompsos, der Sohn des Kompsos, dessen Bruder Krispos früher einmal Statthalter unter Agrippa gewesen war, jetzt aber auf seinen Gütern jenseits des Jordan weilte, rieten zur Treue gegen die Römer und den König, und nur Pistos liess sich, da er leicht erreg- baren Gemütes war, von seinem Sohne Justus aufhetzen und trat der Meinung jener Männer nicht bei. Die zweite Partei, die sich aus dem niedersten Pöbel zusammensetzte, war entschieden für den Krieg. An der Spitze der dritten Partei endlich stand des Pistos Sohn Justus, der sich zwar den Anschein gab, als sei er inbetreff etwaigen kriege- rischen Vorgehens noch unschlüssig, gleichwohl aber eine Änderung der bestehenden Verhältnisse herbeiwünschte, weil er bei einem solchen Umsturz seine eigene Macht Selbstbiographie. 13 zu begründen hoffte. In dieser Absicht trat er unter die Volksmenge und suchte derselben begreiflich zu machen, dass ihre Stadt von jeher zu Galilaea gehört habe und zu den Zeiten ihres Gründers, des Tetrarchen Herodes, der Sepphoris unter Tiberias gestellt, die erste Stadt im Lande gewesen sei. Diesen Vorrang habe sie auch unter König Agrippa dem Vater nicht eingebüsst, sei vielmehr im Besitz desselben geblieben bis auf Felix, den Landpfleger von Judaea. Jetzt erst, behauptete er, sei sie ihres Vorzuges verlustig gegangen, seit Nero sie dem jüngeren Agrippa zum Geschenk gemacht habe. Schnell sei nun Sepphoris, nachdem es sich den Römern unterworfen, die Hauptstadt Galilaeas geworden, und Tiberias habe den königlichen Hof sowie das Archiv verloren. Mit diesen und ähnlichen Reden gegen den König Agrippa suchte er das Volk zum Aufstand zu reizen und schloss dann folgendermassen : Jetzt sei es an der Zeit, zu den Waffen zu greifen, die Galiläer als Kampfgenossen heranzuziehen — denn gern würden diese, welche die Sepphoriten wegen deren Treue gegen die Römer längst hassten, ihnen folgen — und sich durch einen mit grosser Heeresmacht unternommenen Kriegszug an dem Könige zu rächen. Durch solche Vorstellungen gelang es ihm denn auch, sich die Menge geneigt zu machen; denn er war in der That ein ge- wandter Volksredner und verstand es, die begründetsten Ein würfe durch Trug und Täuschung zu widerlegen. Auch hatte er sich griechische Bildung angeeignet, und das gab ihm den Mut, gleichfalls die Geschichte dieses Krieges zu verfassen, freilich nur, um durch seine Schrift die Wahrheit zu verdrehen. Doch ich werde noch im Verlauf meiner Darstellung über das lasterhafte Leben dieses Mannes reden und darthun, wie er in Gemein- schaft mit seinem Bruder das Vaterland an den Rand des Verderbens brachte. Damals also bewog Justus seine Mitbürger, die Waffen zu ergreifen, und nachdem er viele gegen ihren Willen mitzuthun gezwungen hatte, zog er mit der ganzen Rotte aus und äscherte die Dörfer 14 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. der Gadarener und Hippener ein , welche auf der Grenze des Gebietes von Tiberias und Skythopolis lagen. 10. So standen damals die Dinge in Tiberias; in Gischala aber begab sich folgendes. Als Joannes, der Sohn des Levi, dort bemerkte, dass einige seiner Mit- bürger auf Abfall von den Körnern sannen, suchte er sie zu beruhigen und riet ihnen, treu zu bleiben, konnte aber trotz aller Bemühungen nichts erreichen. Die Be- völkerung der Umgegend nämlich, die Gadarener, Ga- barener, Soganäer und Tyrier, fielen mit grosser Streit- macht über Gischala her, nahmen die Stadt im Sturm und kehrten erst, nachdem sie dieselbe in Brand gesteckt und geschleift hatten, wieder heim. Joannes aber er- grimmte darüber, bewaffnete die Leute, die er auf bringen konnte, zog gegen die erwähnten Nachbarn zu Felde und baute dann Gischala nicht nur viel schöner wieder auf, sondern befestigte es auch zwecks künftiger Sicher- heit mit Mauern. 11. Gamala dagegen hielt den Körnern die Treue, und zwar aus folgendem Grunde. Philippus, Sohn des Jakim und Truppenführer unter König Agrippa, war wider Erwarten aus dem belagerten Königspalast in Jerusalem entkommen, geriet aber dann in Gefahr, von Manaem und dessen Banditen umgebracht zu werden. Einige Babylonier indes, die mit ihm verwandt waren und sich damals in Jerusalem befanden, hinderten die Käuber, ihren Anschlag auszuführen. Philippus hielt sich nun vier Tage in Jerusalem versteckt und entfloh am fünften, nachdem er sich, um nicht erkannt zu werden, falsches Haar aufgesetzt hatte. Er kam sodann in ein Dorf seines Gebietes nahe bei der Festung Gamala und wollte von hier aus einige seiner Untergebenen zu sich entbieten lassen. Die Gottheit aber vereitelte die Verwirklichung dieses Planes — zu seinem Glück, denn im entgegengesetzten Falle wäre er unrettbar verloren gewesen. Auf einmal nämlich ergriff ihn ein hitziges Fieber, und er schrieb nun an die Söhne des Königs Selbstbiographie. 15 Agripp a 1 sowie an Berenike 1 2 * einige Briefe, die er durch einen Freigelassenen an Varus übermittelte. Dieser Yams 8 war um jene Zeit von der königlichen Familie zum Reichsverweser ernannt worden, weil deren Mit- glieder selbst nachBerytus 4 reisten, um dort den Gessius zu empfangen. Zu seinem grossen Verdrusse aber er- fuhr Varus aus den Briefen die Rettung des Philippus: musste er doch befürchten, jetzt nach der Rückkehr dieses Mannes der königlichen Familie entbehrlich ge- worden zu sein. Er führte deshalb den Überbringer der Briefe vor das Volk, beschuldigte ihn, dieselben gefälscht zu haben, und behauptete, er habe die Nachricht, dass Philippus zu Jerusalem mit den Juden gegen die Römer Krieg führe, erfunden. Hierauf liess er ihn hinrichten. Als nun der Freigelassene nicht zurückkehrte, wusste sich Philippus dies nicht zu erklären und schickte daher einen zweiten Boten nach, um zu erfahren, was dem anderen zugestossen sei. Aber auch diesen liess Varus sogleich nach seiner Ankunft auf falsche Beschuldigungen hin ums Leben bringen. Die Syrer in Caesarea hatten übrigens seinem Stolze geschmeichelt und ihm vor- geschwindelt, Agrippa werde zur Strafe für die Übel- thaten der Juden von den Römern hingerichtet werden, und dann könne es nicht ausbleiben, dass die Herrschaft auf Varus übergehe, der ja, wie allgemein bekannt, von Königen abstamme. In der That war Varus königlichen Geblütes, nämlich ein Enkel des Tetrarchen am Libanon, Soemus. Durch solche Schmeicheleien übermütig ge- worden, unterschlug Varus die Briefe und suchte es auf jede Weise zu verhindern, dass der König deren Inhalt 1 Obgleich nirgends von einer Gemahlin Agripp&s II. die Rede ist, geht doch ans dieser Stelle hervor, dass er verheiratet war. Nolde (genealog. Tafel bei Haverkamp II zu p. 337) irrt also, wenn er ihn ayotpo$ nennt. 2 Die Schwester des Königs. 8 In der Geschichte des Jüdischen Krieges (II, 18, 6) heisst er Noarus. 4 Jüd. Krieg II, 18, 6: Antiochia. 16 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften; erführe. Demgemäss liess er alle Ausgänge bewachen, damit niemand dem König über die Vorgänge Bericht erstatten könne, und tötete sogar den Syrern zu Gefallen eine Menge Juden. Ja, er beschloss, mit den Tracho- nitern von Batanaea bewaffnet über die babylonischen Juden — wie sie hiessen — in Ekbatana 1 herzufallen. Zu diesem Zweck liess er zwölf der angesehensten Juden von Caesarea rufen und befahl ihnen , sich nach Ekba- tana zu begeben und ihren dortigen ßtammesgenossen zu sagen: Varus habe vernommen, dass sie sich gegen den König empören wollten; weil er das aber nicht glauben könne, schicke er sie, die zwölf, um sie zur Niederlegung der Waffen zu veranlassen. Leisteten sie dieser Aufforderung Folge, so werde Varus dies als Beweis ansehen, dass er mit gutem Grund dem Gerüchte keinen Glauben geschenkt habe. Ausserdem liess Varus ihnen befehlen , siebzig ihrer vornehmsten Männer zu ihm zu schicken, damit sie die gegen sie erhobenen Be- schuldigungen widerlegten. Als nun die zwölf zu ihren Volksgenossen in Ekbatana kamen, fanden sie, dass diese nicht im entferntesten an Empörung dachten, und rieten ihnen, die siebzig abzusenden. Ohne allen Arg- wohn thaten sie dies denn auch, und die Abgeordneten begaben sich mit den zwölf Gesandten nach Caesarea. Varus zog ihnen mit den königlichen Truppen entgegen und liess sie sowie die Gesandten sämtlich niedermachen ; alsdann rückte er gegen die Juden von Ekbatana aus. Einer von den siebzig aber, der entkommen war, warnte seine Mitbürger. Diese griffen sogleich zu den Waffen und zogen sich mit Weib und Kind nach der Festung Gamala zurück, indem sie die reich mit Schätzen ge- füllten Dörfer und ihre zahlreichen Viehherden preis- gaben. Nicht sobald hatte Philippus dies erfahren, als auch er sich nach Gamala begab, wo ihn gleich nach 1 Gemeint ist nicht die modische Hauptstadt E., sondern Ekbatana oder Agbatana auf dem Karmelgebirge, das heutige Haifa (yergl. Herodot 111, 64; Plinius, Xaturgesch. V, 17). Wegen der Bezeich- nung „babylonische Juden“ vergl. Jttd. Altert. XVII, 2, 1 ff. Selbstbiographie. 17 seiner Ankunft die Menge mit lautem Zuruf bestürmte, er solle den Oberbefehl übernehmen und sie gegen Varus und die Syrer von Caesarea führen; denn es ging das Gerücht, dass der König von den letzteren ermordet worden sei. Philippus aber suchte ihr Un- gestüm zu beschwichtigen, indem er sie an die Wohl- thaten des Königs erinnerte, ihnen die Macht der Römer zu bedenken gab und sie auf den Schaden hin wies, den sie sich durch den Krieg mit einem so gewaltigen Volke zuziehen würden. Sobald aber der König erfuhr, dass Varus im Sinne habe, die vielen tausend Juden zu Cae- sarea samt Frauen und Kindern an einem Tage um- zubringen, sandte er ihm sogleich, wie ich schon anderswo berichtet habe, 1 einen Nachfolger in der Person des Aequus Modius. Auf diese Weise erhielt Philippus die Festung Gamala und deren Umgebung in der Treue gegen die Römer. 2 12. Als ich nun nach Galilaea kam und von diesen Vorgängen Kunde erhielt, erbat ich mir in einem Schreiben an das Synedrium zu Jerusalem Verhaltungs- befehle. Meine Vorgesetzten forderten mich auf, zu bleiben und in Gemeinschaft mit meinen Amtsgenossen, falls diese dazu bereit wären, für den Schutz Galilaeas Sorge zu tragen. Allein meine Mitgesandten, die sich von dem ihnen zustehenden Zehnten schon ein grosses Vermögen gesammelt hatten, waren anfangs entschlossen, in die Heimat zurückzukehren ; schliesslich jedoch bewog ich sie durch meine Bitten zu dem Versprechen, wenigstens so lange zu bleiben, bis wir eine ordentliche Verwaltung eingerichtet hätten. Ich begab mich nun mit ihnen von Sepphoris nach einem Dorfe Namens Bethmaus, 3 welches vier Stadien von Tiberias entfernt liegt, und beschied dorthin den Rat und die vornehmsten Einwohner von Tiberias. Sie kamen denn auch, und Justus mit ihnen. 1 Jtid. Krieg II, 18, 6. Vergl. Jost, Geschichte der Juden II, Anhang, S. 88 ff. a Vgl. hierzu Bärwald, a. a. O. S. 36 ff. 8 Dieses Dorf bt heute unbekannt. Joaephus, Kleinere Schriften. ä 18 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. Sogleich erklärte ich ihnen, dass ich samt meinen Ge- nossen vom Synedrium zu Jerusalem beauftragt sei, ihnen zur Pflicht zu machen, dass der von dem Te- trarchen Herodes erbaute, mit Tierbildern geschmückte Palast niedergerissen werde, weil unsere Gesetze eine solche Bauart untersagten; ich ersuche sie daher, dieser Aufforderung so schnell wie möglich zu entsprechen. Zunächst sträubten sich Capellus und die Häupter der Bürgerschaft energisch dagegen, doch gaben sie endlich unseren dringenden Vorstellungen nach. Jesus indes, der Sohn des Sapphias, von dem ich schon erwähnte, dass er sich an die Spitze einer Rotte von Matrosen und vermögenslosen Volkes gesetzt hatte, kam uns zu- vor und steckte in Verbindung mit einigen Galiläern den ganzen Palast in Brand, weil er sich grosser Schätze zu bemächtigen hoffte, da er die Decken einiger Ge- mächer vergoldet sah. Sehr wider unseren Willen ge- lang es ihm denn auch, vieles zu rauben. Wir selbst waren übrigens nach der Zusammenkunft mit Capellus und den angesehenen Bewohnern der Stadt von Beth- maus nach Obergalilaea gegangen. Jesus und dessen Rotte ermordeten nun alle in Tiberias wohnenden Griechen und jeden anderen, der vor dem Kriege ihr Feind gewesen war. 13. Die Nachricht von diesen Ereignissen regte mich gewaltig auf. Ich begab mich nun nach Tiberias hinab und suchte die königlichen Geräte in Sicherheit zu bringen, so viele ihrer den Händen der Räuber noch zu entreissen waren , insbesondere einige Leuchter aus korinthischem Erz, prächtige Tische und eine ansehn- liche Menge ungeprägten Silbers. Ich war entschlossen, alles, was ich retten konnte, für den König aufzu- bewahren. Zu diesem Zweck Hess ich zehn Mitglieder des Rates sowie Capellus, den Sohn des Antyllus, rufen, und übergab ihnen die Gerätschaften mit dem Befehl, sie an niemand als an mich selbst abzuliefern. Von hier ging ich mit meinen Amtsgenossen nach Gischala zu Joannes, um seine Gesinnung zu erforschen. Gar j ^ Selbstbiographie. 19 bald merkte ich, dass er auf Empörung ausging und nach der Herrschaft trachtete; denn er bat mich um die Erlaubnis, das Getreide, welches für Rechnung des Caesars in Obergalilaea aufgespeichert lag, wegschaffen zu dürfen. Wie er sagte, wollte er das alles zum Bau der Mauern seiner Vaterstadt verwenden. Da ich aber sein Inneres durchschaute, schlug ich ihm die Bitte ab. Es lag nämlich in meiner Absicht, das Getreide ent- weder für die Römer aufzubewahren oder für mich selbst, letzteres, weil ich vom Gemeindevorstand zu Jerusalem bevollmächtigt war, auch für die Bedürfnisse jener Gegend Sorge zu tragen. Als nun Joannes von mir nichts er- langen konnte, wandte er sich an meine Amtsgenossen. Diesen freilich fiel es nicht ein, sich für die Zukunft vorzusehen; übrigens waren sie auch für Geldgeschenke sehr empfänglich. Infolgedessen brachte er es durch Bestechung dahin, dass sie ihm alles Getreide, welches in seinem Gebiet aufgeschüttet lag, zu nehmen erlaubten. Von zweien überstimmt, musste ich schweigen. Darauf beging Joannes noch einen anderen Betrug. Er be- hauptete nämlich, die Juden in Caesarea Philippi, welche auf Befehl des königlichen Statthalters die Stadt nicht verlassen durften, hätten, weil es ihnen an dem nötigen reinen Öl fehle, an ihn die Bitte gerichtet, ihnen solches zu verschaffen, damit sie nicht gezwungen seien, von den Griechen hergestelltes Öl zu gebrauchen und auf diese Weise das jüdische Gesetz zu übertreten. Diese von Joannes vorgebrachten Äusserungen hatten indes nichts mit der Religion zu schaffen, sondern entsprangen offenbar nur seiner schnöden Gewinnsucht. Er wusste nämlich sehr wohl, dass in Caesarea zwei Sextare 1 eine Drachme 2 kosteten, während in Gischala achtzig Sextare nur vier Drachmen galten. Darum liess er alles öl von hier hinüberschiffen, nachdem er zum Schein meine Er- laubnis eingeholt hatte. Denn freiwillig gab ich es 1 Ein Sextar = Vs Liter. 5 Eine Drachme = 79 Pfg. 2 * Go gle 20 Des Flavlus Joseph as kleinere Schriften. nicht zu, sondern nur aus Furcht vor dem Pöbel, weil ich besorgen musste, bei fortgesetzter Weigerung gesteinigt zu werden. Dank meiner Nachgiebigkeit gewann Joannes durch diese verschmitzte Handlungsweise eine Unmenge Geld. 14. In Gischala entliess ich meine Mitgesandten nach Jerusalem und verwandte nun meine ganze Sorgfalt auf die Beschaffung von Waffen und die Befestigung der Städte. Zu diesem Zweck beschied ich die Tapfersten von der Räuberbande zu mir, weil ich die Unmöglich- keit, sie zu entwaffnen, einsah, und bewog das Volk, sie in Sold zu nehmen, indem ich darauf hin wies, dass es besser sei, ihnen freiwillig etwas zu zahlen, als Hab und Gut von ihnen plündern zu lassen. Hierauf liess ich die Räuber schwören, unser Gebiet nicht mehr be- treten zu wollen, es sei denn, dass sie gerufen würden oder ihren Sold nicht empfangen hätten, und entliess sie mit dem Befehl, weder die Römer noch die Nach- barn anzugreifen. Es lag mir nämlich vor allem am Herzen, Galilaea den Frieden zu erhalten. Die gali- laeischen Beamten aber — etwa siebzig an der Zahl — erkor ich unter dem Schein der Freundschaft, um sie gewissermassen als Geiseln der Treue in meiner Nähe zu haben, zu Begleitern und Gerichtsbeisitzern und fällte meine Urteile nach ihrer Ansicht, wobei ich mich ebenso sehr vor leichtsinnigen Verstössen gegen das Recht als vor Bestechung hütete. 15. Ich war damals dreissig Jahre alt, und bekannt- • lieh ist es in diesem Alter selbst bei gewissenhaftester Enthaltsamkeit schwer, aus Neid entspringenden Ver- leumdungen zu entgehen, zumal wenn man eine einfluss- reiche Stellung bekleidet. Gleichwohl habe ich das weibliche Geschlecht stets vor Misshandlungen geschützt und als Mann ohne Bedürfnisse jegliches Geschenk zurückgewiesen. Nicht einmal die mir als Priester ge- bührenden Zehnten nahm ich an, wenn man sie mir brachte. Nur von der Beute, welche ich den Syrern und den umliegenden Städten abjagte, eignete ich mir Selbstbiographie. 21 einen Teil an und sandte ihn — ich gestehe es offen — meinen Verwandten nach Jerusalem. Und obwohl ich die Sepphoriten zweimal, Tiberias viermal, Gadara ein- mal und den Joannes, der mir stets nach dem Leben trachtete, ebenfalls zu wiederholten Malen in meine Gewalt bekam, habe ich mich doch weder an ihm noch an einer der genannten Städte gerächt, wie der Verlauf dieser Erzählung darthun wird. Deshalb hat mich auch, wie ich glaube, Gott, dem rechtschaffene Handlungen nicht verborgen bleiben, aus ihren Händen errettet und nachher noch vor manchen Gefahren bewahrt. Doch hiervon später. 16. Die Galiläer kamen mir übrigens mit solchem Wohlwollen entgegen, dass sie selbst dann, als ihre Städte erstürmt und ihre Weiber und Kinder in die Sklaverei geschleppt waren, nicht so sehr über ihr eigenes Unglück jammerten, als um meine Erhaltung Sorge trugen. Das aber sah Joannes mit neidischen Blicken, und in seiner Tücke schrieb er an mich, ich möchte ihm erlauben, die warmen Bäder von Tiberias 1 behufs Herstellung seiner Gesundheit zu benutzen. Ich ahnte nichts arges dabei und gewährte ihm die Bitte, schrieb sogar an die von mir eingesetzten Beamten der Stadt, sie sollten für Joannes und sein Gefolge eine Herberge bereit halten und ihnen alles zukommen lassen, dessen sie bedürften. Ich selbst befand mich um diese Zeit in einem galilaeischen Dorfe mit Namen Kana. 17. Kaum war Joannes in Tiberias angelangt, als er die Einwohner der Stadt aufforderte, mir untreu zu werden und mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Viele lauschten denn auch begierig seinen Worten, da sie neuerungssüchtig und von Natur zu Umsturz und Empörung geneigt waren. Vor allen anderen aber be- eilten sich Justus und dessen Vater Pistos, von mir 1 S. die Anmerkung auf Seite 294 meiner Uebersetzung des , Jüdischen Krieges“. 22 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. abzufallen und sich mit Joannes zu verbinden. Doch es gelang mir, ihnen zuvorzukommen und die Ausführung ihres Planes zu vereiteln. Silas nämlich, den ich, wie schon erwähnt, 1 zum Kommandanten von Tiberias er- nannt hatte, liess mich durch einen Boten von der Stimmung der Einwohnerschaft in Kenntnis setzen und mich auffordern, eiligst zu kommen, weil die Stadt, wenn ich zögerte, leicht in fremde Gewalt geraten würde. Als ich den Brief des Silas gelesen hatte, brach ich unverzüglich mit zweihundert Mann auf, marschierte die ganze Nacht hindurch und sandte einen Boten voraus, um meine Ankunft in Tiberias melden zu lassen. Frühmorgens nahte ich mich der Stadt; das Volk kam mir entgegen, und auch Joannes war dabei. Er begrüsste mich in höchster Verwirrung, eilte aber dann schnell wieder in seine Herberge zurück, weil er fürchtete, die Entdeckung seiner Umtriebe möchte ihn das Leben kosten. Sowie ich nun die Bennbahn er- reicht hatte, entliess ich meine Leibwächter bis auf einen und behielt ausser ihm nur zehn Bewaffnete bei mir. Alsdann stellte ich mich auf eine kleine Anhöhe und warnte das Volk vor einem so übereilten Abfall. Ihr Wankelmut, sagte ich, werde ihnen nur Schande ein- tragen und sie auch bei späteren Statthaltern in den begründeten Verdacht bringen , dass sie diesen ebenso wenig die Treue halten würden wie mir. 18. Noch hatte ich nicht ausgesprochen, als einer von meinen Leuten mir zurief, ich möchte herabsteigen: es sei jetzt nicht an der Zeit, mich um das Wohlwollen der Bürger von Tiberias zu kümmern, vielmehr solle ich an meine Rettung denken und Zusehen, wie ich meinen Feinden entrinnen könne. Sobald nämlich Joannes gemerkt hatte, dass ich nur von wenigen Dienern umgeben war, hatte er die zuverlässigsten seiner Be- waffneten, deren etwa tausend sein Gefolge bildeten, ab- gesandt, um mich zu ermorden. Schon kamen die Leute 1 Jüd. Krieg II, 21, 6. Selbstbiographie. 23 heran, und sie hätten auch sicherlich ihren Auftrag voll* streckt, wenn ich nicht samt meinem Leibwächter Jakobus von der Anhöhe hinabgesprungen wäre. Ein gewisser Herodes aus Tiberias bot mir nun hilfreiche Hand und führte mich an den See, wo ich ein Fahr- zeug bestieg. So gelang es mir wider Erwarten, meinen Feinden zu entgehen und mich nach Tarichaea 1 zu retten. 19. Als die Einwohner dieser Stadt von der Treu- losigkeit der Tiberienser hörten, entrüsteten sie sich aufs heftigste, griffen zu den Waffen und bestürmten mich, sie gegen Tiberias zu führen, an dessen Bewohnern sie ihren Äusserungen gemäss für ihren Statthalter Rache nehmen wollten. Zugleich Hessen sie die Kunde von dem Geschehenen in ganz Galilaea verbreiten, um die Bevölkerung gegen Tiberias aufzureizen, und dieselbe auffordern, so zahlreich wie möglich herbeizukommen, um die Beschlüsse des Statthalters auszuführen. Wirk- lich strömten auch viele Galiläer von allen Seiten her zusammen und beschworen mich, vor Tiberias zu rücken, die Stadt im Sturm zu nehmen, sie dem Erdboden gleich zu machen und die Weiber und Kinder als Sklaven zu verkaufen. Dasselbe rieten mir auch meine Freunde, die aus Tiberias entkommen waren. Allein ich. konnte ihnen nicht beipflichten, weil ich es für frevelhaft hielt, den Bürgerkrieg zu beginnen. Weiter als zu einem Wortstreit, meinte ich, solle es nicht kommen — „und obendrein,“ sagte ich zu den Galiläern, „würde dies keinen Vorteil bringen, da die Römer nur darauf warten, dass ihr euch durch Aufruhr gegenseitig zu Grunde richtet.“ Mit diesen Worten beschwichtigte ich die wütende Aufregung der Galiläer. 20. Joannes, der seine Anschläge misslungen sah, fürchtete nun für sich selbst, brach mit seinen Bewaff- neten von Tiberias auf und zog nach Gischala. In 1 In den „Jüd. Altertümern“ und im „Jiid. Kriege“ heisst die Stadt Taricheae. 24 Des Flavius Josephos kleinere Schriften. einem Briefe, den er an mich schrieb, entschuldigte er sich wegen des Vorgefallenen, indem er behauptete, es sei nicht mit seinem Willen geschehen. Zugleich bat er mich unter eidlichen Beteuerungen und schrecklichen Beschwörungen, durch die er seinem Schreiben Glauben zu verschaffen wähnte, ich möchte doch keinen Verdacht gegen ihn hegen. 21. Die Galiläer jedoch, deren unterdessen noch viele aus der ganzen Landschaft in Wehr und Waffen sich eingefunden hatten, wussten zu gut, wie schlecht und eidbrüchig der Mensch war, und verlangten gegen ihn geführt zu werden, um ihn samt seiner Vaterstadt Gischala vom Erdboden zu vertilgen. Ich dankte ihnen für ihren guten Willen und gelobte, ihre Anhänglichkeit in noch höherem Grade zu vergelten , forderte aber zugleich Mässigung von ihnen und Nachsicht, wenn ich es vor- ziehen würde, die Unruhen ohne Blutvergiessen zu stillen. Auf diese Weise gelang es mir, die Galiläer zu beruhigen, und ich begab mich nun nach Sepphoris. 22. Da die Bewohner dieser Stadt entschlossen waren, den Römern treu zu bleiben, fürchteten sie sich vor meiner Ankunft und versuchten, mich durch ander- weitige Geschäfte abzulenken, damit sie selber unbehelligt blieben. Sie schickten daher zu dem Räuberhauptmann Jesus in die Gegend von Ptolema'is und versprachen ihm eine grosse Summe Geldes, wenn er uns mit seiner achtzig Mann starken Bande angreifen wolle. Jesus ging auf das Anerbieten ein und schickte sich an, uns, unvor- bereitet und ahnungslos wie wir waren, zu überfallen. In dieser Absicht bat er mich durch einen Boten um die Erlaubnis, mich begrüssen zu dürfen. Als ich ihm nun ohne jedes Misstrauen die Bitte gewährte, brach er sogleich mit seiner Rotte von Banditen auf und rückte gegen mich heran. Sein heimtückischer Anschlag aber sollte ihm nicht gelingen; denn als er schon ziemlich nahe war, kam ein Überläufer von ihm zu mir und ent- deckte mir seine Bosheit. Alsbald begab ich mich nun nach dem Marktplatz, ohne merken zu lassen, dass ich Selbstbiographie. 25 um den Anschlag wisse, zog eine beträchtliche Anzahl bewaffneter Galiläer und auch Tiberienser heran, gebot sodann, alle Zugänge zur Stadt aufs strengste zu be- wachen, und gab den Thorwächtern Befehl, nur den Jesus, wenn er käme, sowie die ersten seiner Leute ein- zulassen, die übrigen aber auszuschliessen oder, wenn sie Gewalt brauchten, wegzujagen. Sie thaten, wie ihnen befohlen war, und als Jesus mit einigen Banditen ein- trat, forderte ich ihn auf, schleunigst die Waffen zu strecken: er sei des Todes, wenn er nicht Folge leiste. Da er sich rings von Bewaffneten umgeben sah, ge- horchte er voller Schrecken ; diejenigen seiner Leute aber, welche ausgeschlossen waren, flohen davon, als sie seine Gefangennahme erfuhren. Ich nahm nun Jesus beiseite und eröffnete ihm, dass ich den Plan, den er gegen mich geschmiedet, sehr gut kenne und auch wisse, wer ihn dazu angestiftet habe. Dennoch wolle ich ihm das Ge- schehene verzeihen, wenn er seinen Sinn ändere und mir Treue gelobe. Er versprach denn auch, sich fügen zu wollen, worauf ich ihn freiliess und ihm erlaubte, seine Mannschaft wieder zu sammeln. Den Sepphoriten aber drohte ich mit entsprechender Strafe, wenn sie ihre Wider- setzlichkeit nicht aufgäben. 23. Um dieselbe Zeit kamen zwei angesehene Unter- thanen des Königs aus der Landschaft Trachonitis mit Pferden, Waffen und Geld zu mir. Die Juden wollten sie anfangs nötigen, sich beschneiden zu lassen, wenn sie es mit ihnen zu halten gedächten. Ich litt jedoch nicht, dass man ihnen Gewalt anthat, sondern erklärte, jeder Mensch müsse Gott nach eigener freier Wahl, nicht ge- zwungen verehren, und nie dürften Leute, welche ihre Zuflucht zu uns nähmen, in die Lage kommen, ihren Schritt zu bereuen. Dem pflichtete die Menge bei, und ich liess sodann die Ankömmlinge aufs reichlichste ver- pflegen. 24. Unterdessen hatte der König Agrippa eine Heeres- abteilung unter dem Befehl des Aequus Modius ab- geschickt, um die Festung Gamala zu erobern. Weil 26 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. aber diese Truppen sich zur regelrechten Einschliessung des Kastells nicht stark genug fühlten, besetzten sie die Landstrassen und belagerten Gamala auf diese Weise. Zur selben Zeit brach der Decurio Aebutius, dem die Bewachung der grossen Ebene anvertraut war und der in Erfahrung gebracht hatte, dass ich in das Dorf Simo- nias 1 auf der Grenze Galilaeas, sechzig Stadien von ihm entfernt, gekommen sei, in der Nacht mit hundert Reitern und etwa zweihundert Fusssoldaten , deren Befehlshaber er war, sowie mit den Bürgern von Gaba, seinen Bundes- genossen, auf und gelangte noch vor Tagesanbruch bis zu dem Dorfe, wo ich mich einquartiert hatte. Da ich nun meinerseits eine ziemliche Streitmacht ihm entgegen- stellte, suchte Aebutius uns in die Ebene zu locken, wo er sich auf seine Reiterei verlassen konnte, vermochte uns aber nicht zum Verlassen unserer Stellung zu be- wegen. Ich erkannte nämlich sehr wohl, dass er mit seinen Reitern im Vorteil sein würde, wenn wir in die Ebene hinabstiegen, da wir lauter Fusstruppen waren. Deshalb beschloss ich, den Feind auf der Stelle anzu- greifen. Eine Zeitlang hielt Aebutius mit seinen Leuten wacker stand; als er aber sah, dass ihm auf diesem Terrain seine Reiterei nichts nütze, zog er unverrichteter Sache nach Gaba zurück, nachdem er drei Mann im Gefecht verloren hatte. Ich folgte ihm mit zweitausend Schwerbewaffneten auf dem Fusse nach. Bei Besara, 2 einer Stadt an der Grenze des Gebietes von Ptolemais, zwanzig Stadien von Gaba, wo Aebutius sich aufhielt; liess ich meine Leute halt machen und befahl ihnen, die Wege sorgfältig zu bewachen, damit die Feinde uns nicht überfallen könnten, während wir das Getreide weg- führten. Die Prinzessin Berenike nämlich hatte aus den umliegenden Dörfern grosse Fruchtvorräte zusammen- bringen und in Besara aufspeichern lassen. Dieses Ge- 1 Auf einer Hügelreihe im Norden der Ebene Jezreel gelegen, das heutige Dorf Semünieh. 2 Heute unbekannt. Selbstbiograpbie. 27 treide lud ich nun auf Kamele und Esel, die ich in grosser Anzahl mitführte, und schickte es nach Galilaea. Nachdem dies geschehen, forderte ich den Aebutius zum Gefecht heraus. Er aber liess sich, erschreckt durch unsere Kühnheit und unseren Kampfeseifer, darauf nicht ein, und so wandte ich mich denn gegen Neapolitanus, der, wie ich vernahm, das Gebiet von Tiberias aus- plünderte. Dieser Neapolitanus befehligte eine Reiter- schwadron, mit welcher er Skythopolis gegen feindliche Angriffe verteidigen sollte. Alsbald that ich nun seinen ferneren Verheerungen in der Gegend von Tiberias Ein- halt und richtete mein Augenmerk wieder auf Galilaea. 25. Als nämlich Joannes, der Sohn des Levi, der sich, wie oben gesagt, in Gischala aufhielt, erfuhr, dass mir alles nach Wunsch gehe und dass ich bei meinen Untergebenen ebenso beliebt als den Feinden ein Schrecken sei, ward ihm gar nicht wohl zu Mut: in meinem Glücke glaubte er seinen Untergang sehen zu müssen, und von massloser Eifersucht gequält, hoffte er mich stürzen zu können, wenn es ihm gelänge, mich bei meinen Unter-* gebenen verhasst zu machen. Zu diesem Zweck ver- suchte er die Bewohner von Tiberias und Sepphoris sowie auch von Gabara — den drei grössten Städten in Gali- laea — zum Abfall von mir und zu einem Bündnis mit ihm zu verleiten; er werde sie, behauptete er, besser als ich zum Kampfe führen. Die Sepphoriten nun wollten weder von ihm noch von mir etwas wissen , weil sie die Römer als ihre Herren anerkannten ; die Tiberienser Hessen sich zwar nicht zum Abfall bereden, sagten ihm aber doch ihre Freundschaft zu; die Gabarener dagegen schlugen sich ohne weiteres auf seine Seite, da sie von Simon, dem angesehensten Bürger der Stadt und ver- trauten Freunde des Joannes, gegen mich aufgehetzt wurden. Offen freilich wollten sie sich nicht zum Auf- ruhr bekennen, denn sie fürchteten sich gewaltig vor den Galiläern, deren Ergebenheit gegen mich sie aus Erfahrung kannten; insgeheim aber erspähten sie eine günstige Gelegenheit, mich zu überfallen. Wirklich 28 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. geriet ich auch aus folgender Veranlassung in die grösste Gefahr. 26. Einige verwegene junge Leute aus Dabaritta hatten in Erfahrung gebracht, dass die Gemahlin des königlichen Verwalters Ptolemaeus 1 mit vielem Gepäck und unter Bedeckung weniger Reiter aus dem Gebiete des Königs durch die grosse Ebene in die römische Provinz zu reisen beabsichtige, und überfielen nun plötz- lich die Reisenden. Die Dame musste fliehen; was sie mit sich führte, ward samt und sonders geplündert. Hierauf brachten die Räuber vier mit Kleidern und allerhand Gerät beladene Maultiere zu mir nach Tari- chaea; auch eine beträchtliche Menge Silber und fünf- hundert Goldstücke waren dabei. Ich nahm mir nun vor, diese Schätze dem Ptolemaeus wieder zuzustellen ; denn er war mein Stammesgenosse, und überdies verbietet ja unser Gesetz, selbst Feinde zu berauben. Deshalb erklärte ich den Überbringern, die Sachen müsse man .aufbewahren , um sie zu verkaufen und mit dem Erlös die Mauern Jerusalems wiederherzustellen. Die jungen Leute aber ärgerten sich darüber, dass sie von dem Raube nicht, wie sie erwarteten, ihren Anteil bekommen sollten; sie durchzogen daher die Dörfer in der Um- gebung von Tiberias und streuten das Gerücht aus, ich wolle das Land an die Römer verraten. Es sei nur ein Kniff von mir, wenn ich sage, man müsse den Raub zum Aufbau der Mauern Jerusalems verwenden; in Wahr- heit habe ich vor, die eingebrachten Gegenstände dem Eigentümer zurückzugeben. Damit errieten sie aller- dings meine eigentliche Absicht ; denn kaum hatten sie sich entfernt, als ich zwei angesehene und als Freunde des Königs bekannte Männer, Dassion und des Levi Sohn Jannaeus, zu mir beschied und ihnen die Sachen mit dem Befehl übergab, sie dem Könige zuzusenden. Zugleich verbot ich ihnen bei Todesstrafe, etwas davon verlauten zu lassen. 1 Nach Jiid. Krieg 11,21,3 war es Ptolemaeus selbst. Selbstbiographie. 29 27. Durch ganz Galilaea verbreitete sich nun das Gerede, ich beabsichtige, das Land an die Römer zu verraten, und alles verlangte voll Erbitterung, Rache an mir zu nehmen. Sogar die Bewohner von Tarichaea schenkten den jungen Leuten Glauben und bewogen meine Leibwächter, mich, während ich schlief, zu ver- lassen und eiligst nach der Rennbahn zu kommen, wo das gesamte Volk inbetreff ihres Führers mit ihnen beschliessen wolle. Sie Hessen sich beschwätzen und kamen. In der Rennbahn hatte sich bereits eine grosse Menge versammelt, und alle schrien einstimmig, der nichts- würdige Frevler, der an ihnen zum Verräter geworden, müsse sterben. Am meisten wiegelte sie Jesus, der Sohn des Sapphias, auf, ein niederträchtiger Mensch, zur An- zettelung von Unruhen wie geschaffen, Umstürzler und Empörer wie nur wenige. Ei* nahm das moysaische Gesetz in die Hand, trat vor und sprach: „Mitbürger, wenn ihr nicht um euretwillen den Josephus hassen könnt, so schaut hier auf unser altehrwürdiges Gesetz, an welchem euer Befehlshaber zum Verräter werden wollte. Um dieses Gesetzes willen vereinigt euren Hass auf ihn und strafet ihn für sein verwegenes Beginnen.“ 28. Seine Worte riefen allgemeinen Beifall wach, und nun stürmte er an der Spitze einer Schar von Be- waffneten mordgierig nach dem Hause, wo ich wohnte. Ich hatte keine Ahnung von den Vorgängen und war, ehe der Tumult losbrach, vor Ermüdung fest ein- geschlafen. Simon aber, der allein von meiner ganzen Leibwache bei mir geblieben war, sah die Leute .daher- rennen, weckte mich und machte mich auf die drohende Gefahr aufmerksam. Er hat mich sodann , tapfer wie ein Feldherr von seiner Hand den Tod zu erleiden, bevor die Feinde eindrängen und mich fesselten oder um brächten. Ich aber verwarf seinen Vorschlag, befahl mich der Obhut Gottes und schickte mich an, mitten unter die Menge zu treten. Hierauf legte ich ein schwarzes Gewand an, band mir das Schwert an den Nacken und schlich mich auf einem anderen Wege, wo 30 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. ich keinen Feind anzutreffen hoffte, nach der Rennbahn. Als ich hier plötzlich erschien, mich zu Boden warf und die Erde mit meinen Thränen netzte, erregte ich all- gemeines Mitleid. Sowie ich diesen Wechsel in der Stimmung der Menge bemerkte, versuchte ich sie zu entzweien, ehe die Bewaffneten aus meinem Hause zurückkehrten. Ich gab zu, dass ich gefehlt hätte, wie sie selbst glaubten, bat aber, sie zunächst darüber be- lehren zu dürfen, zu welchem Zweck die geraubten Schätze auf bewahrt würden; gern wollte ich dann sterben, wenn sie es verlangten. Während nun die Menge mich aufforderte, zu sprechen, kamen die Be- waffneten herbei und wollten , wie sie meiner ansichtig wurden, über mich herfallen. Auf den Zuruf des Volkes jedoch hielten sie an sich und warteten , bis ich ein- gestehen würde, dass die Schätze für den König auf- bewahrt worden seien, um mich dann als offenkundigen Verräter niedermachen zu können. 29. Nachdem allgemeine Stille eingetreten war, sprach ich zu ihnen: „Männer, Volksgenossen, wenn ich nach dem Rechte sterben muss, so bitte ich nicht um mein Leben. Doch möchte ich vor meinem Tode euch die Wahrheit berichten. Ich hatte erfahren, wie sehr diese Stadt die Gastfreundschaft pflegt und dass sie eine Menge Leute beherbergt, die ihre Heimat verlassen haben und hierhergekommen sind, um euer Schicksal zu teilen. Darum wollte ich mit eben diesen Schätzen, deretwegen ihr mir so heftig grollt, euch Mauern bauen und das Geld ganz dazu verwenden.“ Hierauf erhoben die Tarichaeaten und deren Gäste ein Freudengeschrei, dankten mir und sprachen mir Mut ein; die Galiläer und Tiberienser dagegen verharrten in ihrem Zorn. Es entstand nun ein Zwist unter ihnen, da die einen meinen Tod verlangten, die anderen mich unbesorgt sein hiessen. Als ich aber versprach, auch in Tiberias und den übrigen Städten, wo es erforderlich sei, Mauern zu bauen, fassten sie Vertrauen zu mir und begaben eich allesamt nach Hause. So entging ich ganz unver- Selbstbiographie. 31 hofft der Gefahr und kehrte mit meinen Freunden und zwanzig Bewaffneten in meine Wohnung zurück. 30. Abermals aber kamen die Räuber und die An- stifter der Empörung, weil sie fürchteten, wegen ihrer Übelthaten von mir zur Strafe gezogen zu werden, mit sechshundert Bewaffneten vor das von mir bewohnte Haus, , um es anzuzünden. Als mir ihr Anrücken ge- meldet ward, entschloss ich mich, da ich Fliehen für schimpflich hielt, der Gefahr unverzagt entgegenzutreten. Ich gab daher Befehl , die Thüren des Hauses zu schliessen, stieg auf das Dach und rief meinen Gegnern zu, sie sollten einige Leute zu mir hereinschicken, um die Schätze in Empfang zu nehmen ; so würde sich doch wohl endlich ihre zornige Aufregung legen. Der Ver- wegenste aus der Rotte trat nun ein. Ich aber liess ihn in den entlegensten Winkel des Hauses schleppen und mit Geisselhieben zerfleischen, ihm die eine Hand ab- hauen, sie ihm um den Hals hängen und warf ihn so zur Thür hinaus. 1 Die aussen Stehenden ergriff Entsetzen und gewaltige Angst, und da sie glaubten, ich hätte drinnen eine Schar Bewaffneter, die ihnen an Zahl über- legen sei, fürchteten sie ebenso zugerichtet zu werden, wenn sie blieben, und flohen deshalb eiligst davon. Durch diese List entging ich auch der zweiten Nach- stellung. 31. Doch es fanden sich noch einmal einige, die das Volk auf hetzten, indem sie riefen, die königlichen Be- amten, die zu mir gekommen seien, dürften nicht am Leben bleiben, wenn sie nicht zum Glauben derer über- träten, bei denen sie Schutz suchten. Man verschrie sie als Giftmischer und als Leute, welche die Römer ins Land ziehen würden. Die Menge liess sich nur zu gern beschwätzen, weil die schwindelhaften Äusserungen ihr gerade passten. Sobald ich Kenntnis davon erhielt, richtete ich aufs neue die Mahnung an das Volk, man dürfe solche Leute, die bei uns Schutz gesucht, nicht 1 Vergl. die etwas abweichende Darstellung Jüd. Krieg II, 21, 5. 32 • Des Flavius Josephus kleinere Schriften. verfolgen. Die dumme Anschuldigung wegen der Gift- mischerei aber verlachte ich und stellte den Leuten vor, die Römer würden doch wohl nicht so viele tausend Soldaten halten , wenn sie ihre Feinde durch Gift be- siegen könnten. Eine Zeitlang wirkten meine Worte; kaum aber hatte sich das Volk verlaufen, als es wiederum durch boshafte Menschen gegen jene Beamten auf- gebracht wurde, und eines Tages fiel man über ihre Wohnung in Tarichaea her, um sie zu ermorden. Die Nachricht davon erfüllte mich mit Schrecken, weil ich fürchtete, dass nach einem solchen Frevel niemand mehr seine Zuflucht hierher nehmen würde. Ich begab mich deshalb mit noch einigen anderen in das Haus, ver- schloss es, liess von da einen Gang nach dem See graben , ein Schiff* heranbringen , bestieg es mit ihnen und setzte nach dem Gebiete der Hippener über. Ihre Pferde vergütete ich ihnen, weil ich dieselben bei einer solchen Flucht nicht mitnehmen konnte, und entliess sie mit der Bitte, ihr Missgeschick standhaft zu ertragen. Ich selbst war sehr ärgerlich darüber, dass ich die Leute, die mir ihre Sicherheit anvertraut hatten, wieder in Feindesland absetzen musste; doch war es mir, wenn es denn einmal sein sollte, immer noch lieber, sie durch die Hand der Römer umkommen zu sehen, als in meinem eigenen Gebiet. Zu meiner Freude aber wurden sie ge- rettet, denn König Agrippa verzieh ihnen, was sie ver- brochen hatten. So erging es diesen Männern. 32. Unterdessen hatten die Bewohner von Tiberias den König um Soldaten zur Bewachung ihres Gebietes ersucht, da sie entschlossen seien, sich ihm zu ergeben. Also schrieben sie. Sowie ich aber hin kam, baten sie mich, meinem Versprechen gemäss ihre Mauern aufzu- bauen, denn sie hätten vernommen, dass Tarichaea bereits mit Festungswerken versehen sei. Ich sagte zu und liess alles zum Bau herbeischaffen und die Arbeiter ans Werk gehen. Drei Tage jedoch, nachdem ich aus Tiberias nach Tarichaea, welches dreissig Stadien von dort entfernt liegt, abgereist war, geschah es, dass einige Selbstbiographie. 33 römische Reiter in der Nähe der Stadt gesehen wurden, was die Vermutung wachrief, das königliche Heer sei im Anmarsch. Alsbald brachen nun die Tiberienser in Lobsprüche auf den König und in Schmähungen gegen mich aus. Ein Eilbote meldete mir ihren Entschluss, abzufallen. Die Nachricht erschreckte mich heftig, denn ich hatte eben meine Soldaten von Tarichaea nach Hause beurlaubt, einmal weil der folgende Tag ein Sabbat war, und dann auch weil ich Tarichaea nicht mit Ein- quartierung belästigen wollte. So oft ich mich dort auf hielt, sorgte ich nicht einmal für eine Leibwache, da ich die Treue der Einwohner gegen mich des öfteren erprobt hatte. Ich befand mich also in grosser Ver- legenheit, da ausser meinen Freunden nur sieben Be- waffnete bei mir waren. Meine Truppen wieder zurück- zurufen, ging nicht an, weil der Tag sich schon zum Ende neigte; doch auch wenn sie kamen, durften sie am folgenden Tage nicht zu den Waffen greifen, weil unsere Gesetze dies verbieten, mag die Not auch noch so dringend sein. Wollte ich aber gegen Tiberias die Bewohner von Tarichaea und deren Gäste ins Feld führen, so ging das ebenfalls nicht, da sie, wie ich sah, nicht stark genug sein würden. Überdies musste ich fürchten, zu spät zu kommen ; denn es stand zu erwarten, dass die Streitmacht des Königs früher eintreffen und mich nicht in die Stadt gelangen lassen würde. Ich beschloss daher, eine Kriegslist zu versuchen. In dieser Absicht stellte ich sogleich die treuesten meiner Freunde an die Thore von Tarichaea mit dem Auftrag, ein wachsames Auge auf alle zu haben, die hinausgehen wollten. Alsdann rief ich die Vornehmsten der Stadt zusammen und befahl jedem von ihnen, ein Schiff bereit zu halten, es mit einem Steuermann zu besteigen und mir nach Tiberias zu folgen. Ich selbst bestieg eben- falls mit meinen Freunden und den erwähnten sieben Bewaffneten ein Boot und fuhr auf Tiberias zu. 33. Als die Tiberienser merkten, dass keine könig- lichen Truppen heranrückten, und dagegen den See voll JosephuB, Kleinere Schriften. 3 34 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. von Schiffen erbliekten, begannen sie für die Stadt zu fürchten. In ihrem Schrecken glaubten sie, die Fahr- zeuge seien vollständig bemannt, und nun schlug ihre Stimmung^ sehr bald um. Sie warfen die Waffen von sich, kamen mir mit Frauen und Kindern entgegen, empfingen mich, da sie wähnten, ich hätte von ihrer Absicht nichts erfahren, unter lauten Lobeserhebungen und baten um Schonung für die Stadt. Als ich mich etwas mehr genähert hatte, Hess ich in einiger Ent- fernung vom Lande Anker werfen, damit die Tibe- rienser nicht merkten, wie leer meine Schiffe waren. Ich selbst fuhr nun ans Ufer, schalt sie wegen ihres Un- verstandes und warf ihnen vor, dass sie so leichtsinnig und ohne jeden triftigen Grund von mir abfallen wollten, versprach ihnen aber für die Zukunft Verzeihung, wenn sie zehn von den Vorstehern der Stadt zu mir senden würden. Sie gehorchten bereitwillig und schickten die Männer, die ich alsdann nach Tarichaea einschiffen und dort bewachen liess. 34. Durch Wiederholung dieser List bekam ich nach und nach den ganzen Rat sowie eine nicht geringere Zahl angesehener Männer in meine Gewalt und schickte sie alle nach Tarichaea. Als nun die Einwohner sahen, in welch schlimme Lage sie geraten waren, baten sie mich, den Anstifter der Empörung zu bestrafen. Dieser hiess Kleitos und war ein tollkühner, verwegener Jüng- ling. Ich hielt es nun zwar nicht für erlaubt, einen Volksgenossen hinzurichten; anderseits aber sah ich auch ein, wie notwendig es sei, ein abschreckendes Bei- spiel aufzustellen. Deshalb befahl ich einem meiner Leibwächter Namens Levi, hinzugehen und dem Kleitos die eine Hand abzuhauen. Doch der Beauftragte fürchtete sich, allein unter eine so grosse Volksmenge zu treten. Um nun seine Feigheit vor den Tiberiensern zu ver- bergen, rief ich dem Kleitos zu: „Da du infolge deines Undankes gegen mich verdient hast, beide Hände zu verlieren, so werde dein eigener Henker, damit du nicht durch Ungehorsam eine noch schlimmere Strafe ver- Selbstbiogra phi e. 35 wirkst !“ Er aber bat mich inständig, ihm doch die eine Hand zu lassen, was ich ihm denn auch nach einigem Zögern zugestand. Willig fasste er nun, um nicht beide Hände zu verlieren, sein Schwert und hieb sich die linke ab. Damit hatte der Aufruhr sein Ende er- reicht. 35. Als ich nach Tarichaea zurückgekehrt war und die dort eingekerkerten Tiberienser erfuhren, welcher List ich mich gegen sie bedient hatte, wunderten sie sich, dass ich ohne Blutvergiessen ihres Unverstandes Herr geworden war. Ich liess nun einige von ihnen, darunter auch' Justus und dessen Vater Pistos, aus dem Gefängnis holen und zog sie zur Tafel. Während der Mahlzeit erklärte ich, wohl sei mir die gewaltige Macht der Römer bekannt, aber der Empörer wegen wolle ich nicht davon reden. Dann riet ich ihnen, dasselbe zu thun und den richtigen Zeitpunkt abzuwarten; auch möchten sie nicht grollen, weil ich ihr Oberbefehlshaber sei, deiin nicht leicht würden sie einen anderen be- kommen, der so viel Milde beweise wie ich. Dem Justus rief ich noch besonders ins Gedächtnis, dass die Gali- läer vor meiner Ankunft aus Jerusalem und ehe noch von Krieg die Rede gewesen , seinem Bruder wegen einer demselben zugeschriebenen Brieffälschung die Hände abgehauen, ferner dass nach dem Abzug des Philippus die Gamaliter im Kampfe gegen die Babylonier den Ohares, einen Verwandten des Philippus, getötet und dessen Bruder Jesus, den Schwager des Justus, durchaus nicht mässig bestraft hätten. 1 Nachdem ich so über Tisch mit ihnen gesprochen, gab ich am Morgen Befehl, den Justus und dessen sämtliche Begleiter aus der Haft zu entlassen. 36. Kurz vorher nämlich war Philippus, der Sohn des Jakim, aus der Festung Gamala fortgezogen, und 1 Josephus will andeuten, dass Justus allen Grund habe, die Galil&er zu hassen, und dass er gut thun würde, sich ihm anzu- schliessen. — Vor acocppövo^ ist nach Josts Vorgang ou eingeschohen. 3 * 36 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. zwar unter folgenden näheren Umständen. Philippus hatte kaum erfahren, dass Yarus vom Könige Agrippa abgefallen und dessen Nachfolger Aequus Modius, der mit Philippus schon seit langem befreundet war, an- gekommen sei, als er an diesen schrieb, ihm seine Schicksale erzählte und ihn bat, den beigeschlossenen Brief an die königliche Familie gelangen zu lassen. Modius freute sich sehr über den Empfang des Schreibens, weil er daraus ersah, dass Philippus wohlbehalten war, und sandte den Brief an die königliche Familie, die damals in Berytus weilte. Sobald nun Agrippa erkannte, dass das über Philippus umlaufende Gerücht — die Sage hatte ihn zum Anführer der Juden im Kriege gegen die Römer » gemacht — falsch sei, schickte er Reiter ab, um den Philippus an seinen Hof zu berufen. Als er angekommen war, begrüsste der König ihn huld- vollst und stellte ihn den römischen Offizieren als den Mann vor, den das Gerücht als Abtrünnigen bezeichnet habe. Sodann befahl er ihm, mit einer Abteilung Reiterei unverzüglich nach der Festung Gamala zurück- zukehren, alle seine Leute von dort abzuholen und die Babylonier wieder nach Batanaea zu versetzen. 1 Zu- gleich beauftragte er ihn, dafür zu sorgen, dass seine Untergebenen sich aller aufrührerischen Umtriebe ent- hielten. Demzufolge begab sich Philippus schnell dort- hin, um die Befehle des Königs zu vollziehen. 37. In Gamala aber hatte unterdessen Josephus, der Sohn eines heilkundigen Weibes, eine Anzahl verwegener junger Leute beredet, sich mit ihm zu erheben, und den Vorstehern der Stadt zugesetzt, dass sie vom Könige ab- fallen und die Waffen ergreifen möchten, indem er ihnen vorspiegelte , er werde ihnen die Freiheit verschaffen. Einige brachte er mit Gewalt auf seine Seite, andere, die ihm nicht beistimmten , liess er aus dem Wege räumen. Damals töteten die Gamal iter auch den Chares sowie dessen Bruder Jesus, den Schwager des Justus 1 Vergl. Abschnitt 11. Batanaea == Ekbatana. Selbstbiographie. 37 von Tiberias, wovon ich schon oben Erwähnung gethan habe. Hierauf schickten sie zu mir und verlangten militärische Hilfe sowie Leute zum Aufbau ihrer Stadt- mauern. Ich versagte ihnen keinen dieser Wünsche. Zur selben Zeit fiel die Landschaft Gaulanitis bis an das Dorf Solyma 1 vom Könige ab. Sogane und Seleukia, zwei schon von Natur sehr feste Flecken, umgab ich damals mit Ringmauern, desgleichen auch einige Dörfer in Obergalilaea, obwohl dieselben auf Felsen lagen, nämlich Jamnia, Meroth und Achabara. In Unter- galilaea befestigte ich die Städte Tarichaea, Tiberias und Sepphoris, sowie folgende Flecken: die Höhle von Arbela, 2 Bersabe, Selamin, Jotapata, Kapharekcho, Sigo, Japha und den Berg Tabor. In alle diese Plätze schaffte ich eine Menge Proviant und auch Waffen, zur Sicher- heit. für kommende Fälle. 38. Mittlerweile wuchs bei Joannes, dem Sohne des Levi, der Hass gegen mich von Tag zu Tag. Dass mir alles so gut von statten ging, ärgerte ihn nicht wenig, und da er entschlossen war, mich ganz aus dem Wege zu räumen, befestigte er seine Vaterstadt Gischala und schickte seinen Bruder Simon sowie Jonathas, den Sohn des Sisenna, mit etwa hundert Bewaffneten nach Jeru- salem zu Simon, dem Sohne des Gamaliel, um ihn auf- zufordern, dass er den Gemeindevorstand zu Jerusalem berede, mir den Oberbefehl über Galilaea abzunehmen und ihn dem Joannes zu übertragen. Dieser Simon war aus Jerusalem gebürtig, gehörte einer vornehmen Familie an und bekannte sich zur Sekte der Pharisäer, die in strenger Beobachtung der väterlishen Satzungen alle anderen übertrifft. Er war ein überaus umsichtiger und verständiger Mann und wusste durch seine Klugheit auch die schwankendsten Verhältnisse wieder ins Gleich- 1 Heute unbekannt. 2 Arbela, dem heutigen Irbid, gegenüber liegen die Felsenhöhlen von Kulat Ibn Ma’an , welche , ein natürliches Bollwerk bildend, wiederholt in Kriegszeiten eine Rolle spielten (vergl. besonders Jüd. Krieg I, 16, 2 ff.). 38 Des Flavins Josepbus kleinere Schriften. gewicht zu bringen. Als alter Freund und Vertrauter des Joannes stand er damals mit mir auf gespanntem Fuss. Aus diesem Grunde ging er auf den Wunsch des Joannes ein und beredete die Hohepriester Ananus und Jesus, den Sohn des Gamalas, sowie einige andere von derselben Partei, mir die Flügel zu stutzen und nicht zu dulden, dass ich bis zum Gipfel des Ruhmes gelange. Dass ich aus Galilaea entfernt würde, meinte er, könne ihm nur zum Vorteil gereichen. Zugleich forderte er die Partei des Ananus auf, nicht zu zögern, damit ich nicht, wenn der Plan mir zu Ohren käme, mit Heeres- macht gegen die Stadt anrücke. Diesen Rat gab Simon ; der Hohepriester Ananus indes war der Ansicht, die Sache könne doch wohl nicht so leicht abgemacht werden, denn viele von den Hohepriestern und den Vorstehern des Volkes gäben mir das Zeugnis, dass ich meinen Posten trefflich verwalte. Einen Mann aber, dem man nichts vorwerfen könne, in Anklagezustand zu versetzen, sei das Werk eines Schurken. 39. Als Ananus diese Erklärung abgegeben hatte, bat Simon ihn und die anderen, zu schweigen, damit nichts von diesen Verhandlungen unter die Leute komme. Er werde schon dafür sorgen, fügte er hinzu, dass ich sobald als möglich Galilaea räumen müsse. Hierauf beschied er den Bruder des Joannes zu sich und ersuchte ihn, dem Ananus und dessen Anhängern Geschenke zu senden ; vielleicht würden sie sich dadurch zur Änderung ihrer Gesinnung bewegen lassen. Schliesslich erreichte denn auch Simon seine Absicht: Ananus und dessen Partei liessen sich bestechen und beschlossen nun, mich aus Galilaea zu entfernen, ohne dass jemand in der Stadt davon Kenntnis erlange. Sie schickten dem- gemäss einige sowohl durch Geburt wie Gelehrsamkeit hervorragende Männer ab. Zwei von diesen, nämlich die Pharisäer Jonathas und Ananias, waren Laien, während der dritte, Joazar, der ebenfalls der Pharisäer- sekte angehörte, aus priesterlichem Geschlecht stammte. Simon endlich, der jüngste der Abgeordneten, war Mit> Selbsfcbiögraphie. o9 glied einer hohepriesterlichen Familie. Die Tier Männer hatten den Auftrag, in einer Volksversammlung die Galiläer nach der Ursache ihrer Anhänglichkeit an mich zü fragen. Gäben die Galiläer dann als Grund meine Zugehörigkeit zur Bürgerschaft Jerusalems an, so sollten sie antworten, dass auch sie alle vier von dort stammten. Beriefen sich die Leute aber auf meine genaue Kenntnis des Gesetzes, so sollten sie erklären, dass auch sie die väterlichen Satzungen kannten, und würde etwa das Volk auf meine priesterlichen Charakter Bezug nehmen, so sollten sie entgegnen, dass auch unter ihnen zwei Priester sich befänden. 40. Ausser diesen Aufträgen gaben sie dem Jonathas und seinen Genossen vierzigtausend Silberstücke aus der Staatskasse mit. Zugleich beriefen sie einen gewissen Galiläer Jesus, der, wie man hörte, mit einer Schar von sechshundert Bewaffneten nach Jerusalem gekommen war, zahlten ihm Sold für drei Monate und hiessen ihn die Gesandtschaft des Jonathas geleiten. Ausserdem schickten sie auch noch dreihundert Mann aus der Bürgerschaft mit, nachdem sie dieselben reichlich mit Geld zum Lebensunterhalt versehen hatten. Sobald diese Mannschaft, der sich noch der Bruder des* Joannes mit seinen hundert Bewaffneten anschloss, zum Abmarsch bereit war, machten sich Jonathas und dessen Mit- gesandte auf den Weg. In Bezug auf meine Person hatten sie den Auftrag, mich, wenn ich die Waffen frei- willig niederlegen würde , lebend nach Jerusalem zu schicken, wenn ich aber Widerstand leistete, mich ohne jede Scheu vor Verantwortlichkeit niederzustossen. Uebrigens hätten sie dem Joannes geschrieben, er solle sich auf einen Kampf gegen mich gefasst machen; auch war an die Bewohner von Sepphoris, Gabara und Tiberias der Befehl ergangen, den Joannes mit Hilfs- truppen zu unterstützen. 41. Von diesen Umtrieben benachrichtigte mich mein Vater; er erfuhr nämlich alles von meinem Freunde Jesus, dem Sohne des Gamalas, der bei den Verhand- 40 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. lungen zugegen gewesen war. Es kränkte mich tief, dass meine Mitbürger so undankbar sein und aus Neid meine Ermordung anbefeblen sollten ; auch empfand ich es schmerzlich, dass mein Vater in seinem Briefe mich inständig bat, zu ihm zu kommen, weil er seinen Sohn zu sehen wünsche, bevor er sterbe. Ich teilte diese Nachricht meinen Freunden mit und erklärte ihnen, dass ich in drei Tagen heimzukehren gedächte. Alle, die es hörten , zeigten sich traurig bewegt und baten mich unter Thränen, sie nicht zu verlassen: denn wenn ich nicht mehr ihr Oberbefehlshaber sei, müssten sie zu Grunde gehen. Als ich aber ihren Bitten gegenüber taub blieb und nur auf meine eigene Rettung bedacht war, schickten die Galiläer, die nach meiner Abreise den Räubern schutzlos preisgegehen zu sein fürchteten, Boten im ganzen Lande umher, um die Kunde von meinem beabsichtigten Weggang zu verbreiten. Haufenweise strömten nun aus allen Orten die Leute samt Weibern und Kindern zusammen, anscheinend nicht so sehr aus Anhänglichkeit an mich, als weil sie für sich selbst fürchteten ; denn so lange ich da war, glaubten sie vor allem Ungemach gesichert zu sein. Sie kamen samt und sonders nach Asochis in der grossen Ebene, wo ich mich damals aufhielt. 42. In jener Nacht hatte ich einen wunderbaren Traum. Als ich mich nämlich , tief betrübt und er- schüttert wegen der erhaltenen Nachricht, zu Bett gelegt hatte, schien auf einmal jemand vor mir zu stehen und zu sagen: „Tröste dich, du Trauernder, und entschlage dich aller Furcht; denn dasselbe, worüber du dich jetzt betrübst, wird dich gross machen und dir in allen deinen Unternehmungen Glück bringen. Und nicht allein deine gegenwärtige Sendung wirst du durchführen, sondern noch vieles andere. Lass also den Mut nicht sinken und denke daran , dass du mit den Römern noch Krieg führen musst!“ Nach dieser Traumerscheinung erhob ich mich, um in die Ebene hinabzugehen. Kaum aber hatten mich die Galiläer erblickt, als sich die ganze Selbstbiographie. 41 Menge, darunter auch viele Weiber und Kinder, zu Boden warf und mich thränenden Auges bat, ich möge sie doch nicht in die Gewalt der äusseren Feinde geraten lassen, noch ihr Land dem Übermut der inneren Wider- sacher preisgeben. Als jedoch ihre Bitten keinen Erfolg hatten, suchten sie mich durch Eidschwüre zum Bleiben zu bewegen. Zugleich schmähten sie in herben Worten die Gemeinde von Jerusalem, die ihnen den Frieden ihres Landes missgönne. 43. Als ich diese Klagen vernahm und die Nieder- geschlagenheit der Leute sah, ward ich von Mitleid be- wegt und erwog bei mir, dass es doch der Mühe wert sei, um einer so grossen Menschenmenge willen der augenscheinlichsten Gefahr zu trotzen. Ich versprach daher zu bleiben und befahl, dass fünftausend Bewaff- nete mit dem nötigen Proviant zu mir stossen sollten; die übrigen entliess ich nach Hause. Sobald die fünf- tausend Mann zur Stelle waren, brach ich mit ihnen sowie mit dreitausend Mann zu Fuss und achtzig Reitern, die ich schon vorher bei mir hatte, nach Chabolo, 1 einem Dorf im Gebiete von Ptolemais, auf. Dort liess ich halt machen und stellte mich , als wollte ich gegen Placidus anrücken. Dieser nämlich war auf Befehl des Cestius Gallus mit zwei Kohorten Fussvolk und einer Reiterschwadron angekommen, um die galilaeischen Dörfer in der Nähe von Ptolemais einzuäschern. Während nun Placidus vor der Stadt Ptolemais Verschanzungen auf- warf, errichtete auch ich mein Lager etwa sechzig Stadien vom Dorfe entfernt. Hierauf führten wir mehrmals unsere Streitkräfte zum Kampf heraus, doch kam es nie weiter als zu Scharmützeln. Denn als Placidus merkte, dass ich thunlichst bald schlagen wolle, wich er furchtsam zurück, entfernte sich aber nicht von Ptolemais. 44. Um diese Zeit kam Jonathas mit der Gesandt- 1 Grenzort des Stammgebietes Äser im Nordosten Palaestinas, heute das Dorf Kabul, vier Stunden südöstlich von St. Jean d’Acre. 42 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. schaft aus Jerusalem an, die, wie erwähnt, von der Partei des Simon und des Höhepriesters Ananus ab- geordnet war, und suchte mich durch Hinterlist zu fangen ; denn offen wagte er mich nicht anzugreifen. Er schrieb mir demnach folgenden Brief: „Jonathas und seine Mitgesandten aus Jerusalem entbieten dem Josephus ihren Grass. Es ist der Obrigkeit von Jerusalem zu Ohren gekommen , dass Joannes von Gischala dir oft- mals nachgestellt hat. Deshalb schickt sie uns, um ihm darüber Vorwürfe zu machen und ihn zum Gehorsam gegen dich zu ermahnen. Da wir uns nun mit dir über ein gemeinsames 1 Vorgehen beraten wollen, so ersuchen wir dich, schleunigst zu uns zu kommen, aber ohne grosses Gefolge, denn unser Dorf kann nicht viele Sol- daten aufnehmen/* So schrieben sie in zweifacher Ab- sicht: entweder hätten sie, wenn ich unbewaffnet kam, mich gefangen genommen , oder, wenn ich zahlreiche Mannschaft .mitbrachte, mich für einen Feind erklärt Den Brief brachte mir ein Reiter, ein verwegener Bursche, der einst im königlichen Dienst gestanden hatte. Es war um die zweite Stunde der Nacht , 1 und eben sass ich mit meinen Freunden und den vornehmsten Gali- läern beim Mahle, als mir ein Diener meldete, es sei ein jüdischer Reiter angekommen. Sogleich liess ich ihn hereinrafen; allein der Mensch würdigte mich keines Grasses, sondern reichte mir den Brief mit den Worten: „Das schicken dir die Gesandten aus Jerusalem. Ant- worte so schnell wie möglich, denn ich muss unverzüg- lich zu ihnen zurückkehren.“ Meine Tischgenossen staunten über die Dreistigkeit des Soldaten; ich aber lud ihn ein, Platz zu nehmen und mit uns zu speisen. Doch er weigerte sich. Unterdessen hielt ich den Brief in der Hand, wie ich ihn empfangen hatte, und setzte über andere Dinge das Gespräch mit meinen Freunden fort. Bald aber stand ich auf, entliess die anderen zur Ruhe und behielt nur vier meiner vertrautesten Freunde 1 8 Ubr abends. Selbstbiographie. 43 bei mir. Dann befahl ich einem Diener, Wein zu holen, entfaltete den Brief, ohne dass jemand es merkte, und siegelte ihn rasch wieder, nachdem ich seinen Inhalt überlesen hatte. Hierauf liess ich, den Brief fortwährend in der Hand haltend, als hätte ich ihn nicht geöffnet, dem Soldaten zwanzig Drachmen Botenlohn auszahlen. Mit vielem Dank nahm er die Silberstücke an ; ich aber schloss daraus auf seine Geldgier und sprach, um ihn an dieser seiner schwachen Seite .zu fangen , also zu ihm: „Willst du mit uns trinken, so erhältst du bei jedem Becher eine Drachme.“ Freudig ging er darauf ein, nahm, um nur recht viel Geld zu bekommen, eine Menge Wein zu sich, ward berauscht und konnte nun kein Geheimnis mehr verschweigen, sodass er ungefragt den ganzen Anschlag verriet und auch mitteilte, über mich sei der Tod beschlossen. Kaum hatte ich dies er- fahren, so schrieb ich folgendermassen zurück: „Josephus mit bestem Gruss an Jonathas und seine Gefährten. Es freut mich, zu vernehmen, dass ihr wohlbehalten in Galilaea angelangt seid, umsomehr, als ich euch die Verwaltung des Landes übergeben und nach Hause zurückkehren kann ; denn dies war schon lange mein Wunsch. Ich hätte euch nun freilich nicht bloss bis Xaloth, sondern noch weiter unaufgefordert entgegen- kommen sollen; doch es ist mir nicht möglich, und ihr wollt mich deshalb entschuldigen. Ich liege nämlich vor Chabolo, um Placidus zu beobachten, der einen Einfall in Galilaea plant Kommt also zu mir, sobald ihr diesen Brief gelesen habt. Lebt wohl.“ 46. Dieses Schreiben übergab ioh dem Soldaten zur Bestellung und sandte ihn in Begleitung von dreissig angesehenen Galiläern zurück. Letztere waren von mir beauftragt, die Gesandten zu begrüssen , ausserdem aber sich auf nichts einzulassen. Jedem von ihnen gab ich noch einen treuen Soldaten bei, der acht geben sollte, dass niemand mit Jonathas oder dessen Gefährten eine Unterredung anfange. So reisten sie ab. Als nun Jonathas und seine Kollegen den ersten Versuch mis6- Go gle 44 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. glückt sahen, schrieben sie an mich einen zweiten Brief folgenden Inhalts : „Jonathas und seine Genossen ent* bieten dem Josephus ihren Gruss. Wir fordern dich auf, innerhalb dreier Tage ohne bewaffnetes Geleit zu uns nach Gabaroth 1 zu kommen, damit wir dich über deine Beschuldigungen gegen Joannes vernehmen.“ Nachdem sie dies geschrieben und die von mir geschickten Galiläer begrüsst hatten, begaben sie sich nach Japha, dem grössten Flecken Galilaeas, der stark befestigt und dicht bevölkert war. Die Einwohner aber zogen ihnen samt Weibern und Kindern entgegen und schrien mit lauter Stimme: „Macht euch fort und lasst uns unseren wackeren Befehlshaber!“ Jonathas und seine Begleiter gerieten über dieses Geschrei in Erbitterung, wagten aber nicht, ihren Groll offen zu zeigen, und machten sich, ohne die Leute einer Antwort zu würdigen, nach anderen Dörfern auf. Überall aber empfing sie das nämliche Geschrei; niemand, hiess es, vermöge sie zu überzeugen, dass Josephus nicht mehr ihr Statthalter sein solle. Unverrichteter Sache zogen sich deshalb die Gesandten zurück und gingen nach Sepphoris, der grössten Stadt Galilaeas. Die Einwohner, welche römerfreundlich gesinnt waren, kamen ihnen zwar entgegen, äusserten jedoch über mich weder Lob noch Tadel. Als hierauf die Abgeordneten von Sepphoris nach Asochis reisten und dort wieder dasselbe Geschrei wie in Japha hören mussten, vermochten sie ihren Zorn nicht mehr zu be- meistern und liessen ihre Bewaffneten mit Knitteln auf die Schreier einhauen. In Gabara stiess dann Joannes mit dreitausend Mann zu ihnen. Da ich aber aus dem Briefe wusste, dass sie entschlossen waren, gegen mich zu kämpfen, brach ich mit dreitausend Bewaffneten von Chabolo auf, nachdem ich das dortige Lager meinem treuesten Freund unterstellt hatte, und begab mich nach Jotapata, um meinen Gegnern auf vierzig Stadien nahe zu sein. Alsdann schrieb ich folgenden Brief an sie: 1 Dasselbe wie Gabara. Selbst biographie . 45 „Wenn ihr durchaus darauf besteht, dass ich mich bei euch einfinde, so wisset, dass es zweihundertvier Städte und Dörfer in Galilaea giebt. In jeden dieser Orte will ich je nach eurem Wunsch kommen, nur nicht nach Gabara und Gischala, denn dieses ist die Vaterstadt des Joannes, jenes aber mit ihm verbündet und be- freundet“ 46. Auf diesen Brief gaben mir Jonathas und seine Genossen keine weitere Antwort, veranstalteten vielmehr eine Zusammenkunft ihrer Freunde, zu der auch Joannes zugezogen wurde, und hielten Rat wie sie mich angreifen könnten. Joannes war der Meinung, man solle in alle Städte und Dörfer Galilaeas schicken, denn in jedem Orte sei doch der eine oder andere mir abgeneigt; diese müsse man dann gegen mich, den gemeinsamen Feind, aufrufen. Komme nun ein solches Vorgehen zu stände, so solle man die Nachricht davon nach Jerusalem schicken, damit auch die dortigen Bürger, nachdem sie erfahren hätten, dass ich von den Galiläern als Feind behandelt würde, sich in gleichem Sinne aussprächen. Wenn das geschähe, würden die Galiläer, die mir noch treu seien, mich aus Furcht verlassen. Dieser Rat des Joannes gefiel den anderen ausnehmend gut Aber schon um die dritte Stunde der Nacht war ich davon durch einen gewissen Sakchaeus benachrichtigt der von ihm zu mir überging und mir den Anschlag verriet Jetzt beschloss ich, nicht länger zu zögern. Ich trug daher einem meiner erprobtesten Leute Namens JakobuB auf, mit zweihundert Mann alle Wege zwischen Gabara und dem übrigen Galilaea zu bewachen, die Wanderer aufzugreifen und sie mir zuzusenden , besonders wenn sich Briefe bei ihnen vorfanden. Ebenso schickte ich meinen Freund Jeremias mit sechshundert Mann an die Grenzen Galilaeas, um die Strassen nach Jerusalem zu beobachten, alle Reisenden, bei denen Briefe gefunden würden, festzunehmen, und die Boten selbst sogleich einzukerkern, die Briefe aber an mich gelangen zu lassen. 46 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 47. Nachdem ich diese Anordnungen getroffen hatte» liess ich die Galiläer auffordern» sich am folgenden Tage mit Waffen und dreitägigem Proviant vor Gabaroth einzufinden. Meine eigenen Soldaten teilte ich in vier Scharen, bildete aus den zuverlässigsten Leuten meine Leibwache und setzte Befehlshaber über sie, denen ich einschärfte, keinen unbekannten Soldaten mit ihren Untergebenen in Verbindung treten zu lassen. Als ich tags darauf um die fünfte Stunde nach Gabaroth kam, fand ich die ganze Ebene vor dem Dorf mit Bewaffneten gefüllt, die meinem Aufgebot zufolge als Hilfstruppen aus Galilaea zusammengeströmt waren; ausserdem lief noch eine grosse Menge Menschen aus den Dörfern herbei. Wie ich nun auf sie zuschritt und eine An* spräche an sie halten wollte, tönte mir ein lautes Freuden- geschrei entgegen, und alle begrüssten mich als Wohl- thäter und Retter des Landes. Ich dankte ihnen und ermahnte sie, niemand zu brandschatzen und nirgends zu plündern, sondern, mit ihrem Mundvorrat zufrieden, sich in der Ebene zu lagern; denn es sei mein Wunsch, den Aufruhr ohne Blutvergiessen zu dämpfen. Am nämlichen Tage schon fielen die Eilboten des Jonathas mit ihren Briefen den von mir aufgestellten Wachtposten in die Hände und wurden meinem Befehl gemäss an Ort und Stelle in Gewahrsam genommen. In den Briefen fand ich übrigens nichts als Schmähungen und Lügen, und ohne irgend jemand von ihrem Inhalt Mitteilung zu machen, entschloss ich mich zum Angriff. 48. Als Jonathas und seine Genossen meine Ankunft erfuhren, zogen sie sich mit Joannes und allen ihren Leuten in das Haus des Jesus zurück, ein hohes, turm- ähnliches Gebäude, das ganz wie eine Festung aussah. Hier versteckten sie eine Anzahl Bewaffneter, verschlossen die Thüren bis auf eine und erwarteten, dass ich gleich vom Marsche weg hereinkommen würde, um sie zu be- grüssen. Ihre Leute hatten Befehl, mich allein einzu- lassen, die übrigen aber auszusperren; auf diese Weise dachten sie mich mit leichter Mühe in ihre Gewalt zu Selbstbiograpbie. 47 bekommen. Hierin aber tauschten sie sich gewaltig, leb begab mich nämlich, da ich ihre Hinterlist merkte, gleich nach meiner Ankunft in eine Herberge, die dem Hause des Jesus gegenüberlag, anscheinend um auszu- ruhen. Alsbald gingen Jonathas und die Seinen in der Meinung, ich läge bereits im Schlaf, aufs Feld hinaus und suchten meinen Leuten einzureden , ich sei ein schlechter Anführer. Aber es kam ganz anders, als sie erwartet hatten: Denn bei ihrem Anblick erhoben die Galiläer als Zeichen ihres offenkundigen Wohlwollens gegen mich ein lautes Geschrei und empfingen die Ge- sandten mit heftigen Vorwürfen. Jonathas und seine Begleiter, riefen sie, seien gekommen, ohne dass Josephus ihnen etwas zuleide gethan, und nur in der Absicht, die Galiläer ins Verderben zu stürzen. Sie möchten also nur dahin zurückgehen, woher sie gekommen seien ; denn nie würden die Galiläer sich bereden lassen , einen anderen Statthalter als Josephus anzuerkennen. Sowie mir dies gemeldet wurde, zögerte ich keinen Augenblick mehr, hinunterzugehen, und trat urplötzlich ins Freie, um selbst zu hören, was Jonathas und seine Begleiter sagen würden. Stürmisches Freudengeschrei der ganzen Menge empfing mich, und unter Segenswünschen bezeugten sie mir ihren Dank für die bisherige Verwaltung meines Postens. 49. Dieser Vorgang flösste den Gesandten tödlichen Schrecken ein; denn sie fürchteten, von den Galiläern mir zulieb niedergehauen zu werden. Ihr erster Gedanke war der an Flucht; aber sie vermochten ihn nicht aus- zuführen, weil ich ihnen befahl, zu bleiben. So standen sie denn da, wie niedergeschmettert durch mein Wort. Hierauf ersuchte ich die Menge, mit dem Beifallsgeschrei einzuhalten, beorderte meine treuesten Soldaten an die Wege, um durch ihre Wachsamkeit einen etwaigen Über- fall von seiten des Joannes zu vereiteln, befahl den Galiläern, die Waffen in die Hand zu nehmen, damit sie nicht durch einen unvermuteten feindlichen Angriff in Unordnung gerieten, und rief nun dem Jonathas und 48 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. seinen Gefährten den Brief in Erinnerung, worin sie mir geschrieben, dass sie von dem Gemeindevorstand zu Jeru- salem geschickt worden seien , um die Streitigkeiten zwischen mir und Joannes beizulegen , . und mich auf- gefordert hatten, zu ihnen zu kommen. Während ich dies sprach, hielt ich ihnen, damit sie, durch ihre eigene Unterschrift überführt, nichts leugnen könnten, das Schreiben entgegen und fuhr dann fort: „Wenn ich dir, Jonathas, und deinen Mitgesandten vor Gericht über meinen Zwist mit Joannes Rechenschaft geben müsste, so hättet ihr doch wohl an dem Zeugnis zweier oder dreier ehrenwerten Männer, deren Leumund ihr prüfen könntet, genug, um mich von jeder Beschuldigung freizu- sprechen. Damit ihl aber wisst, dass ich die Angelegen- heiten Galilaeas recht verwaltet habe, erachte ich im Gefühle meiner Unschuld drei Zeugen für noch zu wenig, stelle euch vielmehr alle diese Männer hier als solche auf. Von ihnen müsst ihr Zeugnis über mich verlangen und dann urteilen, ob ich nicht mit aller Ehrbarkeit und Tüchtigkeit hier gewaltet habe. Euch aber, ihr Galiläer, beschwöre ich, nichts von der Wahrheit zu .verhehlen, sondern vor diesen Männern gleichwie vor Richtern zu sagen, wenn etwas nicht recht ge- schehen ist.“ 50. Noch hatte ich nicht ausgeredet, als die sämt- lichen Galiläer mich einstimmig ihren Retter und Wohl- thäter nannten, mein bisheriges Verhalten rühmten und mich aufforderten, in Zukunft ebenso zu handeln. Alle versicherten unter Eidschwur, dass ihre Frauen nicht beleidigt worden seien und dass ich keinen Menschen je gekränkt hätte. Hierauf verlas ich zwei Briefe der Gesandten, welche von meinen Wachtposten aufgefangen und an mich geschickt worden waren. Dieselben wimmelten von Schmähungen und behaupteten lügnerischerweise, ich hätte mich in Galilaea wie ein Tyrann und nicht wie ein Feldherr betragen. Ich erklärte übrigens der Versammlung, die Boten hätten mir die Briefe freiwillig übergeben; meine Gegner sollten nämlich nichts von den Selbstbiographie. 49 Wachtposten erfahren, damit sie nicht aus Furcht von fernerem Schreiben Abstand nähmen. 51. Als dies die Menge vernahm, stürmte sie in der grössten Erbitterung gegen Jonathas und dessen Mit- gesandte an, um sie niederzumachen, und sie würden ihre Absicht auch wohl erreicht haben, wenn ich ihrem Wüten nicht Einhalt geboten hätte. Dem Jonathas aber und seinen Gefährten erklärte ich, dass ich ihnen ver- zeihe, wenn sie das Vorgefallene bereuen, nach Hause gehen und ihren Auftraggebern die Wahrheit über meine Amtsführung berichten wollten. Mit diesen Worten ent- liesB ich sie, obwohl ich wusste, dass sie ihr Versprechen in keinem Punkte halten würden. Das Volk war übrigens derart gegen sie aufgebracht, dass es mich dringend bat, an den Nichts würdigen Rache nehmen zu dürfen. Ich versuchte nun alle möglichen Mittel, um sie zur Schonung der Gesandten zu bewegen, weil es mir sattsam bekannt war, dass jeder Aufruhr für das Wohl der Allgemein- heit verderblich ist. Doch die Menge bestand auf der Befriedigung ihrer Rache und drang unaufhaltsam gegen das Haus vor, wo die Gesandten abgestiegen waren. Als ich aber die zügellose Wut der Meinigen bemerkte, stieg ich zu Pferde und befahl ihnen , mir nach dem Dorf Sogane zu folgen, welches zwanzig Stadien von Gabara entfernt liegt. Durch diese List erreichte ich, dass man mir nicht den Vorwurf machen konnte, als hätte ich Anlass zum Bürgerkrieg gegeben. 62. In der Nähe von Sogane liess ich halt machen, warnte meine Leute vor leidenschaftlichen Aufwallungen und übereilten Racheakten und befahl dann, dass hundert durch Alter und Ansehen ausgezeichnete Männer sich zur Reise nach Jerusalem rüsten sollten, um dort vor dem Volke über die Unruhstifter im Lande Klage zu führen. „Gelingt es euch,“ sagte ich, „mit euren Vor- stellungen durchzudringen, so verlangt von dem Gemeinde- vorstand einen schriftlichen Befehl, der mir gebietet, in Galilaea zu bleiben, den Jonathas aber und seine Mit- gesandten zurückrüft.“ Als ich ihnen diese Aufträge Jonepha», Kleinert^te^f^iU^ 4 50 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. erteilt und sie sich eiligst zur Abreise fertig gemacht hatten, schickte ich sie am dritten Tage nach jener Ver- sammlung unter dem Geleit von fünfhundert Kriegern ab. Zugleich schrieb ich an meine Freunde in Samaria^ Bie möchten für sichere Reise meiner Abgesandten durch die Landschaft Sorge tragen. Samaria nämlich war schon von den Römern besetzt; der kürzeste Weg nach Jeru- salem aber führt durch dieses Gebiet, denn über Samaria gelangt man schon in drei Tagen von Galilaea nach der Hauptstadt. Ich selbst gab der Gesandtschaft bis zur Grenze Galilaeas das Geleit und stellte Wächter an der Landstrasse auf, damit ihre Reise nicht bemerkt würde. Alsdann nahm ich meinen Aufenthalt in Japha. 53. Als Jonathas und seine Kollegen ihre Anschläge misslungen sahen, schickten sie den Joannes nach Gischala zurück, während sie selbst in der Hoffnung, Tiberias auf ihre Seite bringen zu können, sich nach dieser Stadt begaben. Jesus nämlich, der damals oberster Beamter von Tiberias war, hatte ihnen geschrieben, dass er die Einwohner bereden wolle, die Gesandten aufzu- nehmen und gemeinsame Sache mit ihnen zu machen. Mit dieser Hoffnung also gingen sie dorthin. Ich aber erhielt sogleich Kunde davon durch Silas, den ich, wie oben bemerkt, als meinen Stellvertreter in Tiberias zurück- gelassen hatte; er forderte mich auf, schleunigst zu kommen. Alsbald erschien ich denn auch, sah mich aber gleich nach meiner Ankunft in die äusserste Lebens- gefahr versetzt, und zwar aus folgender Veranlassung. Jonathas und seine Genossen hatten bereits die Tibe- rienser bearbeitet und viele aus denen, die mir von früher her feindlich gesinnt waren, gegen mich aufgewiegelt. Als sie nun vernahmen, ich sei da, kamen sie, für ihr Leben fürchtend, sogleich zu mir. Sie begrüssten mich, wünschten mir Glück zu meiner Verwaltung Galilaeas und bekundeten ihre Freude darüber, dass mein An- sehen sich so vergrö8sert habe, da ein Teil dieser Ehre auch auf sie falle, weil sie nicht nur meine Mitbürger, sondern auch meine Lehrer seien. Auf meine Freund- Selbstbiographie. 51 schaffe, fügten sie hinzu, legten sie viel mehr Gewicht als auf die des Joannes. Sie seien zwar schon im Be- griff, nach Hause zu reisen, wollten aber noch so lange bleiben, bis sie den Joannes mir unterthan gemacht hatten. Diese Worte bekräftigten sie mit den furcht- barsten Eidschwüren, die bei uns Geltung haben, weshalb ich jedes Misstrauen gegen sie fahren liess. Schliesslich baten sie mich auch noch, ich möchte mich anderswohin begeben, weil morgen Sabbat sei; denn sie würden es nicht wünschen, dass Tiberias gerade um ihretwillen in Unruhe geriete. 54. Ganz ohne Argwohn ging ich nach Tarichaea, doch liess ich in Tiberias Spione zurück, um achtzu- geben, was über mich gesprochen würde. Auch auf dem ganzen Wege zwischen beiden Städten hatte ich eine Anzahl Leute aufgestellt, damit sie mir durch Meldung der Nachricht von einem zum anderen mitteilten, was sie von den Spionen in Tiberias erführen. Am folgenden Tage versammelten sich alle im Bethause, einem sehr geräumigen Gebäude, das eine Menge Menschen fasste. Jonathas, der zuerst auftrat, hatte zwar nicht den Mut, das Wort „Abfall“ offen auszusprechen, erklärte aber, dass die Stadt einen besseren Anführer haben müsse. Jesus dagegen, der Vorsteher, enthüllte seine geheimsten Gedanken. „Mitbürger,“ sagte er, „es ist besser, dass wir vier Männern gehorchen als einem. einzigen, zumal solchen, die durch Abstammung und Einsicht gleich aus- gezeichnet sind.“ Damit meinte er die Gesandten. Als- dann erhob sich Justus, trat der Meinung des Jesus bei und gewann einige aus dem grossen Haufen. Die Mehr- zahl jedoch war mit diesen Reden nicht zufrieden, und es wäre wohl sicher zum Aufruhr gekommen, hätte nicht der Eintritt der sechsten Stunde, um welche Zeit wir das Sabbatmahl nehmen müssen, die Versammlung be- endigt. Jonathas und seine Genossen verschoben nun die weiteren Verhandlungen auf den folgenden Tag und begaben sich unverrichteter Sache in ihre Wohnung. Als mir dieser Vorgang gemeldet wurde, entschloss ich 52 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 1 mich, am anderen Morgen in der Frühe nach Tiberias zu gehen. Um die erste Stunde traf ich daselbst ein und fand die Bürger bereits im Bethause versammelt, ohne dass sie gewusst hätten, zu welchem Zweck sie be- rufen worden waren. Jonathas und seine Gefährten erschraken heftig über meine unerwartete Ankunft, ge- rieten aber schnell auf den Einfall, das Gerücht auszu- streuen, man habe in der Nachbarschaft, dreissig Stadien vor der Stadt, auf der sogenannten Homonoia 1 römische Reiter gesehen. Auf An stiften der Gesandten wurde dies dem Volke vorgelogen und hinzugefügt, man solle doch nicht zulassen, dass das Land von den Feinden verwüstet werde. In Wahrheit bezweckte man damit nur, mich unter dem Vorwand, dass ich Hilfe bringen müsse, aus der Stadt zu entfernen, um dieselbe dann gründlich gegen mich aufhetzen zu können. 55. Obwohl ich nun ihre Absicht durchschaute, liess ich mich doch herbei, hinauszugehen , um nicht bei den Tiberiensern den Anschein zu erwecken, als kümmere ich mich nicht um ihre Sicherheit. Aber nicht die Spur von Feinden fand ich an der bezeichneten Stelle, und so kehrte ich denn auf dem kürzesten Wege wieder nach Tiberias zurück. Als ich ankam, fand ich den Jonathas eben damit beschäftigt, vor versammeltem Rat und Volk die schwere Anklage gegen mich zu erheben, dass ich nicht im mindesten ihnen die Lasten des Krieges zu erleichtern suche, sondern in Üppigkeit dahinlebe. Zu- gleich brachten die Gesandten vier Briefe vor, die an- geblich aus dem benachbarten Galilaea an sie gerichtet worden waren, und worin um schleunige Hilfe gebeten wurde, da das römische Heer, Reiterei sowohl wie Fuss- volk, in drei Tagen eintreffen würde, um das Land zu verwüsten ; man möge also eilen und die Bittsteller nicht unerhört lassen. Die Tiberienser hielten das für bare Münze und schrien mir zu, ich solle doch nicht sitzen bleiben, sondern den Stammesgenossen zu Hilfe eilen. 1 Ein jetzt noch unbekannter Ort. Selbstbiographie. 53 Die Absicht des Jonathas und seiner Gefährten war mir natürlich klar; trotzdem erklärte ich meine Bereitwillig- keit, augenblicklich gegen den Feind auszurücken. Aber, fuhr ich fort, da wir aus den Briefen erführen, dass die Römer an vier Stellen zugleich einfällen würden, so sei es nötig, unsere Streitmacht in fünf Haufen zu teilen; über vier derselben sollten dann Jonathas und seine Freunde das Kommando führen. Denn wackeren Männern gezieme es nicht bloss zu raten, sondern auch in der Not selbst Hand anzulegen, und mehr wie eine Ab- teilung könne ich selbstverständlich nicht befehligen. Dieser Vorschlag fand beim Volke die lebhafteste Zu- stimmung, und so waren denn die Gesandten genötigt, mit in den Krieg zu ziehen. Freilich ärgerten sie sich nicht wenig darüber, dass ich ihre Anschläge so schlau zu nichte gemacht hatte. 56. Einer von ihnen mit Namen Ananias, ein schlechter, heimtückischer Mensch, schlug nun dem Volke vor, für den folgenden Tag Gott zu Ehren ein allgemeines Fasten anzuordnen ; unbewaffnet sollten dann alle um dieselbe Stunde und am nämlichen Orte erscheinen, um dadurch vor Gott zu bekennen, dass Waffen nichts vermögen, wenn sie nicht von seiner Hilfe unterstützt werden. Das sagte er aber nicht aus Frömmigkeit, sondern um mich und die Meinigen wehrlos überfallen zu können. Um nun nicht den Schein auf mich zu laden, als ob ich einen so frommen Rat verachtete, musste ich not- gedrungen nachgeben. Sowie wir uns getrennt hatten, schrieb Jonathas an Joannes, er solle bei Tagesanbruch mit allen Truppen, die er aufzubringen vermöge, herbei- eilen, denn er werde mich mit leichter Mühe in seine Gewalt bekommen und dann nach Gutdünken mit mir verfahren können. Joannes war nach Empfang des Briefes auch gleich bereit, dem Wunsche zu entsprechen. Am folgenden Tage aber liess ich mich von zwei sehr handfesten und treuen Leibwächtern mit Dolchen im Gewände begleiten, damit wir, wenn ich von den Gegnern angegriffen würde, uns verteidigen könnten. Ich selbst 54 Des Flavins Josephns kleinere Schriften. schnallte mir unter dem Oberkleide verdeckt Panzer und Schwert um und ging so in das Bethaus. 57. Jesus, der sich an der Thür aufgestellt hatte, schloss alle meine übrigen Begleiter aus und liess nur mich selbst mit einigen meiner Freunde eintreten. Während wir nun die vorgeschriebenen Ceremonien verrichteten und uns zum Gebet wandten, erhob sich Jesus und fragte mich, wo das ungeprägte Silber und die königlichen Gerätschaften seien, die man beim Brand des Palastes gerettet habe. Mit dieser Frage aber wollte er nur Zeit gewinnen, bis Joannes eintreffen würde. Ich gab ihm zur Antwort, alles befinde sich in den Händen des Capellus und der zehn vornehmsten Tiberienser; er möge sie nur fragen, ob es sich nicht so verhielte. Als diese meine Aussage bestätigten, frug er weiter: „Was ist denn aus den zwanzig Goldstücken geworden, um die du einen Teil des ungeprägten Silbers verkauft hast?“ „Die Goldstücke,“ entgegnete ich, „habe ich den nach Jeru- salem abgeordneten Gesandten als Reisegeld mitgegeben.“ Hierauf erklärten Jonathas und dessen Gefährten, es sei nicht recht von mir gewesen, die Gesandten aus der Gemeindekasse zu besolden. Darüber geriet das Volk in Erbitterung, denn es durchschaute die Bosheit jener Männer. Weil ich nun sah, dass der Ausbruch von Feindseligkeiten nahe bevorstand, suchte ich die Menge noch mehr gegen die heimtückischen Gesellen aufzu- reizen, erklärte aber dann: „Wenn ich nicht recht daran gethan habe, unseren Gesandten aus öffentlichen Mitteln Reiseunterstützung zu zahlen, so hört nur auf zu grollen, denn ich werde die zwanzig Goldstücke aus meiner eigenen Tasche ersetzen.“ 58. Hierauf wussten Jonathas und seine Kollegen nichts zu erwidern ; das V olk aber ergrimmte noch mehr, weil sie ihren ungerechten Hass gegen mich so offen zur Schau trugen. Als Jesus diese veränderte Stimmung wahrnahm, hiess er die Menge auseinandergehen und ersuchte, dass nur der Rat bleiben möchte; denn es sei unmöglich, bei dem allgemeinen Lärm eine solche Unter- suchung zu führen. Das Volk aber schrie, es werde mich nicht allein bei ihnen lassen. In demselben Augen- blick kam ein Bote, der dem Jesus und seinen An- hängern verstohlen die Meldung brachte, Joannes sei ]nit seinem Heer in der Nähe. Da konnte sich Jonathaa nicht mehr beherrschen — offenbar, weil Gottes Vor- sehung mich retten wollte, denn sonst wäre ich von Joannes umgebracht worden — und laut rief er: „Ihr Tiberienser, lasst jetzt nur die Untersuchung wegen der zwanzig Goldstücke ruhen. Denn um dieser Sache willen ist Josephus nicht des Todes schuldig, wohl aber, weil er nach der Alleinherrschaft strebt und durch Verführung des Volkes von Galilaea die Macht an sich gerissen hat“ Nun legten sie Hand an mich und wollten mich töten. Meine Begleiter aber hatten nicht sobald die Gefahr erkannt, als sie ihre Dolche zogen und jeden niederzustossen drohten, der mir Gewalt anthun würde. So entrissen sie mich, während das Volk Steine gegen Jonathas aufhob, der Wut meiner Feinde. 59. Als ich aber eine Strecke weit gegangen war, merkte ich, dass ich so dem Joannes und seiner Streit- macht in die Hände fallen würde. Ich wandte mich daher durch eine enge Gasse nach dem See, bestieg ein Fahrzeug, das ich gerade antraf, und setzte nach Tari- chaea über. So entging ich unverhofft der Gefahr. In Tarichaea berief ich sogleich die angesehensten Galiläer zusammen und teilte ihnen mit, wie schmählich ich von der Gesandtschaft und den Tiberiensern verraten worden sei und beinahe ums Leben gekommen wäre. Darüber gerieten die Versammelten in heftigen Zorn und riefen mir zu, ich solle doch nicht mehr mit dem Angriff zögern und ihnen Gelegenheit geben, Joannes, Jonathas und deren Anhänger niederzumachen. So erbost sie nun auch waren, suchte ich sie doch zu beschwichtigen und erklärte ihnen, man müsse erst ab warten, welchen Be- scheid unsere Gesandten aus Jerusalem mitbringen würden ; denn nur in voller Übereinstimmung mit ihnen dürften ,wir handeln. Das leuchtete den Galiläern denn auch 56 Des Flavius Josephos kleinere Schriften. ein. Joannes zog übrigens, als er seinen Anschlag miss- glückt sah, nach Gischala ab. 60. Einige Tage nachher kamen meine Gesandten zurück mit der Nachricht, das Volk zu Jerusalem sei auf Ananus sowie auf Simon, den Sohn des Gamaliel, äusserst schlecht zu sprechen, weil sie ohne Vorwissen der Gemeinde Gesandte nach Galilaea geschickt hätten, um mich zu stürzen. Die Abgeordneten sagten ferner aus, das Volk habe in seiner Erbitterung sogar die Häuser jener Männer anzünden wollen. Auch brachten sie Briefe mit, worin die Vorsteher zu Jerusalem auf dringendes Verlangen der Gemeinde mich als Statt- halter Galilaeas bestätigten, den Jonathas dagegen und dessen Begleiter nach Hause zurückriefen. Als ich von diesen Urkunden Kenntnis genommen hatte, begab ich mich nach Arbela, wo ich die Galiläer zur Versamm- lung entbot und meine Abgesandten ersuchte, von dem Unwillen, den die Bürgerschaft Jerusalems über das Vorgehen des Jonathas und seiner Genossen an den Tag gelegt, sowie darüber zu berichten, dass ich in meiner Eigenschaft als Statthalter bestätigt, die Ge- sandten dagegen zurückberufen seien. Den Brief hatte ich übrigens sogleich weitergeschickt und den Über- bringer beauftragt, die Absichten des Jonathas und seiner Kollegen zu erforschen. 61. Das Schreiben brachte natürlich die letzteren in nicht geringe Verlegenheit. Sie Hessen daher den Joannes, die Ratsherren von Tiberias und die Vorsteher von Ga- bara zusammenrufen und überlegten mit ihnen, was zu thun sei. Die Tiberienser waren der Ansicht, man dürfe nicht nachgeben, und noch weniger würden sie es ver- stehen, wenn die Gesandten eine Stadt, die sich ihnen in die Arme geworfen, im Stich lassen wollten; denn sicherlich würde ich sogleich über Tiberias herfallen. Sie stellten nämlich die erlogene Behauptung auf, ich hätte ihnen letzteres bereits angedroht. Joannes trat nicht nur dieser Meinung bei, sondern verlangte auch, es sollten zwei von den Gesandten nach Jerusalem reisen, Selbstbiographie. 57 um mich vor der Gemeinde anzuklagen, dass ich Gali- laea schlecht verwalte. Diesen Männern werde es nicht schwer fallen, Glauben zu finden, einmal wegen ihres persönlichen Ansehens, und dann auch, weil die Volks- menge recht wankelmütig Bei. Der Vorschlag des Joannes fand beifällige Aufnahme, und so beschloss man, dass zwei der Gesandten, Jonathas und Ananias, nach Jeru- salem gehen, die anderen zwei aber in Tiberias bleiben sollten. Die beiden ersten nahmen hundert Bewaffnete zu ihrer Bedeckung mit. 62. Die Tiberienser verlegten sich nun darauf, ihre Mauern zu verstärken, und riefen alle Bewohner der Stadt zu den Waffen. Auch von Joannes, der sich in Gischala befand, Hessen sie eine Anzahl Hilfstruppen kommen, um sie nötigenfalls gegen mich zu verwenden. Jonathas und sein Genosse waren unterdessen von Tibe- rias aufgebrochen ; als sie aber bis Dabaritta gekommen waren, das an der galilaeischen Grenze in der grossen Ebene liegt, fielen sie um Mitternacht meinen Wacht- posten in die Hände. Diese geboten ihnen, die Waffen abzulegen , und hielten sie meinem Befehl gemäss an Ort und Stelle gefangen. Levi, dem ich das Kommando über jenen Posten gegeben hatte, meldete mir sogleich den Vorfall. Ich wartete nun zwei Tage, als ob nichts geschehen wäre; am dritten forderte ich dann die Tibe- rienser auf, die Waffen zu strecken und ihre Leute zu entlassen. Sie aber glaubten, Jonathas sei bereits in Jerusalem angelangt, und antworteten mir deshalb mit Hohn. Ich liese mich jedoch nicht abschrecken, sondern versuchte durch List zum Ziele zu kommen, da ich es für gottlos hielt, einen Bürgerkrieg anzufangen. Weil ich übrigens die beiden zurückgebliebenen Gesandten aus Tiberias entfernen wollte, sammelte ich zehntausend der besten Streiter, die ich in drei Haufen teilte. Einen davon liess ich heimlich in den benachbarten Dörfern sich festsetzen, während ich tausend Mann in ein anderes Dorf beorderte, das vier Stadien von Tiberias entfernt ebenfalls auf einer Anhöhe lag, mit dem Befehl, herbei- 58 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. zueilen, sobald sie das entsprechende Bignal vernähmen. Ich selbst rückte vor das Dorf und lagerte mich im Angesichte der Stadt. Als die Tiberienser dies merkten, liefen sie in Masse aus der Stadt heraus und verhöhnten mich. In ihrer Thorheit verstiegen sie sich sogar dazu, eine zierliche Leichenbahre anzufertigen, sich rings um dieselbe aufzustellen und mich unter Scherz und Spott wie einen Toten zu beklagen. Es machte mir Spass, ihrem unsinnigen Treiben zuzusehen. 63. Um nun Simon und Joazar durch List zu fangen, schickte ich einen Boten in die Stadt und liess sie auf- fordern, mit ihren Freunden und einer Anzahl Be- deckungsmannschaften herauszukommen: ich wolle Frieden schliessen und die Statthalterschaft von Galilaea mit ihnen teilen. Aus Unverstand und nebenbei auch aus Gewinnsucht liess sich Simon verlocken und kam ohne Zögern ; Joazar dagegen witterte die Falle und blieb zu Hause. Als nun Simon unter dem bewaffneten Geleit seiner Freunde hervortrat, ging ich ihm entgegen, be- grüsste ihn freundlich und dankte ihm für sein Kommen. Nach einer Weile ging ich mit ihm beiseite, als wollte ich ihm etwas unter vier Augen sagen ; sowie ich ihn aber auf diese Weise von seinen Begleitern weggebracht hatte, fasste ich ihn plötzlich um den Leib und liess ihn durch meine Leute in das Dorf abführen. Gleich- zeitig gab ich meinen Soldaten das Zeichen, herabzu- kommen, und rückte mit ihnen vor Tiberias. Es kam nun zu einem hitzigen Treffen. Zunächt schien sich der Sieg auf die Seite der Tiberienser zu neigen, und schon begannen die Meinigen zu weichen. Kaum aber hatte ich dies gesehen, als ich die in meiner Nähe Kämpfenden anfeuerte und die nahezu siegreichen Tiberienser in die Stadt zurückdrängte. Zugleich liess ich eine andere Ab- teilung vom See aus vorrücken mit dem Befehl, das erste Haus, das sie erobern würden, in Brand zu stecken. Als dies geschah, glaubten die Tiberienser, ihre Stadt sei bereits erstürmt, warfen vor Schrecken die Waffen weg und flehten mit Weib und Kind mich an, ihrer Selbstbiographie. 59 Heimat zu schonen. Ihre Bitten riefen mein Mitleid wach, und so that ich dem Ungestüm der Soldaten Einhalt und zog mich mit der gesamten Truppenmacht, weil es schon Abend war, von den Mauern zurück, um der Ruhe zu pflegen. Den Simon lud ich sodann zum Abendessen ein, tröstete ihn wegen des Vorgefallenen und versprach ihm Reisegeld und sicheres Geleit nach Jerusalem. 64. Tags darauf rückte ich mit zehntausend Mann in Tiberias ein, berief die angesehensten Bürger nach der Rennbahn und forderte sie auf, die Anstifter der Empörung namhaft zu machen. Als dies geschehen war, liess ich die Schuldigen fesseln und nach Jotapata bringen. Dann gab ich Befehl, Jonathas, Ananias und die übrigen ihrer Bande zu entledigen, versah sie mit Reisegeld und sandte sie sowie Simon und Joazar unter einer Bedeckung von fünfhundert Mann nach Jerusalem. Die Tiberienser aber kamen noch einmal zu mir und baten flehentlich um Verzeihung, indem sie mir ver- sprachen, durch künftige Treue ihr Vergehen wieder gut zu machen. Zugleich sprachen sie den Wunsch aus, dass das, was aus den Händen der Plünderer noch ge- rettet werden könne, den Eigentümern wieder zurück- gegeben würde. Ich befahl darauf sofort meinen Sol- daten, alles herauszugeben, was sie hätten. Geraume Zeit sträubten sie sich. Auf einmal sah ich einen meiner Leute in einem kostbareren Gewände, als er sonst zu tragen pflegte, und sogleich frug ich ihn, woher er es habe. Als er gestand, es rühre von der Plün- derung der Stadt her, liess ich ihn prügeln und drohte den anderen insgesamt mit noch härterer Strafe, wenn •ie nicht alles Geraubte auslieferten. Nun kamen eine Menge Sachen zum Vorschein, und jeder Tiberienser erhielt das zürück , was als sein Eigentum erkannt wurde. 65. Da ich nun bis hierher in meiner Erzählung ge- kommen bin, sei es mir gestattet, eine kleine Ab- schweifung zu machen und einiges gegen Justus zu 60 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. bemerken, der ebenfalls ein Werk über diesen Krieg verfasst hat, sowie gegen andere, die sich als Geschicht- schreiber ausgeben, aber, unbekümmert um die Wahr- heit, aus Hass oder Gunst in den Tag hinein lügen. Solche Menschen sind um nichts besser als die, welche Vertragsurkunden fälschen; aber weil es ihnen nicht so ergeht wie jenen, lügen sie un gescheut weiter. Justus also unternahm es, über unsere Thaten und den Krieg zu schreiben, und um sich den Anschein zu geben, als sei er besonders sorgfältig zu Werk gegangen, hat er über mich gelogen und nicht einmal über seine Vater- stadt die Wahrheit berichtet. Ich bin genötigt, mich gegen sein falsches Zeugnis zu verteidigen, und muss daher kundthun, was ich bisher verschwiegen habe ; man wundere sich also nicht darüber. Der Geschichtschreiber soll zwar vor allem die Wahrheit sagen; doch es muss ihm auch erlaubt sein, die Bosheit gewisser Leute auf- zudecken — nur darf dies nicht mit Bitterkeit geschehen, nicht sowohl weil er eine solche Mässigung seinem Gegner, als weil er sie sich selbst schuldet. „Nun denn, mein lieber Justus,“ — ich will dich anreden, als wärst du gegenwärtig — „du Muster unter den Geschicht- schreibern (denn dafür hältst du dich selbst), wie kommst du zu der Behauptung, dass ich und die Galiläer an der Empörung deiner Vaterstadt gegen die Börner und den König schuld gewesen seien? Noch ehe ich vom Ge- meindevorstand zu Jerusalem zum Statthalter von Gali- laea ernannt wurde, hatten doch alle Tiberienser mit dir nicht nur die Waffen ergriffen, sondern auch die Zehnstädte 1 in Syrien bekriegt. Oder warst du es nicht, der ihre Dörfer verbrannte, und fiel nicht dein Diener dort auf dem Schlachtfelde? Aber nicht ich allein sage dir dies ; du kannst es vielmehr auch in den Denk- würdigkeiten des Imperators Vespasianus lesen sowie daselbst die Klagen der Zehnstädte finden, welche sie bei Vespasianus in Ptolema'is gegen dich als den Ur- 1 Siehe unter Dekapolis im Namenregister znm Jttd. Krieg. Selbstbiographie. 61 heber ihres Unglücks vorbrachten. Du hättest auch auf Befehl des Vespasianus dafür büssen müssen, wenn nicht König Agrippa, der beauftragt war, dich hinrichten zu lassen, auf die inständigen Bitten seiner Schwester Berenike die Todesstrafe in lange Kerkerhaft um- gewandelt hätte. Auch deine späteren Thaten kenn- zeichnen deinen Charakter deutlich genug und beweisen, dass du es warst, der deine Vaterstadt zum Aufstand gegen die Römer verleitete. Ich werde dies gleich noch näher darthun. Zunächst muss ich um deinetwillen einige Worte mit deinen Mitbürgern reden, damit künf- tige Leser meines Geschichtswerkes erfahren, dass ihr weder der Römer noch des Königs Freunde wart. Die grössten Städte Galilaeas sind bekanntlich Sepphoris und Tiberias, letzteres deine Vaterstadt, mein verehrter Justus. Sepphoris liegt mitten in Galilaea, ist von vielen Dörfern umgeben und hätte also, wenn es nur wollte, sich leicht gegen die Römer empören können. Trotzdem zog die Stadt es vor, ihrem Herrn treu zu bleiben: sie verschloss mir dieThore und untersagte jedem ihrer Bürger, im jüdischen Heere zu dienen ; ja , um gegen etwaige Angriffe seitens der Juden gesichert zu sein, veranlasst« sie mich durch trügerische Vorspiegelungen, sie mit Mauern zu befestigen. Später nahm sie eine von Cestius Gallus, dem Befehls- haber der römischen Legionen in Syrien, geschickte Be- satzungstruppe auf, obwohl ich damals im Besitz grosser Macht und allen ein Schrecken war. Und noch später während der Belagerung Jerusalems, als unsere herrliche Hauptstadt und das allen gemeinsame Heiligtum Gefahr lief, in die Hände der Feinde zu fallen, schickten die Bürger von Sepphoris nicht die mindeste Hilfe, nur um nicht den Anschein zu erwecken, als wollten sie sich gegen die Römer auf lehnen. Deine Vaterstadt hingegen, mein Justus, die am See Gennesaritis, dreissig Stadien von Hippos, sechzig von Gadara und hundertzwanzig von Skythopolis entfernt mitten im königlichen Gebiete liegt, hätte, wenn sie nur wollte, den Römern leicht treu bleiben können; denn sie war ja stark bevölkert, und 62 Des Flavias Josephns kleinere Schriften» Waffen hattet ihr auch genug. Freilich, ich war ja schuld an eurem Abfall, wie du sagst. Wer aber war es später, mein teurer Justus? Du weisst ja, dass ich vor der Belagerung Jerusalems in die Hände der Römer fiel, dass Jotapata und eine Reihe anderer Festungen im Sturm genommen wurden, dass eine Menge Galiläer auf dem Schlachtfeld verbluteten. Damals hättet ihr, da ihr von aller Furcht vor mir befreit wart, die Waffen fort- werfen und den Römern wie dem König zu Hilfe kommen sollen, weil ihr ja nicht freiwillig, sondern ge- zwungen den Krieg gegen sie begonnen hattet. Aber nein, ihr habt gewartet, bis Vespasianus mit seiner ganzen Streitmacht vor euren Mauern erschien ; aus blosser Angst legtet ihr die Waffen nieder, und eure Stadt wäre sicher erstürmt worden, hätte Vespasianus nicht den Bitten des Königs und den Entschuldigungen , die er zu euren Gunsten vorbrachte, nachgegeben. Nicht ich bin daher an allem schuld, sondern eure eigene Kriegswut. Er- innert ihr euch denn nicht, dass ich, so oft ich auch eure Stadt in meine Gewalt bekam, keinen von euch hinrichten liess, während ihr selbst, im Bürgerkrieg be- griffen, nicht aus Ergebenheit gegen die Römer und den König, sondern aus reiner Bosheit hundertfünfundachtzig eurer Mitbürger zu derZeit umbrachtet, als ich von den Römern in Jotapata belagert wurde? Und zählte man nicht bei der Belagerung Jerusalems zweitausend teils getötete, teils gefangene Tiberienser? Vielleicht aber wirst du leugnen, ein Feind der Römer gewesen zu sein, weil du damals zum Könige entflohst Das hast du, behaupte ich, nur aus Furcht vor mir gethan. Und dann sagst du, ich sei ein Schurke. Aber sprich doch, warum hat dich König Agrippa, der dir, als du von Vespasianus zum Tode verurteilt warst, das Leben schenkte, der dich mit Wohlthaten überhäufte, warum, sage ich, hat er dich zweimal ins Gefängnis geworfen und ebenso oft des Landes verwiesen? War nioht schon einmal deine Hin- richtung von ihm beschlossen, die er nur auf Bitten seiner Schwester Berenike wieder rückgängig machte? Selbstbiographie. 63 Später vertraute er dir, trotz bo vieler Schandthäten, sogar den Posten eines Geheim Schreibers an; aber schon bald musste er, als er von neuem deine Schlechtigkeit erfuhr, dich von seinem Angesicht entfernen. Doch alle deine Schurkereien aufzuzählen, unterlasse ich. Wundern muss ich mich nur über die Schamlosigkeit, mit der du behauptest, unter allen Schriftstellern, welche diese Be- gebenheiten erzählt haben, der zuverlässigste zu sein, obwohl du doch weder die Vorgänge inGalilaea kanntest — du warst ja beim Könige in Berytus — noch von dem, was die Römer bei der Belagerung Jotapatas litten ocler thaten und was ich vollbrachte, unterrichtet warst: denn alle, die dir Mitteilung davon hätten machen können, waren ja in der Schlacht gefallen. Doch viel- leicht meinst du die Thaten vor Jerusalem besonders genau beschrieben zu haben. Wie aber wäre dies mög- lich, da du weder den Krieg mitgemacht, noch die Denk- würdigkeiten des Caesars gelesen hast? Es bedarf doch wohl keines stärkeren Beweises gegen dich, als dass du genau das Gegenteil von dem berichtest, was der Caesar in jenem Buche sagt. Glaubst du aber trotzdem der beste Schriftsteller zu sein, weshalb hast du dann deine Geschichte nicht zu Lebzeiten der Imperatoren Vespa- sianus und Titus, die ja in diesem Kriege den Oberbefehl führten, sowie des Königs Agrippa und seiner Ver- wandten, lauter Männern von griechischer Bildung, heraus - gegeben ? Du hattest sie ja schon seit zwanzig Jahren fertig daliegen und konntest also von Augenzeugen die glänzendste Bestätigung erwarten. Doch nein, erst jetzt, da diese Männer nicht mehr unter uns weilen und du keine Widerlegung zu fürchten brauchst, trittst du damit hervor. Ich dagegen habe mich nicht von solchen Be- sorgnissen schrecken lassen, sondern ich übergab meine Schrift den Imperatoren selbst zu einer Zeit, da die Thatsachen allen sozusagen noch vor Augen schwebten; denn ich hatte das Bewusstsein, die Wahrheit überall hochgehalten zu haben , und ich täuschte mich auch nicht in der Hoffnung, ihr Zeugnis dafür zu erlangen. Go gle 64 Des Flavlus Josephus kleinere Schriften. Noch vielen anderen teilte ich meine Geschichte mit, von denen einige, wie König Agrippa und seine Ver- wandten, an dem Kriege teilgenommen hatten. Der Imperator Titus wollte sogar mein Gesch ich ts werk so ausschliesslich als die einzig giltige Darstellung jener Begebenheiten angesehen wissen, dass er es mit seiner eigenhändigen Unterschrift versah und so veröffentlichen liess. Und was den König Agrippa anlangt, so hat er mir zweiundsechzig Briefe geschrieben, in denen er die Wahrheit meiner Schilderung bezeugt Zwei davon will ich hier mitteilen, und du magst dir selbst deine Ansicht daraus bilden, wenn du Lust hast. • I. König Agrippa seinem lieben Freunde Josephus besten Gruss! Mit Vergnügen habe ich deine Schrift von Anfang bis zu Ende gelesen und mich überzeugt, dass du mit viel grösserer Sorgfalt und Treue erzählst wie die anderen, die denselben Gegenstand behandelt haben. Schicke mir auch die übrigen Bücher. Leb wohl, mein Freund. II. König Agrippa seinem lieben Freunde Josephus besten Gruss! Nach dem, was du geschrieben, scheinst du mir keiner weiteren Belehrung zu bedürfen, um alles von Anfang an in lichtvoller Darstellung auseinander- setzen zu können. Dennoch will ich, wenn du einmal zij mir kommst, dir mündlich noch manches mitteilen, was dir entgangen ist. Nach Vollendung meines Geschieh ts Werkes hat mir Agrippa nicht aus Schmeichelei, die bei ihm nicht üb- lich war, auch nicht aus Spottsucht, wie du behaupten wirst — von einer solchen Erbärmlichkeit war er weit entfernt — sondern aufrichtig, wie alle übrigen Leser desselben, meine Wahrheitsliebe bezeugt.“ So viel gegen Justus, der mich wider meinen Willen nötigte, diese Abschweifung zu machen. 66. Nachdem ich die Angelegenheiten von Tiberias geordnet hatte, berief ich meine Freunde zusammen, um zu beraten, was mit Joannes geschehen solle. Alle Galiläer waren der Meinung , man müsse mit der Selbstbiographie. 65 gesamten Streitmacht gegen ihn ausrücken, um ihn als den Urheber der ganzen Empörung zur Strafe zu ziehen. Ich billigte indes diesen Vorschlag nicht, weil ich beab- sichtigte, die Unruhen ohne Blutvergiessen zu dämpfen. Deshalb ermahnte ich sie, alles aufzubieten, damit wir die Namen der Anhänger des Joannes erführen. Das gelang uns denn auch, und als ich die Leute genau kannte, veröffentlichte ich einen Erlass, in welchem ich allen Parteigängern des Joannes Begnadigung versprach, wenn sie Reue zeigten, auch eine Frist von zwanzig Tagen festsetzte, innerhalb deren sie sich zu ihrem Besten entscheiden könnten. Zugleich drohte ich ihnen, ich würde, wenn sie die Waffen nicht niederlegten, ihre Häuser in Flammen aufgehen lassen und ihre Güter einziehen. Als sie dies hörten, erschraken sie nicht wenig und verliessen den Joannes. Gegen viertausend streckten die Waffen und gingen zu mir über. Nur seine Mitbürger und einige Fremdlinge aus der Haupt- stadt der Tyrier, im ganzen etwa tausendfünfhundert Mann, blieben bei ihm. So war Joannes denn endlich überwunden und hielt sich fortan eingeschüchtert in seiner Vaterstadt auf. 67. Um diese Zeit griffen die Sepphoriten wieder zu den Waffen, weil sie auf die Festigkeit ihrer Mauern pochten und mich mit anderen Angelegenheiten be- schäftigt sahen. Sie schickten zu Cestius Gallus, dem Statthalter von Syrien, und luden ihn ein, entweder selbst so schnell wie möglich zu kommen und ihre Stadt zu übernehmen, oder eine Besatzung zu schicken. Gallus versprach zu kommen, setzte aber keinen bestimmten Zeitpunkt fest. Sobald ich dies erfuhr, zog ich mit meinen Leuten aus und nahm Sepphoris durch Über- rumpelung. Die Galiläer benutzten diese Gelegenheit, um ihren Hass gegen eine Stadt zu befriedigen, auf # die sie sehr schlecht zu sprechen waren, und hatten nichts geringeres im Sinne, als die gesamte Einwohnerschaft, Bürger sowohl wie zufällig Anwesende , bis auf den letzten Mann umzubringen. Sie steckten daher, sobald JoeephuB, Kleinere Schriften. 5 Go gle 66 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. sie eingedrungen waren, die Häuser in Brand, die sie sämtlich leer fanden, da die Bewohner sich aus Angst in die Burg zurückgezogen hatten. Hierauf plünderten sie alles und verübten an dem Eigentum ihrer Volks- genossen jede Art von Brutalität Das empörte mich gewaltig, und sogleich gab ich Befehl, damit einzuhalten, indem ich meinen Leuten vorstellte, wie schändlich es sei, in dieser Weise gegen Stammesgenossen zu verfahren. Als aber weder Ermahnungen noch Befehle bei ihnen fruchteten, weil ihre Rachgier sich mächtiger erwies, liess ich durch meine Getreuen das Gerücht verbreiten, die Römer hätten mit grosser Heeresmacht die andere Seite der Stadt angegriffen. Das that ich indes nur, um das Ungestüm der Galiläer zu brechen und Sepphoris zu retten. Die List gelang denn auch. Als nämlich die Soldaten das Gerücht vernahmen, fürchteten sie für ihr eigenes Leben, liessen ihren Raub im Stich und flohen davon, zumal sie ihren Feldherrn dasselbe thun sahen. Denn um der falschen Nachricht Glauben zu verschaffen, stellte ich mich ebenso erschreckt, als sie selbst waren. Durch diese List ward Sepphoris unver- hofft gerettet. 68. Auch Tiberias wäre von den Galiläern beinahe geplündert worden. Dort nämlich schrieben die Ersten des Rates an den König , er möge kommen und die Stadt besetzen. Agrippa schrieb ihnen zurück und ver- sprach, ihre Bitte zu erfüllen. Als Überbringer des Briefes schickte er seinen Kammerdiener Krispos, einen geborenen Juden. Diesen Menschen nun erkannten meine Galiläer, nahmen ihn fest und führten ihn zu mir. Das ganze Volk ward durch die Nachricht von diesem Vor- fall aufgebracht und eilte zu den Waffen. Tags darauf kamen sie scharenweise nach Asochis, wo ich wohnte, machten einen fürchterlichen Lärm, nannten die Bewohner von Tiberias Verräter und Königsfreunde und schrien, man müsse hinuntergehen und die Stadt dem Erdboden gleich machen. Denn sie hassten die Tiberienser nicht minder wie die Sepphoriten. Selbstbiographie. 67 69. Ich war in Verlegenheit, wie ich Tiberias dem Zorn der Galiläer entreissen sollte. Leugnen konnte ich nicht, dass die Tiberienser an den König geschrieben und ihn herbeigerufen hatten, denn der eigenhändige Brief, den er an sie gerichtet, bewies das aufs klarste. Als ich geraume Zeit überlegt hatte, sprach ich: „Aller- dings haben die Tiberienser unrecht gethan, das weiss ich wohl. Auch will ich euch nicht wehren, die Stadt zu plündern. Doch muss man einen solchen Schritt nur nach reiflicher Überlegung wagen. Denn nicht die Tiberienser allein haben unsere Freiheit verraten, sondern noch viele der angesehensten Männer in Galilaea. Wartet also, bis ich die Schuldigen genau ermittelt habe ; dann sollt ihr sie in eure Gewalt bekommen und noch dazu jedeD, den ihr selbst ausfindig machen werdet.“ Durch diese Vorstellungen gelang es mir, die Menge zu beschwichtigen: ihre Wut legte sich, und die Leute gingen auseinander. Den Boten des Königs hatte ich mittlerweile einkerkern lassen. Wenige Tage später jedoch schützte ich eine dringende Ursache vor, weshalb ich aus dem Gebiet verreisen müsse. Vor meinem Weg- gang rief ich nun den Krispos heimlich zu mir und riet ihm, den Mann, der ihn bewachte, betrunken zu machen und dann zum Könige zu entfliehen, indem ich ihm zu- gleich versprach, ihn nicht verfolgen zu lassen. Krispos traute meinen Worten und entfloh. Durch meine List und Vorsicht entging also Tiberias zum zweitenmal der ihm drohenden Gefahr. 70. Um diese Zeit ging Justus, der Sohn des Pistos, ohne mein Vorwissen zum Könige über. Den Grund will ich sogleich angeben. Zu Anfang des jüdisch- römischen Krieges hatten die Tiberienser beschlossen, dem Könige treu zu bleiben und von den Römern nicht abzufallen. Justus aber beredete sie damals, die Waffen zu ergreifen, teils aus Neuerungssucht, teils weil er hoffte, die Gewalt über Galilaea und seine Vaterstadt an sich reissen zu können. Doch sein Plan schlug fehl: die Galiläer, welche den Tiberiensern schon lange 6 # 68 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. -wegen gewisser Beleidigungen, die sie vor dem Kriege von ihnen erduldet hatten, abhold waren, wollten keinen Justus zum Anführer haben. Auch ich war, nachdem mir der Gemeindevorstand zu Jerusalem die Statthalter- schaft Galilaeas übertragen hatte, oftmals so sehr gegen ihn in Zorn geraten, dass ich ihn beinahe hätte töten lassen, weil ich seine Unverschämtheit nicht mehr er- tragen konnte. Gerade deswegen nun, weil er fürchtete, ich möchte in meiner Erbitterung zur That schreiten, unterhandelte er mit dem Könige, bei dem er besser und sicherer leben zu können gedachte. 71. Als die Sepphoriten der ersten Gefahr unverhofft entgangen waren, schickten sie noch einmal zu Cestius Gallus und wiederholten ihre Aufforderung, schleunigst zu kommen und die Stadt in Besitz zu nehmen oder wenigstens eine Anzahl Truppen zu senden, die im- stande wären, sie gegen feindliche Einfälle zu schützen. Schliesslich setzten sie es bei Gallus durch, dass er ihnen eine starke Abteilung Reiterei und Fussvolk schickte, welche sie bei Nacht einliessen. Da nun die Umgegend von den römischen Soldaten arg verwüstet wurde, zog ich mit meinen Truppen nach dem Dorfe Garis. Nachdem ich hier, zwanzig Stadien von Sepphoris entfernt, Verschanzungen aufgeworfen hatte, rückte ich zur Nachtzeit vor die Stadt und stürmte die Mauer. Viele meiner Leute stiegen auf Leitern hinan und brachten den grössten Teil der Stadt in ihre Gewalt Bald indes wurden wir, weil wir mit der Örtlichkeit nicht vertraut waren, gezwungen, uns zurückzuziehen, nachdem wir zwölf römische Fusssoldaten , zwei Reiter und einige Sepphoriten getötet, selbst aber nur einen einzigen Mann verloren hatten. Am folgenden Tage wurden wir bei einem Zusammenstoss mit Reitern auf der Ebene geschlagen, jedoch nach tapferer Gegenwehr: denn erst als die Römer unsere Flanken zu umgehen drohten, räumten die Meinigen das Feld. In diesem Gefecht fiel einer meiner Leibwächter Namens Justus, der einst denselben Posten beim König bekleidet hatte. Selbstbiographie. 69 Um dieselbe Zeit traf auch die Streitmacht Agrippas, Reiterei und Fussvolk unter Sylla, dem Obersten der königlichen Leibgarde ein. Er lagerte sich fünf Stadien von Julias 1 und besetzte die Strassen, welche nach Kana und der Festung Gamala führten, um den Einwohnern dieser Städte die Zufuhr aus Galilaea abzuschneiden. 72. Kaum war mir dies gemeldet worden, als ich zweitausend Schwerbewaffnete unter Jeremias absandte. Sie warfen am Jordanfluss, ein Stadion von Julias ent- fernt, Verschanzungen auf, liessen sich jedoch bloss auf Plänkeln ein, bis ich selbst mit weiteren dreitausend Mann zur Stelle war. Tags darauf legte ich nicht weit vom Lager der Königlichen einen Hinterhalt in eine Schlucht und bot dem Feinde das Treffen an, nachdem ich zuvor meinen Soldaten befohlen hatte, so lange zurückzugehen, bis die Gegner weit genug von ihrem Lager weggelockt wären. Und so geschah es. Sylla meinte, es sei uns ernst mit der Flucht, und brach her- vor, um uns mit Nachdruck zu verfolgen. Plötzlich aber griff ihn der Hinterhalt im Rücken an und brachte seine Truppen gänzlich in Verwirrung. Gleichzeitig Hess ich kehrt machen und warf mich mit allen meinen Streitkräften auf die Königlichen, die ich denn auch bald in die Flucht schlug. Ich hätte an jenem Tage einen schönen Erfolg zu verzeichnen gehabt, wenn mir nicht ein Unfall zugestossen wäre. Das Pferd nämlich, welches ich ritt, sank an einer sumpfigen Stelle ein und warf mich zu Boden; mit einer Quetschung an der Hand- wurzel ward ich 9 in das Dorf Kepharnome 2 gebracht. Als meine Leute dies hörten , fürchteten sie noch Schlimmeres, liessen von der Verfolgung ab und kehrten n grösster Besorgnis um mich zurück. Ich liess Ärzte kommen und verblieb, weil ich Fieber hatte, in ihrer 1 D. l. Livias. 3 Das biblische Kapharnaum oder Kaperuaum an den Grenzen der Stämme Zabulon und Nephthali, heute die Ruinen von Teil Hum. 70 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. Behandlung daselbst einen Tag; in der Nacht schaffte man mich dann auf ihren Rat nach Tarichaea. 73. Sylla und die Seinen fassten nun Mut, als sie von meinem Unfall Kunde erhielten, und da sie in Er- fahrung gebracht hatten, dass die Bewachung unseres Lagers vernachlässigt werde, legten sie des Nachts eine Reiterabteilung jenseits des Jordan in einen Hinterhalt und forderten uns, sowie der Tag graute, zum Kampf heraus. Wir nahmen das Treffen an und rückten in die Ebene vor; plötzlich aber erschienen die Reiter aus dem Hinterhalt, brachten die Juden in Verwirrung und trieben sie in die Flucht. Auf unserer Seite fielen sechs Mann; doch verfolgten die Königlichen den Sieg nicht weiter, denn da sie hörten, dass eine Anzahl Bewaffneter von Tarichaea nach Jerusalem übergesetzt sei, traten sie aus Angst den Rückzug an. 74. Bald darauf kam Vespasianus in Begleitung des Königs Agrippa nach Tyrus. Die Tyrier wollten nun den König anschwärzen, indem sie ihn als ihren und der Römer Feind hinstellten. Sein Befehlshaber Philippus, sagten sie, habe die König6burg und die auf sein Er- suchen nach Jerusalem beorderten römischen Truppen verraten. Vespasianus machte den Tyriern Vorwürfe, dass sie einen Mann verleumden wollten, der die Königs- krone trage und ein Freund der Römer sei. Den Agrippa selbst aber forderte er auf, Philippus nach Rom zu senden, damit er dort wegen jener Vorfälle vor Nero Rechenschaft gebe. Philippus wurde denn auch ab- geschickt, aber von Nero, der über den eben erfolgten Ausbruch des Bürgerkrieges und anderer Unruten sehr erregt war, nicht verhört und kehrte deshalb zum Könige zurück. Als nun Vespasianus nach Ptolema'is kam, er- hoben die Zehnstädte Syriens laute Klagen wider Justus von Tiberias , dass er ihre Dörfer eingeäschert habe. Vespasianus übergab ihn dem König, damit er von dessen Unterthanen die gebührende Strafe für seine Frevel empfange. Agrippa aber begnügte sich damit, ihn einzukerkern, indem er diese seine Milde, wie oben Selbstbiographie. 71 gesagt, vor Vespasianus verhehlte. Did Sepphoriten zogen dem Vespasianus entgegen, hiessen ihn willkommen und erhielten eine Besatzung unter dem Kommando des Placidus. Den Streifzügen, welche diese Truppen in das Oberland unternahmen, folgte ich auf dem Fusse, bis Vespasianus in Galilaea einrückte. Was sich nun zu- trug, wie er bei Tarichaea das erste Treffen gegen mich schlug, wie wir von da uns nach Jotapata zurückziehen mussten, unter welchen Umständen ich gefangen, ge- fesselt und wieder befreit wurde, was ich im ferneren Verlaufe des Jüdischen Krieges und bei der Belagerung Jerusalems gethan: das alles habe ich in meiner Ge- schichte des Krieges ausführlich erzählt. Nun glaube ich noch die Geschichte meines Lebens, soweit ich sie dort nicht aufgezeichnet habe, hinzufügen zu müssen. 75. Als ich zu Ende der Belagerung Jotapatas in die Hände der Römer gefallen war, wurde ich mit aller Sorgfalt bewacht, von Vespasianus aber in grossen Ehren gehalten. Auf seinen Befehl heiratete ich eine Lands- männin aus der Zahl der Gefangenen von Caesarea. Sie- blieb indes nicht lange bei mir, sondern verliess mich, als ich schon befreit war und mit Vespasianus nach Alexandria zög. Von da wurde ich mit Titus zur Belagerung Jerusalems entsandt und geriet zu wieder- holten Malen in Lebensgefahr, weil nicht nur die Juden mich aus Rache in ihre Gewalt zu bekommen suchten sondern auch die Römer jeden Verlust, den sie erlitten, meinem Verrat zuschrieben und vom Caesar verlangten, dass er mich als Verräter bestrafe. Titus jedoch, der die Wechselfalle des Krieges zu gut kannte, schwieg zu diesen Klagen still und beschwichtigte dadurch die Auf- regung seiner Soldaten. Nach der Einnahme Jerusalems forderte mich Titus oftmals auf, aus den Trümmern meiner Vaterstadt zu nehmen, was mir beliebe; denn gern wolle er mir alles gewähren. Ich aber kannte nach der Niederwerfung meines Vaterlandes in dem Unglück, das mich betroffen, keinen süsseren Trost als die persön- liche Freiheit von Mitbürgern, und erbat sie mir dem- 72 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. gemäss von Titus. Ferner erhielt ich durch seine Gnade die heiligen Schriften zum Geschenk. Später erlangte ich durch meine Fürbitte die Freilassung meines Bruders und fünfzig anderer Männer, die mir sehr befreundet waren. Mit des Caesars Erlaubnis ging ich auch in den Tempel, wo eine grosse Menge gefangener Weiber und Kinder eingeschlossen war, und rettete alle, die ich als Angehörige meiner Freunde und Verwandten erkannte, hundertneunzig an der Zahl; ohne Lösegeld erhielten sie die Freiheit wieder. Hierauf ward ich von Titus mit Cerealis und tausend Reitern in das Dorf Thekoa gesandt, um zu ermitteln, ob der Platz zu einem Lager tauglich sei. Auf dem Wege von dort sah ich wieder Gefangene, die am Kreuze hingen, und erkannte darunter drei meiner Freunde. Mit tiefem Schmerz und unter Thränen begab ich mich zu Titus und erzählte es ihm. Sogleich liess er sie abnehmen und ihnen die sorgfältigste Behandlung angedeihen. Trotzdem starben zwei von ihnen während der Behandlung, der dritte aber ward gerettet. 76. Nachdem Titus den Unruhen in Judaea ein Ende gemacht hatte, wies er mir in der grossen Ebene Ländereien an als Ersatz für die Güter, die ich in der Nähe von Jerusalem besass und die, wie er wohl sah, keinen Wert mehr hatten, weil eine römische Besatzung dort .zurückgelassen wurde. Auf der Rückreise nach Rom nahm er mich als Begleiter mit und erzeigte mir alle Ehre. Als wir angelangt waren, hatte ich mich der besonderen Gunst des Vespasianus zu erfreuen: er ge- währte mir Unterkunft in dem Hause, das er vor seiner Thronbesteigung bewohnt hatte, beschenkte mich mit dem römischen Bürgerrecht und wies mir ein Jahres- gehalt an. Bis an sein Lebensende dauerte seine Gnade gegen mich ununterbrochen fort Dieses Glück aber regte den Neid gegen mich auf und brachte mich in Gefahr. Ein Jude Namens Jonathas, der in Kyrene einen Aufruhr angezettelt und zweitausend Einwohner Selbstbiographie. 73 dazu verleitet hatte, war noch nicht zufrieden damit, diese Leute ins Verderben gestürzt zu haben, sondern sagte auch, als er von dem dortigen Statthalter gefesselt nach Rom geschickt wurde, aus, ich hätte ihn mit Waffen und Geld unterstützt. Vespasianus aber merkte, dass er log, verurteilte ihn zum Tode und liess ihn hinrichten. Und so oft auch nachher von Leuten, die mir mein Glück neideten, Anklagen gegen mich erhoben wurden: jedesmal entging ich ihnen durch Gottes Fügung. Von Vespasianus erhielt ich ebenfalls ansehnliche Ländereien in Judaea. Um diese Zeit trennte ich mich von meiner Gattin, weil mir ihr Wandel nicht gefiel, obwohl sie schon Mutter dreier Söhne geworden war, von denen zwei gestorben sind und nur der dritte, den ich Hyrkanus nannte, noch lebt. Bald darauf nahm ich eine geborene Jüdin aus Kreta zur Frau, die Tochter sehr edler und angesehener Eltern, die, wie ihr nachheriges Leben bewies, sich durch reine Sitten vor vielen Weibern aus- zeichnete. Von ihr habe ich zwei Sohne, den älteren Justus, den jüngeren Simonides mit dem Beinamen Agrippa. So viel über mein Familienleben. Mein Verhältnis zu den Imperatoren blieb dasselbe. Titus, der nach dem Tode des Vespasianus zur Regierung gelangte, hielt mich ebenso in Ehren wie sein Vater, und auch er wollte von Anklagen, die des öfteren gegen mich erhoben wurden, nichts wissen. Sein Nach- folger Domitianus überhäufte mich gleichfalls mit Gunstbezeugungen. Die Juden, die mich verklagt hatten, bestrafte er, und den Erzieher meines Sohnes, einen verschnittenen Sklaven, der gegen mich als An- geber auftrat, liess er hinrichten. Ausserdem gewährte er mir für meine Besitzungen in Judaea Steuerfreiheit, was für denjenigen, dem sie zu teil wird, die höchste Auszeichnung ist Auch seine Gattin Domitia blieb fortan meine Wohlthäterin. Dies ist meine ganze Lebensgeschichte ; meinen Charakter mögen andere danach beurteilen, wenn sie es 74 Des Flavius Joseph us kleinere Schriften. für gut finden. Dir aber, trefflicher Epapbroditos über- gebe ich meine dir gewidmete Schrift über die Archaeo- logie und schliesse hiermit meine Erzählung. 1 Da das Leben des Josephus jedenfalls nach dem Jahre 100 geschrieben wurde, so kann dieser Epapbroditos, dem ausser den Altertümern und der Selbstbiographiq auch die Schrift gegen Apion gewidmet ist, nicht der bekannte Freigelassene Neros gewesen sein, wie vielfach angenommen wird; denn dieser war, als Josephus das „Leben >( schrieb , schon längst tot (s. Sueton., Domitian 14 und Nero 49). Über das hohe Alter des jüdischen Volkes, gegen Apion. Mit Namenregister. Digitized by Google Original from NEW YORK PUBLIC LIBRARY Einleitung. (Nach Jost, J. 6. Mtilltr and Parst.) S. auch Monatsschrift für Gsschichts and Wisssnschaft des Judentums, 1851— 52, 8.7—21; 41— 56; 81— 98; 121—145; 1856, 8. 81—94; 1860, 8. 125—142; 1867, 8. 241 f. a. 289. Haben wir den Josephus bisher hauptsächlich als Historiker kennen gelernt, so zeigt er sich uns in der vorliegenden Schrift von einer ganz neuen Seite, indem er — feinsinnig und geistvoll — für sein vielfach ge- schmähtes und verleumdetes Volk als Apologet in die Schranken tritt. * Gehässige Angriffe auf die Juden, die sich vor der Zerstörung des zweiten Tempels nach den inner-, vorder- und kleinasiatischen Landschaften, nach Aegypten, Nordafrika, Griechenland, Italien, ja bis nach Spanien, Gallien und Germanien zerstreut hatten, waren damals an der Tagesordnung: man missgönnte ihnen die Vorrechte, die sie sich allenthalben durch Fleiss, Treue und Gewandtheit erworben hatten, und an denen trotz des heissen Kampfes in Palaestina auch die römische Herrschaft nichts änderte. Dieser Neid bewirkte alsbald thätliche Angriffe und Zusammenrottungen des Pöbels gegen die jüdischen Mitbürger, und man glaubte sie um so ungescheuter belästigen zu dürfen, als die Angriffe von den Vornehmen begünstigt und von den Statt- haltern unterstützt oder doch ungestraft gelassen wurden. Derartige Aufläufe fanden besonders in Antiochia und Alexandria statt. In Alexandria hatte sich bekanntlich während der 78 Des Flavius Josephas kleinere Schriften. letzten Jahrhunderte vor und des ersten nach Christi Geburt hellenisches Geistesleben und hellenische Litte- ratur zu solcher Blüte entfaltet, dass selbst Athen da- durch in den Hintergrund gedrängt worden war. Den Vergleich mit dem klassischen Hellenentum freilich konnte der alexandrinische Genius nicht aushalten; immerhin aber hatte er eine lebhafte und vielumfassende Bewegung in der Litteratur hervorgebracht. An dem wissenschaft- lichen Leben in Alexandria beteiligten sich nun auch die dortigen Juden in heryorragendem Masse, und so erklärt es sich, warum gerade in dieser Stadt der Hass und das Vorurteil gegen jüdisches Wesen ihren litera- rischen Ausdruck fanden. Apollonios Molon, Poseidonios, Chairemon, Lysimachos und Apion waren die Hauptvertreter der judenfeind- lichen Bewegung, die nichts geringeres bezweckte, als die Verhassten recht- und schutzlos zu machen und sie dadurch der brutalen Willkür des gewaltthätigen Pöbels preiszugeben. Hatten aber die früheren Widersacher weniger aus zielbewusstem Hass als aus Unkenntnis und getrübter Auffassung so ungünstig über die Juden ge- urteilt, so trat als eigentlicher Feind und Verfolger der letzteren mit der Absicht, sie zu kränken, verächtlich zu machen und zu verderben, zuerst Apion auf, und zwar in einer Schrift 4 KaTa TouSatav’, von der es un- gewiss ist, ob sie eine selbständige Abhandlung dar- stellte oder einen Teil des Gesamtwerkes über Aegypten ausmachte (s. Müller, Des Flavius Josephus Schrift gegen den Apion, S. 16 ). Gegen Apion erhob sich Josephus, machte dabei aber zugleich auch gegen die anderen Front, und diesem Umstand haben wir das Gedächtnis jener judenfeindlichen Litteraten überhaupt zu danken, deren Schriften verloren gingen, wenn auch ihre Verleum- Gegen Aplon, Einleitung. 79 düngen und Lügen in den späteren griechischen und römischen Schriftstellern, ja selbst noch bis in die neueste Zeit Nachhall fanden. Die drei Alexandriner Chairemon, Lysimachos und Apion schöpften nun aus einer früheren Quelle gleichen Ursprungs, dem Werke des aegyptischen Oberpriesters Manetho aus Sebennytos. Auch dieses Werk ist ver- loren gegangen, und was wir davon haben, ward uns erst aus zweiter und dritter Hand überliefert. Ja, selbst die Auszüge des Julius Africanus (3. Jahrh. n. Chr.) sind uns erst durch andere übermittelt worden. Gegen Ma- netho als die Quelle der späteren judenfeindlichen Schrift- steller musste alsoJosephus zunächst sich wenden. Was er aber mitteilt, enthält solche Widersprüche, dass es wie Jost bemerkt, wahrscheinlich wird, Josephus selbst habe bereits einen verfälschten Manetho vor sich gehabt. Fälschungen dieser Art gehörten ja in Alexandria zu den alltäglichen Erscheinungen. Beweis dafür ist auch dass die Königslisten des Manetho überall da, wo sie mit den Inschriften auf Pyramiden, Obelisken u. s. w. verglichen werden können, sich als ganz irrig und ver- worren herausstellen. Lebhaftes Interesse hat von jeher Manethos Bericht über die Hyksos oder Hirtenkönige erregt, und nicht minder oft und eingehend ist die Frage der Identificierung der Juden mit den aussätzigen Aegyptern sowie das Verhältnis dieser Aussätzigen zu den Hyksos schriftstellerisch behandelt worden. Es ist hier nicht der Ort, die verschiedenen Ansichten darzu- legen ; ich verweise deshalb auf J. G. Müllers ausführ- lichen kritischen Exkurs' (a. a. O. S. 214 ff.) und Zipsers Abhandlung über diesen Gegenstand (Zipser, Des Flavius Josephus Werk über das hohe Alter des jüdischen Volkes gegen Apion, S. 59 ff.), ferner auf die Schriften von 80 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. Uhlemann (Israeliten und Hyksos in Aegypten) und De Cara (Gli Hy k bös o re pastori di Egitto). Dass Josephus die Israeliten und Hyksos für identisch gehalten hat, kann jedenfalls nach neueren Untersuchungen als feststehend erachtet werden. Der talentloseste, unselbständigste und oberflächlichste unter den Widersachern war zweifellos Apion. Trotz- dem musste er als einer der gefährlichsten gelten, denn keiner hatte so viel aus den Vorurteilen und Schwatze- reien des heidnischen Pöbels geschöpft und sie für ge- schichtliche Wahrheit ausgegeben, wie gerade er. Dass er übrigens mit seinen Machwerken nicht nur der urteils- losen Menge imponierte, sondern auch bei ernsten For- schern Eindruck machte, beweisen einzelne Äusserungen des grossen Tacitus, der, offenbar durch Apions Ver- unglimpfungen der jüdischen Religion veranlasst, jüdischen Glauben und jüdische Sitte sonderbar und abstossend fand (Histor. V, 2 — 5). Dazu kommt noch ein weiteres, die Gefährlichkeit Apions kennzeichnendes Moment. Er beschränkte sich nämlich nicht auf die literarische Be- fehdung der Juden, sondern bethätigte seinen Judenhass auch in praktischer Weise. Denn als unter der Herr- schaft Caligulas in Alexandria Unruhen gegen die Juden ausbrachen und der wackere Philo an der Spitze einer jüdischen Gesandtschaft nach Rom ging, um vom Caesar Abhilfe zu erbitten , da liess sich Apion mit noch einigen anderen Pöbelführern von den heidnischen Alexan- drinern abordnen, um in Rom den Juden entgegenzu- arbeiten* (Jüd. Altert XVIH, 8, 1; Philo, de legat. ad Gaium), und er setzte es in der That durch, dass der wahnwitzige Caesar die Bittsteller mit ihrem Anliegen höhnisch abwies. Es lässt sich denken, welchen Abscheu dieJJuden fortan vor Apion empfunden haben mögen, Go gle Gegen Apion, Einleitung. 81 und wie sein Name an erster Stelle genannt werden musste, wenn von den Feinden des auserwählten Volkes die Rede war. Eine Schrift gegen die Wider- sacher des Judentums konnte sich also nicht besser einführen als dadurch, dass sie die Bezeichnung „Gegen Apion“ trug. Ausser dieser, seit Schedelius (15. Jahrh.) allgemein gebräuchlichen Überschrift führt nun die Abhandlung auch noch eine andere, die als eigentlicher Titel zu be- trachten ist, nämlich: Über das hohe Alter des jüdischen Volkes. Mit ihr bekundet Josephus seine Absicht, den angefochtenen Adel seiner Nation zu retten und dadurch zu bewirken, dass die Geschichte und Religion des jüdischen Volkes ein Gegenstand aufmerksamerer For- schung würden; denn einem Volke, einem Staat, einer Gesetzgebung oder Religion hohes Alter absprechen heisst nach antiker Auffassung nichts geringeres, als ihnen jede höhere Berechtigung streitig machen. Diese seine Absicht hat Josephus vollkommen erreicht: es ist ihm gelungen , das hohe Alter seines Volkes zu be- weisen, und die Art, wie er den Beweis führte, reiht seine Schutzschrift den besten Werken christlicher Apo- logeten würdig an. Die Abfassungszeit der vorliegenden Schrift fällt, wie sich aus I, 10 ergiebt, später als die der Altertümer, wahrscheinlich auch später als die der Selbstbiographie. Sie wäre mithin frühestens in das Jahr 102 n. Ohr. zu verlegen. Weil übrigens Apion bereits im Titel der Schrift eine ausgezeichnete Stelle einnimmt, sei über ihn und seinen Charakter hier das Notwendige bemerkt. — Er war ein hellen isierter Aegyptier und stammte aus der grösseren, südlichen Oase. Da er sich aber in Alexandria Joeephas, Kleinere Schriften. 6 82 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. unter Apollonios, Didymos und Euphranor mit grie- chischen Studien befasste, galt er nach seinem eigenen Willen als Alexandriner. Nachdem er längere Zeit in der gebildeten Welt umhergereist war und sich durch seine Vorlesungen, besonders über Homer (Seneca, Epist- 88, 34 f.) das Bürgerrecht der vornehmsten Städte er- worben hatte, liess er sich in Kom als Lehrer der Gram- matik und Rhetorik nieder. Infolge seiner Belesenheit in der griechischen Litteratur gelangte er zu grossem Ansehen und erhielt, wie Suidas berichtet, wegen seines unermüdlichen Fleisses den Beinamen (labor); auch Eusebius bezeichnet ihn (Praep. Ev. X, 10) als ^eptspYOTÄTO? t<3v ypa^aT^oiv ’. Indes war seine Thätig- keit von einem sehr niedrigen Geiste beseelt. Auf seinen Kunstreisen sammelt er Gunst- und Ehren- bezeugungen für sich und erwirbt sich durch seine Zungen- und Federfertigkeit den Ehrentitel ( IUeiaTO- vucy);’ (der Siegreiche) oder nach der anderen Lesart (Klopffechter). Wie wenig aber seine Fertigkeit im Dienste der Wahrheitsliebe stand, wird am deutlichsten durch das bewiesen, was wir eben durch Josephus aus seinen Schriften erfahren. Masslos eitel und aufgeblasen , zählt er sich ohne Bedenken den grossen Männern des Altertums bei , preist die Alexandriner glücklich, dass sie einen Mitbürger wie ihn besässen, und verspricht jedem die Unsterblichkeit, dem er seine Schriften widmen würde (Plinius, Naturgesch., Vorwort)- Anspielend auf einen Ausspruch des Tiberius, der ihn ^Cymbalum mundi ’ (Allerweltstrompete) genannt hatte, meint daher schon Plinius (a. a. O.), man hätte ihn eher die Posaune seines eigenen Ruhmes nennen können- Seine Schriften sind sämtlich bis auf wenige Bruch- stücke, die Carl Müller (Fragm. hist, graec. 1 — 14 2 ) her- Gegen Apion, Einleitung. 83 ausgegeben hat., verloren gegangen. Nach Josephus (C. A. II, 13) starb er eines elenden Todes. Vergl. über Apion noch die Artikel s. v. in den Encyklopädien von Herzog, Pauly, Ersch u. Gruber; sodann Creuzer, Stud. u. Kritik. 1863, I, S.80f. ; Grässe, Litteraturgesch. I, 2, S. 730; Parthey, Alexandrinisches Museum, ß. 133 ; ßchmitthenner, De rebus judaicis, 1, 13. Was die Anordnung des Stoffes betrifft, bo ist die Teilung in zwei Bücher eine rein äusserliche und nur bedingt durch das Streben, jedem derselben annähernd den gleichen Umfang zu geben (I, 35 Ende). Es geht deshalb nicht an, bei der Analyse des Gedankenganges die Teilung in zwei Bücher zu Grunde zu legen, wie dies Müller (a. a. O. S. 18) gethan hat. Vielmehr muss nach Parets Vorgang die Schrift also zergliedert werden: Einleitung (I, 1 — 11); erster, vorzugsweise abwehrender Teil (1, 12 — II, 13); zweiter, positiv apologetischer und angreifender Teil (II, 14 — 41). Indem ich dieser letzteren Einteilung folge, gebe ich nachstehend den Inhalt der Schrift in aller Kürze an. Einleitung (I, 1 — 11). Die früheren griechischen Geschichtschreiber erwähnen das jüdische Volk nicht, und darum wird dessen hohes Alter von den Widersachern geleugnet (1). Das Still- schweigen der Griechen beweist indes nichts, weil die griechische Geschichtschreibung bei weitem nicht so ehrwürdig und unanfechtbar ist wie die orientalische überhaupt (2 — 5) und die hebräische im besondern (6 — 8). Sodann betont Josephus seine eigene Glaubwürdigkeit als Geschichtschreiber (9 f.) und giebt die drei Haupt- punkte des ersten Teiles der Schrift an (11). G* 84 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. Erster, vorzugsweise abwehrender Teil (1, 12 — II, 13). a. Hätten die alten griechischen Geschichtschreiber das jüdische Volk wirklich nicht gekannt und nichts von ihm berichtet, so würde das noch keineswegs zu dem Schluss berechtigen, dass es jüngeren Ursprungs sei; denn die abgesonderte Lage Palästinas und der Umstand, dass seine Bewohner keinen Handel treiben, machen die Nichterwähnung der Juden in griechischen Geschichts- werken verständlich (12). Mit der gleichen Beweis- führung könnte man der griechischen Nation ihr hohes Alter absprechen. Da sind die Zeugnisse der Nachbar- völker des jüdischen Landes denn doch gewichtiger (13). b. Nun giebt es aber alte ausserjüdische Zeugnisse für das frühe Dasein der jüdischen Nation in Hülle und Fülle, und zwar 1) nichtgriechische: bei den Aegyptiern Manetho (14 — 17); bei den Phoeniciern staat- liche Urkunden, dann Dios, Menander (17 fl) ; bei den Chaldäern gleichfalls staatliche Urkunden, ausserdem Berossos, Philostratos, Megasthenes (19—21); 2) grie- chische: Pythagoras, Herodot, Choirilos, Klearchos und Aristoteles, Hekataios, Agatharchides (22), Theo- philos, Theodotos u. a. Manche Schriftsteller übrigens hätten die Juden erwähnen können, unterlassen es aber aus bösem Willen, wie Hieronymos (23). c. Allerdings sind diese Zeugnisse, so grosse Beweis- kraft für das hohe Alter des jüdischen Volkes sie auch besitzen, doch mit falschen und verleumderischen An- gaben über die Juden durchsetzt; darum ist es not- wendig, die Lügen zu entkräften. Befremdlich ist übrigens die Schmähsucht vieler griechischen Schrift- steller nicht, wenn man bedenkt, dass sie oft Gefallen Gegen Apion, Einleitung. 85 daran finden, ihr eigenes Volk zu verunglimpfen (24)- Nach einer allgemeinen Bemerkung über die Gehässig- keit aegyptischer Berichte inbetreff der Juden (25) werden dann mit ihren Erzählungen vom Auszug der Israeliten aus Aegypten im einzelnen widerlegt : Manetho, Chairemon und Lysimachos (26 — 35); namentlich den beiden letzteren wird nachgewiesen, dass sie sich selbst und unterein- ander widersprechen. Mit dem zweiten Buche wendet sich Josephus gegen den Aegyptier Apion und zeigt, wie falsch dieser Gram- matiker den Auszug aus Aegypten dargestellt habe, ferner wie grundlos- seine Anklagen gegen die alexandrinischen Juden seien, denen er die Berechtigung, in Alexandria zu wohnen, bestreitet und die er als aufrührerisch hin- stellt (II, 1 — 6). Hierauf werden die von grosser Ver- bohrtheit zeugenden Beschuldigungen widerlegt, die der nämliche Apion gegen die Juden überhaupt erhebt: sie beteten einen Eselskopf an, schlachteten Menschen zu rituellen Zwecken; müssten sich eidlich verpflichten, alle Nichtjuden und besonders die Griechen zu hassen ; seien beständig vom Unglück verfolgt, weil die Götter sie nicht leiden könnten; hätten keine bedeutenden Männer auf- zuweisen; opferten Tiere, ässen kein Schweinefleisch und liessen sich beschneiden (7 — 13). Den Schluss des ersten Teiles bilden persönliche Bemerkungen über den Ver- leumder. Zweiter, positiv apologetischer und angreifender Teil (II, 14— 41). Der Verfasser geht nunmehr, nachdem er sich im ersten Teil die Zurückweisung einzelner Anklagen und Verleumdungen hat angelegen sein lassen, zu einer allgemeinen Darstellung der jüdischen Religionsver- 86 Des Flavius Josophus kleinere Schriften. fassung über, weil er auf diese Weise am sichersten die abfälligen Urteile über das Wesen der hebräischen Theokratie und das religiöse Leben der Juden, die vor-, nehmlich von Apollonios Molon ausgingen, widerlegen zu können glaubt. Aus dieser Darstellung werde sich ergeben, dass das mosaische Gesetz nicht zur Gottlosig- keit und zum Menscbenhass , sondern zur Frömmigkeit, Nächstenliebe und Sittlichkeit erziehe (14). a. Zunächst wird, wie dies bereits I, 31 geschehen ist, Moses nochmals als ältester Gesetzgeber hingestellt und hervorgehoben , dass er sich durch Reinheit der Sitten ausgezeichnet habe (16 f.). b. Dann folgt eine allgemeine Schilderung seines Werkes, der Gesetzgebung, mit der er die theokratische Verfassung der Juden begründete. Die Gotteserkenntnis machte er zum Gemeingut des Volkes; alle Verhältnisse des Lebens sollten auf Frömmigkeit begründet sein, alle bürgerlichen Pflichten von den Pflichten gegen Gott sich herleiten. Auch sorgte er im Gegensatz zu anderen Gesetzgebern dafür, dass theoretische Unterweisung in den Gesetzes Vorschriften und praktische Bethätigung der- selben Hand in Hand gingen (16 f.). Zu dem Zweck muss jeder Jude mit den Bestimmungen des Gesetzes bis ins kleinste vertraut sein (17 f.). Die hierdurch be- wirkte Einheit des Glaubens erklärt das feste Zusammen- halten der Israeliten (19) und den Mangel an genialen Männern (20 f.). Wie die Verfassung Gottherrschaft (Theokratie), so ist das gesamte Leben der Juden ein einziger feierlicher Gottesdienst (21 f.). c. Hierauf wird das mosaische Gesetz im einzelnen besprochen: Gott und seine Werke (22) ; Tempel, Priester, Opfer, Gebete und Reinigungen (23); Bestimmungen über Ehe und Geschlechtsverkehr (24), Kindererziehung Gegen Apion, Einleitung. 87 (26), Totenbestattung (26); das pflichtmässige Verhalten gegen Eltern und Greise ; Gesetze über Freundschaft, Rechtsprechung, Eigentum (27); Benehmen gegen Fremde und Andersgläubige (28), Feinde und Tiere (29). — Der fromme Israelit verlangt für seine Gesetzestreue keine materielle Belohnung, sondern begnügt sich mit dem Zeugnis, das sein gutes Gewissen ihm- erteilt (30). Überhaupt steht das Gesetz auf einer idealen Höhe, die selbst Plato in seiner Politeia bei weitem nicht erreicht; nie wurde es verändert (31), und das Volk hängt an ihm mit einer Liebe, die alles Ungemach erträgt und selbst den Bekennertod nicht scheut (32). d. Hatte Josephus bisher schon einige kritische Be- merkungen über ausseijüdische Gesetzgebungen einfliessen lassen, so unternimmt er jetzt, nicht ohne vorgängige Entschuldigung (33), einen Angriff auf die griechische Götterlehre (33 f.) und äussert sich missbilligend über solche Gesetzgeber, die der Religion keine Bedeu- tung im Staate beimassen, sie vielmehr den Dichtern und Künstlern überliessen (35). Es folgen einige weitere Bemerkungen über Apollonios Molon, dem die echten griechischen Philosophen und besonders Plato, letzterer als Nachahmer des Moses, gegenübergestellt werden (36). Sodann weist der Verfasser darauf hin, dass die Abneigung gegen den Verkehr mit Fremden und überhaupt die Unduldsamkeit, die man den Juden zum Vorwurf mache, weit mehr eine Eigentümlichkeit der besten griechischen Gesetzgebungen als der jüdischen seien (36 f.) , dass die Israeliten lediglich die Rein- erhaltung ihres Gesetzes im Auge hätten (38), aber auch bereitwillig Fremde in ihre religiöse Gemeinschaft auf- nähmen, und dass der jüdische Glaube bei Griechen und Barbaren stets grössere Anerkennung und Verbreitung 88 Des Flavias Joscphas kleinere Schriften. finde, woraus die Vortrefflichkeit des Gesetzes sich aufs klarste ergebe (39). Endlich fasst er die Hauptpunkte der Schrift nochmals kurz zusammen, kommt zu dem Ergebnis, dass die Verleumder wirkungsvoll abgethan seien, und schlies6t mit der Widmung an Epaphro- ditos (40 f.) Erstes Buch. 1. Bereits in dem Werke über die Altertümer, welches die Geschichte von fünftausend Jahren umfasst und auf Grund unserer heiligen Bücher von mir in griechischer Sprache geschrieben wurde, habe ich, treff- licher Epaphroditos, die Leser desselben meiner Meinung nach hinreichend davon überzeugt, das9 unser, der Juden Volk das älteste ist, dass es am ehesten ein selbständiges Dasein erlangte, und wie es in dem Lande, welches wir jetzt bewohnen, sich ansiedelte. Da ich aber sehe, dass gar viele den böswilligen Verdächtigungen gewisser Menschen Glauben schenken, meinen Ausführungen in der Schrift über die Altertümer nicht trauen und die spätere Entstehung unseres Volkes aus dem Umstand herzuleiten suchen, dass es von den berühmten grie- chischen Geschichtschreibern keiner Erwähnung für wert gehalten wurde, so glaubte ich über alle diese Punkte eine kurze Abhandlung schreiben zu müssen, einmal um die geflissentliche Verdrehung der Thatsachen seitens der Lästerer und die Böswilligkeit jener Leute zu kenn- zeichnen, dann aber auch um die Unwissenheit der anderen zu belehren und allen, die die Wahrheit zu er- fahren wünschen, das hohe Alter unseres Volkes zu beweisen. .Als Zeugen für meine Behauptungen werde ich diejenigen anführen, die, was Kenntnis des Alter- tums überhaupt betrifft, bei den Griechen als besonders glaubwürdig gelten; solche aber, deren Schriften über uns von Verleumdungen und Lügen wimmeln, will ich sich selbst widerlegen lassen. Auch werde ich versuchen, die Gründe anzugeben, weshalb so wenige Griechen in 90 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. ihren Geschichtswerken unseres Volkes Erwähnung ge- than, anderseits aber auch zu Nutz und Frommen derer, die es nicht wissen oder sich stellen, als wüssten sie es nicht, diejenigen Männer namhaft machen, die unsere Geschichte nicht übergangen haben. 2. Zunächst muss ich mich lebhaft über diejenigen verwundern, die da meinen, man dürfe in Bezug auf die ältesten Begebenheiten sich nur an die Griechen halten und bei ihnen allein die Wahrheit suchen, während wir und die anderen Menschen keinen Glauben verdienten. Sehe ich doch, dass das gerade Gegenteil davon zu- trifft, wofern man überhaupt den Thatsachen gemäss urteilen und nicht etwa von leeren Einbildungen sich leiten lassen will. Bei den Griechen nämlich ist, wie du finden wirst, alles neu und sozusagen erst gestern und vorgestern geschehen : die Gründung der Städte, die Erfindung der Künste und die Aufzeichnung der Gesetze ; fast das allerneueste aber ist bei ihnen die Pflege der Geschichtschreibung. Anderseits giebt es, wie sie selbst gestehen, die älteste und stetigste Überlieferung bei den Aegyptiern, Chaldäern und Phoeniciern; uns nämlich will ich für jetzt noch nicht mit diesen zusammen er- wähnen. Alle jene Völkerschaften wohnen ja in Gegenden, welche am wenigsten den aus umliegenden Ländern kommenden Verderbnissen ausgesetzt sind, und sie haben von jeher eine besondere Sorgfalt darauf verwendet, dass die bei ihnen sich abspielenden Vorgänge nicht der Ver- gessenheit anheimfallen möchten, sondern stets von den weisesten Männern in öffentlichen Urkunden niedergelegt würden. Griechenland dagegen war in seiner ganzen Ausdehnung von tausendfältigen Drangsalen heimgesucht, welche die Erinnerung an die Vergangenheit verwischten, und weil das Leben immer wieder auf neuen Grund- lagen sich vollzog, so glaubte jedes Zeitalter, das, womit es selbst begann, sei überhaupt der Anfang gewesen. Auch lernten die Griechen erst spät und unzureichend die Buchstabenschrift: denn selbst die, welche den Ge- brauch der Schrift am weitesten in die Vorzeit zurück- Gegen Apion, Erstes Buch. 91 versetzen, können nichts anderes zu ihren Gunsten an- führen, als dass ihnen dieselbe von den Phoeniciern und von Kadmos überkommen ist, und auch aus dieser Zeit vermag niemand ein Schriftstück aufzuweisen, das sich in Tempel- oder Staatsarchiven erhalten hätte.' Ja, es ist sogar recht fraglich, ob auch nur die, welche um vieles später den Feldzug nach Troja unternahmen, sich der Schrift bedient haben ; kommt doch als die richtigere Ansicht mehr und mehr diejenige zur Geltung, dass ihnen die jetzt übliche Buchstabenschrift unbekannt war . 1 Überhaupt findet sich aber bei den Griechen kein Schriftwerk, von dem ein höheres Alter als das der homerischen Dichtung erwiesen wäre. Dieser Dichter lebte indes offenbar lange nach der trojanischen Epoche, und auch er hat ja, wie es heisst, sein Gedicht nicht schriftlich pufgezeichnet hinterlassen, sondern es soll, nachdem sich die einzelnen Gesänge durch Überlieferung fortgepflanzt hatten, erst später zu einem Ganzen ver- bunden worden sein, weshalb es auch so viele Text- verschiedenheiten aufweise. Diejenigen vollends, die sich bei den Griechen zuerst auf Geschichtschreibung ver- legten, z. B. der Milesier Kadmos, der Argeier Akusilaos 2 und wer etwa ausser ihnen sonst noch genannt wird, fallen der Zeit nach erBt kurz vor den Kriegszug der Perser gegen Griechenland. Auch sind jene Männer, welche zuerst unter den Griechen über himmlische und göttliche Dinge philosophische Untersuchungen anstellten, wie der Syrier Pherekydes, Pythagoras und Thaies, nach allgemeinem und einhelligem Zugeständnis Schüler der Aegyptier und Chaldäer gewesen und haben nur weniges schriftlich aufgezeichnet. Anscheinend halten die Griechen deren Schriften für die ältesten; dass sie aber auch 1 Vergl. jedoch Plinius, Naturgesch., VII, 57 ; XIII, 11. Josephus will wohl sagen, der Gebrauch, den die spätere Zeit von der Buch- stabenschrift machte, sei damals unbekannt gewesen. 2 Näheres ftber die in dieser Abhandlung erwähnten Schrift- steller etc. s. im Namenregister. 92 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. wirklich von ihnen verfasst sind, glauben sie nur halb. 3. Wie unvernünftig ist es daher von den Griechen, zu meinen, sie allein kannten die Vorzeit und niemand ausser ihnen besitze die genaue Geschichte derselben! Kann man doch gerade von ihren Geschichtschreibern mit leichter Mühe erfahren, dass sie ohne zuverlässige Kenntnis der Thatsachen und nur nach den Vermutungen geschrieben haben, wie ein jeder sie über die Begeben- heiten hegte. Denn in ihren Büchern widerlegen sie meist einander selbst und scheuen sich nicht, über gleiche Vorgänge die entgegengesetztesten Behauptungen aufzu- stellen. Ganz überflüssig wäre es, wenn ich die, welche es besser wissen als ich, darüber belehren wollte, in wie vielfacher Hinsicht Hellanikos bei der Aufstellung der Geschlechtsregister mit Akusilaos nicht übpreinstimmt, wie oft Akusilaos den Hesiod berichtigt, oder wie Ephoros dem Hellanikos, dem Ephoros Timaios, dem Timaios seine Nachfolger, dem Herodot aber alle miteinander eine Menge Unwahrheiten nach weisen. Was die Ge- schichte der Sikuler betrifft, glaubt Timaios dem An- tiochos, Philistos, Kallias und deren Schülern wider- sprechen zu müssen ; in der attischen Geschichte weichen die, welche über Attika geschrieben, in der argolischen die, welche über Argos berichtet haben, voneinander ab. Doch was brauche ich die Geschichte von Städten und kleineren Gemeinwesen überhaupt zu erwähnen, da sogar über den Perserkrieg und dessen einzelne Begebenheiten die berühmtesten Schriftsteller nicht einig sind? Wird doch von manchen selbst Thukydides des Mangels an Wahrheitsliebe bezichtigt, obwohl er, wie man an- nimmt, die genaueste Geschichte seiner Zeit ge- schrieben hat. 4. Will man nach den Gründen dieses erheblichen Mangels an Übereinstimmung forschen, so mag man vielleicht deren viele entdecken; auf zwei aber, die ich sogleich anführen werde, lege ich das grösste Gewicht. Der meiner Meinung nach wichtigste, mit dem ich Gegen Apion, Erstes Buch. 03 beginne, liegt darin, dass bei den Griechen von jeher kein Eifer darauf verwandt worden ist, die jeweiligen Ereignisse in öffentlichen Urkunden aufzuzeichnen. Gerade dieser Fehler hat bei denen, die später über die alten Begebenheiten etwas schreiben wollten, dem Irrtum und der Entstellung Thür und Thor geöffnet. Denn abgesehen davon, dass auf derartige Aufzeichnungen von den übrigen Griechen kein Wert gelegt wurde, finden wir nicht einmal bei den Athenern, die doch als echte Ureinwohner des Landes und besondere Hüter der Bildung angesehen werden, dass etwas in dieser Be- ziehung geschehen sei. Vielmehr galten für die ältesten öffentlichen Schriften bei ihnen die Gesetze über den Mord, welche ihnen von Drakon gegeben wurden, einem Manne, der nur kurze Zeit vor der Tyrannenherrschaft des Peisistratos lebte. Über die Arkader, die von dem hohen Alter ihres Volkes so viel Aufhebens machen, brauche ich ohnehin kein Wort zu verlieren; denn sie haben ja auch später kaum irgend eine literarische Be- deutung erlangt. 5. Dieser Umstand also, dass keine älteren Aufzeich- nungen vorhanden waren , aus denen die Wissbegierigen sich unterrichten und durch welche; die Verfälscher der Wahrheit überführt werden konnten, erklärt den vielfachen Widerspruch der Geschichtschreiber untereinander. Dem ersten Grunde ist dann noch der folgende hinzuzufügen. Diejenigen, welche sich auf Geschichtschreibung verlegten, bemühten sich nicht sowohl um die Wahrheit — ob- gleich sie nicht müde wurden, dies zu versichern — sondern sie wollten nur ihre Redegewandtheit zeigen, 1 und jedes Mittel, wodurch sie andere hierin übertreffen zu können meinten, war ihnen eben recht. So. wandten sich denn die einen zur Fabelei, andere lobten aus Ge- fallsucht Städte oder Könige, wieder andere unternahmen es, die Thatsachen selbst oder die, welche sie schilderten, 1 So auch Aristot., Polit. V, 10; Strabo I ; Josephus, Jüd. Krieg, Voiwort 5. Go gle 94 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. zu verkleinern, und glaubten sich dadurch besonderen Ruhm zu verschaffen: kurzum, sie gefallen sich in einer Thätigkeit, die das gerade Qegenteil von echter Ge- schichtschreibung ist. Denn während für die Wahrheit der letzteren der Beweis darin liegt, dass über die gleichen Gegenstände alle dasselbe sagen und schreiben, glaubten sie nur dann als recht wahrheitsliebend zu er- scheinen, wenn jeder den nämlichen Gegenstand anders darstellte. Allerdings was äussere Form und die Meister- schaft darin an geht, müssen wir den griechischen Schrift- stellern den Vorrang lassen, nicht aber auch in betreff der Wahrheit der Urgeschichte überhaupt und am aller- wenigsten hinsichtlich der jedem Volke eigentümlichen Geschichte der Vorzeit. 6. Dass nun bei den Aegyptiem und Babyloniern von alters her mit der Besorgung geschichtlicher Auf- zeichnungen die Priester und bei den Babyloniern ins- besondere die Chaldäer 1 betraut waren, dass ferner von den Völkern, die zu den Griechen Verkehrsbeziehungen unterhielten, vornehmlich die Phoenicier sowohl im Handel und Wandel als zur Herstellung staatlicher Urkunden sich der Schrift bedienten, glaube ich, da es allgemein zugegeben wird, nicht weiter ausführen zu sollen. Dass aber unsere Vorfahren die gleiche Sorgfalt — ob nicht vielleicht eine noch grössere als die Genannten, lasse ich dahingestellt — auf geschichtliche Aufzeichnungen verwandten, indem sie dieselben den Hohepriestern und Propheten übertrugen , und dass diese Aufzeich- nungen . bis zu unseren Zeiten mit grosser Gewissen- haftigkeit bewahrt worden sind und, wenn ich kühner reden darf, auch in Zukunft werden bewahrt bleiben, will ich versuchen in Kürze darzuthun. 7. Sie haben nämlich nicht nur von Anfang an diese Verrichtung den besten und im Dienste Gottes eifrigsten Männern übertragen, sondern sie Hessen es sich auch 1 Gemeint sind die Chaldäer im engeren Sinne, die Mitglieder der Priesterkaste. Gegen Apion, Erstes Buch. 95 angelegen sein, das Geschlecht der Priester unvermischt und rein zu erhalten. Denn wer des Priestertums teil- haftig ist, darf nur mit einer Landsmännin Kinder zeugen und bei ihr weder auf Geld noch auf sonstige Vorzüge sehen, sondern er muss zunächst ihre Herkunft prüfen, indem er die Erbfolge aus den alten Geschlechtern in Betracht zieht und zahlreiche Zeugen beibringt. Und so halten wir es nicht nur in Judaea selbst — sondern überall, wo zahlreichere Gemeinden unseres Volkes sich befinden, da werden auch die Vorschriften über die Ehe- Bchliessung der Priester genau beobachtet, wie in Aegypten, in Babylon und wo sonst in der Welt jüdische Priester zerstreut sind. Denn die letzteren schicken dann die Namen ihrer Eltern und der Voreltern väterlicher- seits nach Jerusalem unter gleichzeitiger Angabe von Zeugen. Bricht ein Krieg aus, wie dies schon oft der Fall war, z.B. als Antiochus Epiphanes, Pompejus Magnus und Quintilius Varus ins Land einfielen, be- sonders aber in unseren Tagen , 1 so stellen die übrig- gebliebenen Priester aus den alten Urkunden wieder neue zusammen und prüfen die noch lebenden Weiber. Denn die in Kriegsgefangenschaft geratenen nehmen sie nicht in die Listen auf, weil sie bei ihnen den in diesem Falle so häufigen geschlechtlichen Verkehr mit Fremden vermuten. Der beste Beweis für die Sorgfalt, womit hierbei zu Werk gegangen wird, ist der, dass bei uns alle Hohepriester seit zweitausend Jahren mit Namen und unter Angabe ihres Stammbaums von väterlicher Seite in den Urkunden aufgeführt sind, und wer irgend eine der genannten Bedingungen nicht erfüllt, darf weder den Altardienst versehen noch an den übrigen heiligen Handlungen teilnehmen. Erklärlich ist ja auch die Ge- nauigkeit der Register, oder vielmehr sie muss unbedingt vorhanden sein, da nicht jeder nach Belieben die Ein- tragungen machen durfte, wobei es ohne Widersprüche wohl nicht hergegangen wäre, sondern jenes Recht nur Bezieht sich auf den Krieg unter Vespasianus und Titus. 96 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. den Propheten zustand, welche die ältesten Ereignisse der Vorzeit durch göttliche Eingebung erfahren und die Begebnisse der eigenen Tage genau so, wie sie sich zu- trugen, geschildert haben. 8. Denn bei uns giebt es keine Unzahl voneinander abweichender und sich gegenseitig widersprechender Bücher, sondern nur zweiundzwanzig, 1 welche die ge- samte Vergangenheit schildern und mit Recht als gött- lich angesehen werden. Fünf derselben sind von Moyses; 2 sie enthalten die Gesetze und die Geschichte von der Entstehung des Menschengeschlechtes bis zum Tode des Verfassers. Dieser Zeitraum erstreckt sich über beiläufig drei Jahrtausende. Vom Ableben des Moyses aber bis zur Regierung des Artaxerxes, der nach Xerxes über die Perser herrschte, haben die auf Moyses folgenden Propheten die Begebenheiten ihrer Zeit in dreizehn Büchern aufgezeichnet; die übrigen vier enthalten Lob- gesänge auf Gott und Vorschriften für das Leben der Menschen. Auch von Artaxerxes an bis auf unsere Tage ist alles eingehend beschrieben ; diese Bücher stehen aber nicht in gleichem Ansehen wie die früheren, weil es da an der genauen Aufeinanderfolge der Propheten mangelte. 3 Ein Beweis für das Vertrauen , das wir jenen volkstümlichen Schriften entgegenbringen, ergiebt sich übrigens aus folgender Thatsache. In den vielen Jahrhunderten , die seit Abfassung der erwähnten Bücher verstrichen sind, hat noch niemand sich erdreistet, Zusätze im Text anzubringen oder Verstümmelungen und sonstige Änderungen daran vorzunehmen. Alle 1 Josephus zählt hier folgendermassen : 1), 2), S), 4), 5) Penta- teuch, 6) Josua, 7) Richter, 8) Ruth, 9) Sam. I, II, Kön. I, II, 10) Chronik I, II, 11) Esra, 12) Nehemia , 13) Esther, 14) Hiob, 15) PsalmeD, 16) Sprüche Salomons, 17) Prediger nebst dem Hoben Lied, 18)Jesaias, 19) Jeremias nebst den Klageliedern, 20) Ezechiel, 21) Daniel, 22) Kleine Propheten. * Ueber die von Josephus beliebte Schreibweise und Ableitung des Namens vergl. J. A. II, 9, 6 sowie Abschnitt 31 des vorliegenden Buches. a Hier sind wohl die Apokryphen gemeint. Gegen Apion, Erstes Buch. 97 Juden bringen vielmehr den Glauben an deren göttlichen Ursprung gleichsam mit zur Welt wie auch den Vorsatz, ihnen treu zu bleiben und, wenn es sein muss, mit Freuden für sie zu sterbpn. Hat man doch schon oft Kriegsgefangene gesehen, die massenhaft bei der Auf- führung von Schauspielen Folterqualen und alle mög- lichen Todesarten auf sich nahmen, nur um kein Wort gegen die Gesetze und die dazu gehörigen Schriften aus- sprechen zu müssen. Welcher Grieche würde das für sein Gesetz erdulden oder auch nur den geringsten Schaden sich gefallen lassen, selbst wenn er dadurch die gesamte Litteratur seines Vaterlandes vom Unter- gang retten könnte? Denn sie halten ihre Schriften doch nur für rednerische Kunststücke, in denen die Verfasser sich nach Herzenslust breit machten. Und mit Recht denken sie in dieser Weise sogar von den älteren Schriftstellern; müssen sie doch sehen, wie einige ihrer Zeitgenossen über Ereignisse schreiben, bei denen sie nicht persönlich zugegen waren und über die sie nicht einmal bei Augenzeugen sich zu erkundigen für gut fanden. Selbst über den Krieg, den wir jüngst führten, haben gewisse Leute Berichte geschrieben und veröffentlicht, ohne an Ort und Stelle gewesen zu sein, ja ohne auch nur in die Nähe des Kriegsschauplatzes sich begeben zu haben. Vielmehr stellten sie nur vom Hörensagen einiges zusammen und waren dann dreist genug, den Namen Geschichte durch derartiges Geschreibsel zu verunglimpfen. 1 9. Ich dagegen habe sowohl den Krieg im allgemeinen, wie auch die einzelnen Begebenheiten desselben wahr- heitsgetreu schildern können, weil ich an allen Ereig- nissen persönlich teilnahra. Denn zunächst befehligte ich, so lange noch Widerstand möglich war, die soge- 1 Bezieht sich auf Justus von Tiberias (vergl. Selbstbiographie, Abschnitt 65) , für den der Franzose Salvador (Geschichte der Römerherrschaft in Judaea) eine Lanze brechen zu müssen glaubte. Josephus, Kleinere Schriften. 7 Go gle Des Flavius Josephus kleinere Schriften. nannten Galiläer; hierauf geriet ich in römische Kriegs- gefangenschaft und wurde während meiner Haft von Vespasianus und Titus genötigt, ihnen beständig zur Seite zu bleiben, wobei man mich anfangs gefesselt hielt ; später ward ich meiner Bande entledigt und von Alexan- dria aus mit Titus zur Belagerung Jerusalems geschickt. In dieser Zeit entzog sich nicht das Geringste meiner Kenntnis ; denn was ich im Lager der Römer sah, schrieb ich sorgfältig nieder, und die Berichte der Überläufer waren ohnehin nur mir verständlich. Als ich sodann in Rom Müsse fand und den ganzen Stoff beisammen hatte, verfasste ich die genaue Darstellung der Begebenheiten, indem ich der griechischen Sprache wegen einige Hilfs- kräfte heranzog. Dabei gab mir das Bewusstsein der Wahrhaftigkeit einen solchen Mut, dass ich die beiden Männer, die aus jenem Kriege als Imperatoren hervor- gingen, Vespasianus und Titus, vor allen anderen als Zeugen glaubte anrufen zu dürfen. Denn ihnen zuerst übergab ich die Bücher, die ich hernach an viele Römer verkaufte, welche den Krieg mitgemacht hatten, sowie ferner an viele meiner Landsleute. Unter den letzteren befanden sich Männer, die auch mit griechischer Weis- heit wohl vertraut waren, wie Julius Archelaus, 1 der er- lauchte Herodes 2 und der hoch bewunderte König Agrippa selbst. Sie alle bezeugten mir, dass ich gewissenhaft der Wahrheit die Ehre gegeben, und sie würden gewiss nicht geschwiegen haben, wenn ich aus Unwissenheit oder Liebedienerei irgendwelche Thatsachen verdreht oder übergangen hätte. 10. Nichtsdestoweniger erfrechten sich gewisse schlechte Menschen, mein Geschichtswerk zu verkleinern, indem sie dasselbe nur als Übungsstück hinstellen, wie es etwa 1 Sohn des Helkiäs und Schwiegersohn Agrippas des Grossen (s. J. A. XIX, 9, 1 ; XX, 7,1; 7, 3). 2 Wahrscheinlich ein Sohn des jüngeren Phasael und der Sa- lampsio (s. J. A. XVIII, 5, 4). Dass er zur königlichen Familie Herodes’ des Grossen gehörte, beweist das Prädikat „erlaucht“ (oEjivoTatos) . Gegen Apion, Erstes Buch. 99 von jungen Leuten in der Schule angefertigt wird. Damit bringen eie freilich eine ungeheuerliche Anklage und Verleumdung vor. Man sollte doch wissen, dass, wer anderen eine Darstellung thatsächlicher Begebenheiten verspricht, zuvor selbst genaue Kenntnis davon erlangt haben muss, entweder dadurch , dass er mit dabei ge- wesen ist, oder dadurch, dass er sie von Augenzeugen vernommen hat; und eben dies glaube ich bei beiden Werken recht sorgfältig gethan zu haben. Denn die Altertümer übersetzte ich, wie schon erwähnt, aus den heiligen Schriften, da ich als Priester und Abkömmling eines Priestergeschlechtes die in den letzteren enthaltene Weisheit besonders verstehe; die Geschichte des Krieges aber schrieb ich, nachdem ich bei vielen Ereignissen desselben die handelnde Hauptperson, bei den meisten Augenzeuge gewesen war, überhaupt aber alles, was während des Krieges verhandelt und vollführt wurde, mit sämtlichen Einzelheiten in Erfahrung gebracht hatte. Wie könnte also das Benehmen derer, die sich er- kühnen, mir die Wahrheit streitig zu machen, etwas anderes als Frechheit sein? Mögen sie immerhin sagen, sie hätten die Denkwürdigkeiten der Imperatoren ge- lesen : bei dem , was auf unserer, der Gegner, Seite vor- ging, sind sie doch nicht zugegen gewesen. 11. Notgedrungen machte ich diese Abschweifung, wodurch ich zugleich die mangelhafte Befähigung derer, die sich als Geschichtschreiber aufspielen, zeigen wollte. Nachdem ich nun im Vorstehenden genugsam, wie ich glaube, bewiesen habe, dass schriftliche Aufzeichnung alter Begebenheiten bei den Barbaren mehr als bei den Griechen zu Hause ist, will ich zunächst mit denen, die aus dem angeblichen Stillschweigen griechischer Ge- schichtschreiber über uns Veranlassung nehmen, das hohe Alter unseres Volkes zu leugnen, eine kurze Erörterung halten und sodann aus den schriftlichen Urkunden anderer Völker Zeugnisse für unser frühes Dasein bei- bringen sowie die völlige Grundlosigkeit der gegen unsere Nation vorgebrachten Schmähungen darthun. Go gle oGsS . o 7 100 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 12. Wir Juden bewohnen weder ein Küstenland, 1 noch haben wir Freude am Handel 2 und dem dadurch begünstigten Verkehr mit den Fremden — sondern unsere Städte liegen weit vom Meere entfernt, und wir be- schäftigen uns hauptsächlich mit der Bearbeitung unseres vortrefflichen Ackerbodens. Den grössten Eifer aber verwenden wir auf die Erziehung der Kinder, und die Beobachtung der Gesetze wie der durch sie überlieferten Frömmigkeit machen wir zur wichtigsten Aufgabe unseres Lebens. Erwägt man nun ausser dem Gesagten noch die Eigentümlichkeit unserer Lebensweise, so ergiebt sich, dass keiner von den Anlässen vorlag, welche in früheren Zeiten einen Verkehr der Unsern mit den Griechen hätten bewirken können, wie ein solcher Verkehr der letzteren mit den Aegyptiern durch die Ein- und Aus- fuhr, mit den Bewohnern der phoenicischen Küste durch den Eifer im Klein- und Grosshandel aus Liebe zum Geldgewinn entstand. Auch verlegten sich unsere Vor- fahren nicht wie gewisse andere Völker auf Räubereien 3 oder Eroberungskriege, obgleich ihr Land viele Tausende beherzter Männer aufwies, ßo kam es denn, dass die Phoenicier, indem sie des Handels wegen zu den Griechen segelten, alsbald mit diesen bekannt wurden, und durch sie die Aegyptier und weiterhin alle diejenigen, aus deren Ländern sie, weite Meeresstrecken durchfahrend, den Griechen Schiffsladungen zubrachten. In der Folge lernten sie auch die Meder und Perser dadurch kennen, dass diese ihre Herrschaft weiter über Asien ausbreiteten, die letzteren insbesondere durch deren Kriegszug in den anderen Weltteil; von den Thrakern erhielt man Nach- richt, weil sie in ziemlicher Nähe wohnten, von den 1 In etwas gezwungener Weise verwertet hier Josephus für seine Beweisführung den Umstand, das9 die KUstenstädte Paiaestinas vor- zugsweise von Heiden bewohnt waren. 2 Thatsfichlich war die Hauptbeschäftigung der damaligen palae- stinischen Juden Ackerbau und Handwerk; den Handel begünstigte ja auch das Gesetz in keiner Weise. J D. h. Seeräuberei. Go gle Gegen Apion, Erstes Buch. 101 Skythen durch die den Pontus befahrenden Schiffer. Überhaupt kam zu denen, welche sich in Geschicht- schreibung versuchen wollten, viel eher die Kunde von den Küstenbewohnern, mochte es sich nun um das öst- liche oder das westliche Meer handeln, als von den Völkern im Binnenlande, über die sie zumeist gar nichts erfuhren. Das war augenscheinlich schon in Europa der Fall: denn die Stadt Rom, die bereits seit langer Zeit eine bedeutende Macht erlangt hatte und von der so herrliche Kriegsthaten ausgegangen waren, hat weder Herodot noch Thukydides noch ein Zeitgenosse dieser beiden erwähnt, sondern erst verhältnismässig spät drang ein dunkles Gerücht von ihr zu den Griechen. Und vollends über die Gallier und Iberer sind die Geschicht- schreiber, welche für die gründlichsten gelten , wie z. B. Ephoros, in solcher Unwissenheit, dass dieser die Iberer, die doch einen grossen Teil der westlichen Erde innehaben, für die Bewohner einer einzigen Stadt hält, und dass jene Geschichtschreiber insgemein ihnen Gewohnheiten als wirklich bei ihnen bestehend zuschreiben, die weder unter ihnen anzutreffen noch sonst von jemand behauptet worden sind. Dass sie die Wahrheit nicht kannten, lag an dem mangelhaften Verkehr, dass sie falsche Berichte schrieben, an der Sucht, mehr als andere erzählen zu wollen. Ist es da noch zu verwundern, wenn auch unser Volk, das so weit vom Meere entfernt wohnt und eine so eigentümliche Lebensweise führt, nicht gar vielen bekannt wurde und keinen Anlass bot, es in Schrift- werken zu erwähnen? 13. Gesetzt nun den Fall, wir wollten umgekehrt zum Beweis dafür, dass die Griechen keine alte Nation sind, uns darauf stützen, dass in unseren Schriften nichts von ihnen erwähnt wird. Würden sie dann nicht alle uns auslachen, vermutlich die gleichen Gründe, die ich eben geltend machte, Vorbringen und ihre Nachbarvölker als Zeugen ihres frühen Daseins anführen ? Nun , so will auch ich dasselbe zu thun versuchen. Die Aegyptier hauptsächlich und die Phoenicier möchte ich als Zeugen 102 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. aufrufen , und es wird wohl niemand ihr Zeugnis als falsch verwerfen können. Denn bekanntlich sind die Aegyptier insgesamt sehr schlecht auf uns zu sprechen, wie unter den Phoeniciern besonders die Tyrier. Von den Chaldäern kann ich allerdings nicht dasselbe sagen, weil sie das Stammvolk unseres Geschlechtes sind und auch in ihren Schriften der Juden als eines ihnen ver- wandten Volkes Erwähnung thun. Nachdem ich von 1 ihnen Beweise beigebracht, werde ich zu den griechischen Schriftstellern übergehen, welche die Juden erwähnt haben, damit die Verleumder auch von dieser Seite keine Gründe für ihren Widerspruch gegen uns mehr heran- ziehen können. 14. Beginnen will ich also mit den aegyptischen Urkunden. Sie selbst hierher zu setzen ist freilich nicht angängig. Manetho aber war bekanntlich* geborener Aegyptier und besass griechische Bildung, denn er schrieb in griechischer Sprache 2 die Geschichte seines Vater- landes und zwar, wie er selbst sagt, indem er aus den heiligen Büchern übersetzte; auch weist er nach, dass Herodot, was die aegyptische Geschichte anlangt, aus Unkenntnis viele Irrtümer begangen hat. Dieser Manetho nun schreibt im zweiten Buche seiner „ Aegyptiaka “ über uns wie folgt (ich führe seine eigenen Worte an, da ich ihn gewissermassen als Zeugen sprechen lassen will): „Wir hatten einen König mit Namen Timaos ; während seiner Regierung entzog uns die Gottheit — ich weiss nicht weshalb — ihre Gunst: ganz unerwartet drangen Menschen von unbekannter Abstammung aus den östlichen Gegenden mit keckem Mut in unser Land ein und brachten es leicht und ohne Schwertstreich in ihre Gewalt. Und nachdem sie sich der Befehlshaber bemächtigt hatten, legten sie schonungslos die Städte in Asche und verwüsteten die Heiligtümer der Götter; alle Eingeborenen behandelten sie aufs feindseligste, indem 1 Statt rao'i ist zu setzen rocpi. * S. jedoch Uhlemann, Israeliten und Hyksos in Aegypten, S. 6. Go gle Gegen Apion, Erstes Bncb. 103 sie die einen niedermachten, den anderen Weib und Kind in die Sklaverei fortechleppten. Schliesslich machten sie einen aus ihrer Mitte Namens Salatis zum König. Dieser liess sich in Memphis nieder, legte dem oberen und unteren Lande schwere Steuern auf und versah die geeignetsten Plätze mit Besatzungen. Hauptsächlich aber befestigte er die östlichen Teile des Landes, um sich gegen die damals übermächtigen Assyrier zu schützen, von denen er annahm, dass sie einen Einfall ins näm- liche Königreich planten. Da er nun im Saitischen Bezirk eine östlich vom bubastischen Arm des Flusses 1 sehr günstig gelegene Stadt entdeckte, die nach dem Verfasser einer älteren Götterlehre Auaris genannt wurde, erweiterte er sie , befestigte sie mit äusserst starken Mauern und legte eine Besatzung von nahezu zwei- hundertvierzigtausend Schwerbewaffneten hinein. Hierher kam er zur Sommerszeit, teils um die Verteilung von Proviant und Sold vorzunehmen, teils auch um durch fleissige Einübung der Krieger den Auswärtigen Furcht einzuflössen. Er schied nach neunzehnjähriger Regierung aus dem Leben. Nach ihm herrschte ein anderer mit Namen Beon vierundvierzig Jahre, hierauf Apachnas sechsunddreissig Jahre und sieben Monate, sodann Apo- phis einundsechzig Jahre, weiterhin Janias fünfzig Jahre und einen Monat, endlich noch Assis neunundvierzig Jahre und zwei Monate. Das waren ihre sechs ersten Könige, welche beständig mit Aegypten im Kriege lagen und es sozusagen mit Stumpf und Stiel zu vertilgen suchten. Das ganze Volk führte den Namen Hyksos, d. h. Hirten- könige; denn Hyk bedeutet in der heiligen 2 Sprache „König“, Sos aber heisst „Hirt“ und hat diese Bedeutung auch in der gemeinen Sprache. So entstand das zu- sammengesetzte Wort Hyksos. Einige halten sie für 1 Um den in dieser Ortsbestimmung liegenden geographischen Widerspruch zu beseitigen, wäre statt „im Saitischen Bezirk“ zu lesen: im Sethroi'tischen Bezirk. Vergl. übrigens: Poitevin, Recher- ches sur la ville £gyptienne d’Avaris. 2 D. i. hieroglyphischen. 101 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. Araber.“ In einem anderen Exemplar übrigens heisst es, die Silbe Hyk bedeute nicht „Könige“, sondern durch das ganze Wort würden kriegsgefangene Hirten be- zeichnet. Thatsächlich ist im Aegyptischen das Wort Hyk neben der anderen Form Hak — mit der Aspi- ration — die eigentliche Bezeichnung für Kriegsgefangene. Diese Auslegung erscheint mir glaubwürdiger und mehr mit der alten Geschichte übereinstimmend. Die vorhin erwähnten Könige der Hirten nun, erzählt Manetho weiter, und deren Nachkommen hätten fünfbundertelf Jahre lang über Aegypten geherrscht. Darauf hätten die Könige von Thebais und dem übrigen Aegypten einen Aufstand gegen die Hirten erregt, und es sei ein heftiger und langwieriger Krieg zwischen ihnen ausgebrochen. Schliesslich habe ein König Namens Alisphragmuthosis die Hirten besiegt, sie aus ganz Aegypten vertrieben und in einen zehntausend Joch umfassenden Ort ein* geschlossen, der Auaris geheissen habe. Die Hirten hätten, fährt Manetho fort, diesen Platz mit einer grossen und starken Mauer umzogen, um ihre gesamte Habe sowie die gemachte Beute dort sicher bergen zu können. Des Alisphragmuthosis Sohn Thummosis habe sie als- dann mit vierhundertachtzigtausend Mann belagert und die Festung zu stürmen versucht, aber die Belagerung aufgeben müssen und einen Vertrag mit ihnen geschlossen, demzufolge sie Aegypten verlassen und, ohne irgendwie belästigt zu werden, sollten ziehen dürfen, wohin es ihnen beliebe. Dieser Übereinkunft gemäss seien sie mit ihren Familien und ihrem ganzen Besitztum in der Stärke von nicht weniger als zweihundertvierzigtausend Köpfen aus Aegypten aufgebrochen und hätten den Weg durch die Wüste nach Syrien eingeschlagen. Weil sie sich aber vor der Herrschaft der Assyrier, die damals Asien in ihrer Gewalt hatten, fürchteten, hätten sie in dem Lande, welches jetzt Judaea heisst, eine Stadt erbaut, die Tausende von Menschen fassen konnte, und diese Stadt Jerusalem genannt/ In einem anderen Buche der „Aegyptiaka“ berichtet Manetho, dieses sogenannte Hirten- Gegen Apion, Erstes Buch. 105 Volk werde in seinen eigenen heiligen Büchern 1 auch als Kriegsgefangene bezeichnet, und darin hat er recht. Denn unsere ältesten Vorfahren hatten die Gewohnheit, Herden zu weiden, führten ein Nomadenleben und wurden deshalb Hirten genannt 2 * Anderseits werden sie von den Aegyptiern in deren Schriften nicht ohne Grund als Gefangene bezeichnet, da ja unser Ahnherr Joseph dem Aegyptierkönig gegenüber sich selbst einen Gefangenen nannte 8 und später mit des Königs Erlaubnis seine Brüder nach Aegypten kommen liess. Hierüber 4 * * indes werde ich noch anderswo eine genauere Untersuchung anstellen. 16. Jetzt aber will ich als Zeugen für das hohe Alter jener Ereignisse abermals die Aegyptier reden lassen und Manethos Mitteilungen über das Verhältnis der Zeit- ordnung wiedergeben. Er sagt nämlich folgendes: „Nach dem Auszug des Hirtenvolkes aus Aegypten gen Jeru- salem herrschte der König Tethmosis, der sie verjagt hatte, bis zu seinem Tode noch fünfundzwanzig Jahre und vier Monate, worauf sein Sohn Chebron dreizehn Jahre lang das Scepter führte. Alsdann regierten der Reihe nach: Amenophis zwanzig Jahre und sieben Mo- nate; dessen ßchwesster Amessis einundzwanzig Jahre und neun Monate; Mephres zwölf Jahre und neun Monate; Mephramuthosis einundzwanzig Jahre und zehn Monate; Thmosis neun Jahre und acht Monate; Ameno- phis dreissig Jahre und zehn Monate; Oros sechsund- dreissig Jahre und fünf Monate; dessen Tochter Aken- chres zwölf Jahre und einen Monat ; deren Bruder Rathotis neun Jahre; Akencheresl. zwölf Jahre und fünf Monate; 1 Hiernach wäre Manetho mit dem alten Testament bekannt ge- wesen, was sicher nicht sntraf. Ob Josepbus ihn missverstan- den hat ? 8 1. Mos. 46, 82 und 94; 47, 8 f. 8 1. Mos. 47, 4 (deine Knechte). 4 Bezieht sich nicht auf den Patriarchen Joseph, sondern auf das hohe Alter der Juden nach Manetho, wovon unten (Abschnitt 16 uud 26) wieder die Rede ist. 106 Des Flavias Josephus kleiuere Schriften. Akencheres IL zwölf Jahre und drei Monate; Annais vier Jahre und einen Monat; Ramesses ein Jahr und vier Monate; Armesses, der Sohn des Miammos, Sechsund- sechzig Jahre und zwei Monate; Amenophis neunzehn Jahre und sechs Monate; endlich Sethosis, auch Ra- messes 1 genannt, der eine starke Reiterei und eine be- trächtliche Kriegsflotte besass. Dieser setzte seinen Bruder Armais als Verwalter des aegyp tischen Reiches ein und übertrug ihm alle königlichen Rechte; nur verbot er ihm, das Diadem zu tragen, die Königin als Mutter der Prinzen zu beleidigen und mit den Kebsweibern des Königs Umgang zu pflegen. Er selbst zog gegen Cypern und Phoenicien und sodann gegen die Assyrier und Meder zu Felde und unterwarf sie alle teils mit Waffen- gewalt, teils durch den blossen Schrecken, den seine Macht ihnen einflösste, und ohne Schwertstreich. Diese Erfolge machten ihn übermütig, und alsbald unternahm er einen zweiten, noch verwegeneren Kriegszug, um die Städte und Länder im Osten 2 zu unterjochen. Einige Zeit nachher nun fing der in Aegypten zurückgelassene Armais an, sonder Scheu alles zu treiben, was sein Bruder ihm untersagt hatte: er vergriff sich an der Königin, gebrauchte ohne Bedenken die Kebsweiber, trug auf Zureden seiner Freunde die Königskrone und warf sich in aller Form zum Gegenkönig seines Bruders auf. Der Beamte jedoch, der mit der Oberaufsicht über die Heiligtümer Aegyptens betraut war. schickte dem Sethosis eine von ihm verfasste Denkschrift, worin er diesen von allem in Kenntnis setzte und ihm namentlich mitteilte, wie sein Bruder Armais sich wider ihn auf- gelehnt habe. Sethosis kehrte deshalb schleunigst zurück, erschien vor Pelusium und musste sieb sein eigenes Reich wieder erobern. Von ihm erhielt das Land den Namen Aegypten; denn Sethosis wurde — so sagt Ma- & 1 Ramses IL Nach Parets Vorgang schiebe ich 6 vor 'Papia- ar); ein. ! Nach Diodor. I, 47 : Baktrien. Go gle Gegen Apion, Erstes Buch. 107 netho — auch Aigyptos, sein Bruder Armais auch Danaos genannt.“ 16. Soweit Manetho. Rechnet man nun die erwähnten Jahre zusammen, so ergiebt sich, dass die sogenannten Hirten, unsere Vorfahren, als sie aus Aegypten fort- gezogen waren, sich in ihrem jetzigen Lande dreihundert- dreiundneunzig Jahre früher ansiedelten als Danaos nach Argos kam. Und doch halten die Argeier diesen für ihren ersten Stammvater. Zwei äusserst . wichtige Thatsachen also hat uns Manetho aus den aegyptischen Urkunden bezeugt: erstens, dass unsere Vorfahren von auswärts nach Aegypten gekommen, zweitens, dass sie von dort wieder weggezogen sind und zwar in so uralter Zeit, dass ihr Auszug fast tausend Jahre vor den Troja- nischen Krieg fallt. Die übrigen Angaben Manethos aber, die er nach eigenem Geständnis nicht aus aegyp- tischen Urkunden, sondern aus unverbürgten Sagen ge- schöpft hat, werde ich unten im einzelnen widerlegen und dabei zeigen, wie unglaubwürdig sein diesbezügliches Gerede ist. 17. Ich will nun zu den Mitteilungen übergehen, welche die phoenicischen Urkunden über unser Volk enthalten, und die ihnen entnommenen Zeugnisse hier- hersetzen. Bei den Tyriern nämlich giebt es weit zurück - reichende, von Staatswegen verfasste Schriften über alles, was sich bei ihnen selbst zutrug und was nach aussen hin 1 geschah. Darin findet sich auch die Angabe, dass zu Jerusalem von dem Könige Solomon hundertdreiund- vierzig Jahre acht Monate vor der Gründung Karthagos durch die Tyrier ein Tempel erbaut worden sei, und es wird auch die Einrichtung unseres Tempels daselbst be- schrieben. Hirom 2 nämlich, der König der Tyrier, hatte, dem Beispiel seines Vaters folgend, mit unserm Könige Solomon Freundschaft geschlossen, und da er es sich zur Ehre anrechnete, im Verein mit Solomon zur präch- 1 Statt dXXrjXooc lies: aXXou?. 2 In den „Jüdischen Altertümern“ hebst er Hiram. Go gle 108 Des Flavias. Josephas kleinere Schriften. tigen Ausgestaltung des Bauwerkes beizutragen, schenkte er hundertzwanzig Talente Gold und schickte zugleich für die Bedachung überaus schöne Baumstämme, die er auf dem sogenannten Libanongebirge hatte fallen lassen. Solomon machte ihm dagegen ausser vielem andern auch ein Stück Land in dem Bezirk von Galilaea, der Cha- bulon heisst, zum Geschenk. Vornehmlich jedoch war es der Drang nach Weisheit, der ihre Freundschaft knüpfte; denn sie sandten sich gegenseitig schwierige Aufgaben zum Lösen, worin Solomon, der auch sonst der weisere war, den Hirom übertraf. Noch jetzt werden bei den Tyriern viele von den Briefen anf bewahrt, die sie miteinander wechselten . 1 Dass aber diese Angaben über die bei den Tyriern vorhandenen Schriftstücke nicht etwa von mir erfunden sind, mag das Zeugnis des Dios beweisen, eines Mannes, dem man eine besondere Kenntnis der phoenicischen Geschichte zutraut. Er schreibt in seiner Geschichte der Phoenicier folgendermassen : 2 „Nach dem Tode desAbibalos bestieg dessen Sohn Hirora den Thron. Dieser versah nuch den östlichen Teil von Tyrus mit Festungswerken, erweiterte die Stadt und brachte mit ihr den bis dahin abseits auf einer Insel stehenden Tempel des Olympischen Zeus dadurch in Verbindung, dass er zwischen Stadt und Insel einen Damm anlegte. Den Tempel schmückte er mit goldenen Weihgeschenken; auch stieg er auf den Libanon und Hess dort Bäume für die Erbauung von Tempeln fallen. Der Beherrscher von Jerusalem, Solomon, soll dem Hirom Kätselfragen geschickt und von ihm ebensolche verlangt haben unter der Bedingung, dass der, welcher sie nicht lösen könne, dem Errater eine Geldzahlung leisten müsse. Hirom sei darauf eingegangen, und da er die Rätsel nicht zu lösen vermochte, habe er grosse Summen als Strafe bezahlt. Später aber habe ein Tyrier mit Namen Abdemon die Aufgaben gelöst und nun seinerseits andere 1 Proben dieser (zweifellos unechten) Briefe s. J. A. VIII, 2, G f 3 Vergl. J. A. VIII, 5, 3. Gegen Apion, Erstes Buch. 109 gestellt, deren LösuDg dem Solomon nicht gelang, worauf dieser dem Hirom noch weit mehr Geld habe entrichten müssen.“ 1 So werden durch das Zeugnis des Dios unsere obigen Mitteilungen bestätigt. 18. Des weiteren führe ich Men ander von Ephesos an. Ejt hat die Begebenheiten unter allen Königen griechischer wie barbarischer Nationalität beschrieben und sich bemüht, aus den einzelnen Landesurkunden die ge- schichtlichen Tbatsachen kennen zu lernen. In seinem Bericht über die früheren Könige von Tyrus nun kommt er auch auf Hirom zu sprechen und äussert sich folgen- dermassen: „Nach dem Tode des Abibalos folgte ihm in der Regierung sein Sohn Hirom, der dreiundfünfzig Jahre lebte und vierunddreissig Jahre den Thron inne- hatte. Er legte den sogenannten weiten Platz an, stiftete in den Tempel des Zeus die goldene Säule, begab sich auf das Libanongebirge und liess dort Gedern fallen, um das zur Bedachung von Tempeln nötige Holz zu gewinnen. Die alten Tempel liess er uiederreissen und neue erbauen; dem Herakles und der Astarte weihte er je ein Heilgtum, zunächst das des Herakles im Monat Peritios, später, als er aus einem siegreichen Feldzug gegen die Tityer, welche die Steuern verweigert hatten, zurückkehrte, auch das der Astarte. Während seiner Regierung lebte ein jüngerer Sohn des Abdemon, der in dem von Solomon, dem Könige zu Jerusalem, angeregten Rätsel Wettstreit den Sieg errang.“ Der Zeitraum von diesem Könige bis zur Gründung Karthagos wird sodann folgen dermassen berechnet: „Als Hirom gestorben war, folgte ihm auf dem Throne sein Sohn Baleazar, der sieben Jahre regierte und dreiund vierzig Jahre alt wurde. Dessen Sohn und Nachfolger Abdastratos starb nach neunjähriger Regierung im neiinundzwanzigsten Lebens- jahr, meuchlings ermordet von den vier Söhnen seiner Amme, deren ältester zwölf Jahre lang die Herrschaft 1 Einige dieser R&tsel hat der Midrasch aufbewahrt (Rabba zu IV. M. P. 19; Menachoth p. 37, a. Tosephot und Pessikta). 110 Des Flavins Josephus kleinere Schriften. behauptete. Nach ihm regierte zwölf Jahre lang des Delaiastartos Sohn Astartos, der ein Alter von fünfzig Jahren erreichte. Hierauf herrschte neun Jahre lang dessen Bruder Aserymos, der im vierundfunfzigsten Lebens- jahr von seinem Bruder Pheles umgebracht wurde. Dieser bemächtigte sich sodann des Thrones und starb nach achtmonatlicher Regierung im Alter von fünfzig Jahren. Ihn tötete Ithobal, der Priester der Astarte, der nun zweiunddreiesig Jahre lang König blieb und achtundsechzig Jahre alt wurde, worauf ihm sein Sohn Badezor folgte, der nach sechsjähriger Regierung im fünfund vierzigsten Lebensjahre starb. Dessen Sohn und Nachfolger war Matgenos; dieser erreichte ein Alter von zweiunddreissig Jahren und regierte neun Jahre lang. Alsdann kam sein Sohn Pygmalion auf den Thron, der diesen siebenund vierzig Jahre innehatte und im Alter von sechsundfunfzig Jahren starb. Im siebenten Jahre seiner Regierung baute seine Schwester, 1 die aus ihrer Heimat geflohen war, in Libyen die Stadt Karthago.“ Mithin umfasst der gesamte Zeitraum von der Thronbesteigung Hiroms bis zur Gründung von Karthago hundertfünf- undfünfzig Jahre acht Monate. Da aber im zwölften Regierungsjahre Hiroms der Tempel in Jerusalem er- richtet wurde, so sind von der Erbauung des Tempels bis zur Gründung Karthagos hundertdreiundvierzig Jahre und acht Monate verflossen. Was brauche ich nun diesem phoen mischen Zeugnis noch weiter hinzuzufügen? Lässt doch die unter den Zeugen herrschende Über- einstimmung die Wahrheit in recht hellem Lichte er- scheinen. Selbstverständlich aber ist die Ankunft unserer Vorfahren in Judaea weit früher anzusetzen als die Er- bauung des Tempels; denn erst nachdem sie das ganze Land erobert hatten, begannen sie das Heiligtum zu errichten, wie ich dies in den „Altertümern“ aus den heiligen Schriften genau nachgewiesen habe. 19. Ich wende mich nunmehr zu dem, was die 1 Dido (tyrisch Elissa). Gegen Apion, Erstes Bach. 111 geschichtlichen Urkunden der Chaldäer über unser Volk melden, Schriften, die auch in anderer Hinsicht vielfach mit den unseren übereinstimmen. Ein Zeuge hierfür ist Berosus, ein geborener Chaldäer, der übrigens der gebildeten Welt wohlbekannt ist, da er über die Astro- nomie und die Philosophie der Chaldäer einige für die Griechen bestimmte Abhandlungen veröffentlichte. Dieser Berosus nun hat, den ältesten Aufzeichnungen folgend, über die Sintflut und den dadurch bewirkten Untergang des Menschengeschlechtes ganz wie Moyses berichtet» sowie auch über die Arche, in welcher „Nochos“, der Erzvater unseres Geschlechtes, gerettet wurde, indem die- selbe auf dem Gipfel des Armenischen Gebirges landete . 1 Dann zählt er unter Hinzufügung der Zeitangaben die Nachkommen des Nochos auf und kommt endlich auf Nabopalassar, den König von Babylon und Chaldaea, dessen Thaten er schildert. Hierbei erwähnt er, wie Nabopalassar seinen Sohn Nabuchodonosor mit einer grossen Streitmacht nach Aegypten und in unser Land schickte, da er von dem Abfall der Bewohner Kunde erhalten hatte; wie dieser alle besiegte, den Tempel zu Jerusalem in Flammen aufgehen liess, unser ganze» Volk wegführte und nach Babylon versetzte, und wie alsdann unsere Hauptstadt siebzig Jahre lang bis auf den Perserkönig Cyrus verödet blieb. Auch habe der Babylonier, sagt Berosus, Aegypten, Syrien, Phoenicien und Arabien unterjocht und alle früheren Könige der Chaldäer und Babylonier durch glänzende Kriegsthaten übertroffen. EtwaB weiter unten in seiner Geschichte des Altertums kommt Berosus nochmals auf ihn zu sprechen. Ich setze seine eigenen Worte hierher, die also lauten: „Als sein Vater Nabopalassar den Abfall des Satrapen, den er über Aegypten und die Gegenden von Coelesyrien und Phoenicien gesetzt hatte, erfuhr. 1 Berosus hat dabei wohl nicht ans den hebr&ischen Quellen ge- schöpft, sondern aus der (in neuerer Zeit von George Smith heraus- gegebenen) Sintflut-Keilinschrift. Vergl. Ausland 1873, S. 497 f. 112 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. übergab er, da er selbst den Strapazen nicht gewachsen war, seinem noch jugendlichen Sohne Nabuchodonosor einen Teil des Heeres und sandte ihn gegen den Satrapen aus. Nabuchodonosor stiess alsbald mit dem Empörer zusammen , lieferte ihm ein Treffen und bemächtigte sich nicht nur seiner Person, sondern unteijochte auch sein Land. Um diese Zeit erkrankte sein Vater Nabo- palassar und starb nach einundzwanzigjähriger Regierung in der Stadt Babylon. Als Nabuchodonosor bald darauf vom Tode seines Vaters Kunde erhielt, ordnete er die Angelegenheiten Aegyptens und der übrigen Landesteile und gab einigen seiner Freunde den Auftrag, die ge- fangenen Juden, Phoenicier, Syrer und Aegyptier samt dem schwerbewaffneten Teile des Heeres und dem Gepäck nach Babylonien zu führen; dann brach er auch selbst auf und legte in wenigen Tagen den Weg durch die Wüste nach Babylon zurück. Hier übernahm er die von den Chaldäern 1 besorgte Leitung des Staates sowie die Königswürde, die der beste derselben ihm inzwischen gesichert hatte, und trat überhaupt die Vollherrschaft über sein väterliches Reich an. Sowie nun die Gefangenen ankamen, liess er ihnen in den passendsten Gegenden Babyloniens Wohnsitze anweisen; dann schmückte er mit der Kriegsbeute den Tempel des Bel und die übrigen Heiligtümer aufs herrlichste, liess in der bisherigen Hauptstadt Neubauten aufführen und erweiterte sie durch eine zweite ausserhalb liegende in der wohlmeinenden Absicht, künftige Belagerer an der Ableitung des Flusses und der dadurch bewirkten Bedrängung der Stadt zu hindern. Ferner zog er um die innere Stadt drei Ring- mauern und ebenso viele um die äussere, teils aus ge- brannten Ziegeln und Asphalt, teils aus blossen Ziegel- steinen. Nachdem er so die Stadt gehörig befestigt und die Thore mit prächtigem Schmuck versehen hatte, er- baute er im Anschluss an den Palast seines Vaters einen anderen, der jenen an Höhe und glänzender Ausstattung 1 S. die Anmerkung zu Abschnitt 6. Gegen Apion, Erstes Bach. 113 übertraf. Ihn in seinen Einzelheiten zu schildern, würde wohl zu lange aufhalten; ich begpüge mich deshalb mit der Angabe, dass er trotz seiner Grösse und Pracht .bereits in fünfzehn Tagen vollendet wurde. Innerhalb dieses Palastes liess der König auch hohe steinerne Terrassen errichten, und indem er ihnen durch Bepflanzen mit allerlei Baumen das Ansehen natürlicher Berge gab, schuf er den sogenannten hängenden Park, vornehmlich seiner Gattin 1 zulieb, die in Medien erzogen war und deshalb ein starkes Verlangen nach Berglandschaft hegte.“ 2 20. Vorstehendes berichtet Berosus über den ge- nannten König, und ausserdem noch vieles andere im dritten Buche seiner „Chaldaika“, wo er auch die Meinung der griechischen Geschichtschreiber, dass Babylon von der assyrischen Königin Semiramis gegründet worden sei, als falsch und ihre Erzählung von den Wunder- werken, die sie daselbst errichtet haben soll, als erdichtet verwirft. Und hierin muss man allerdings den Schriften der Chaldäer Glauben schenken, besonders da sich auch in den Archiven der Phoenicier über die Unteijochung von ganz Syrien und Phoenicien durch jenen König der Babylonier Aufzeichnungen finden, welche mit den An- gaben des Berosus übereinstimmen. Auch Philostratos bestätigt dieselben in seinem Geschichtswerk, indem er der Belagerung von Tyrus gedenkt, desgleichen Mega- sthenes im vierten Buche seiner „Indika“, wo er zu zeigen sucht, dass der genannte König der Babylonier, was Tapferkeit und Heldenthaten .anlangt, den Herakles .übertroffen habe. Denn er habe, sagt Megasthenes, sogar den grössten Teil von Libyen und ausserdem ganz 1 Amytis, Tochter des modischen Königs Kyaxares (Herodot I, 74; 175). * Mit dieser Erzählung des Berosus stimmt eine an) Euphrat gefundene, seit 1807 im Ostindienbaus zu London befindliche Keil- insehnft, die 1854 von R&wllnson entziffert wurde (s. Ausland 1854, &. 1245) vollkommen überein — wieder ein Beweis, dass Berosus die Keilinschriften als erste Quelle benutzt hat. Josephus, Kleinere Schriften. 8 Go gle 114 Des Flavius Joseph us kleinere Schriften. Iberien unter seine Botmässigkeit gebracht. Was so* dann die oben erwähnte Einäscherung des Tempels zu Jerusalem durch die kriegerischen Scharen der Babylonier betrifft sowie den begonnenen Wideraufbau desselben» als Cyrus die Herrschaft über Asien erlangt hatte, so werden diese Thatsachen vollauf durch die Mitteilungen des Berosus bestätigt. Er äussert sich nämlich im dritten Buche wie folgt: „Kaum hatte Nabuchodonosor mit dem Bau der erwähnten Mauer begonnen , als er in eine Krankheit fiel und nach dreiundvierzigjähriger Regierung starb. Den Thron bestieg nun sein Sohn Evilmaraduch, der ein Gesetzesverächter und übermütiger Herrscher war und nach nur zweijähriger Regierung 1 von Neriglissoor, dem Gatten seiner Schwester, meuchlings ermordet wurde Nach seinem Tode trat eben dieser Neriglissoor, durch dessen Hinterlist er sein £ 9 1 30 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. und noch sehr viele andere mit den Sitten der Aegyptier in schreiendem Widerspruch stehende Gesetze erlassen hatte, befahl er ihnen, mit vereinten Kräften die Mauern der Stadt wieder aufzubauen und sich zum Kriege gegen den König Amenophis zu rüsten. Er selbst nahm einige Priester und eine Anzahl gleich ihm Verseuchter zu sich und begab sich als Gesandter zu den von Tethmosis verjagten Hirten in eine Stadt Namens Jerusalem, er- zählte ihnen, wie es ihm und seinen Leidensgefährten ergangen sei, und forderte sie auf, vereint mit ihm gegen Aegypten zu marschieren. Zunächst, versprach er ihnen, werde er sie in die Vaterstadt ihrer Ahnen, Auaris, führen, die Lebensmittel für die gesamte Menge in Hülle und Fülle herbeischaffen, im Notfall für sie kämpfen und ihnen das Land mit leichter Mühe unterwerfen. Hocherfreut zogen sie alle, gegen zweihunderttausend Mann, bereitwillig mit ihm fort und kamen bald darauf in Auaris an. Als Amenophis, der König der Aegyptier, von ihrem Anrücken Kunde erhielt, geriet er, der Weis- sagung Amenophis’, des Sohnes des Paapis, gedenkend, in nicht geringe Bestürzung, zog grosse Scharen der Aegyptier zusammen, hielt Kriegsrat mit den Befehls- habern, liess die in den Tempeln vornehmlich verehrten heiligen Tiere heranbringen und gebot den Priestern der einzelnen Ortschaften, die Bildnisse der Götter in mög- lichst sichere Verstecke zu schaffen. Seinen fünfjährigen Sohn Setho, der nach seinem Vater Rampses auch Ra- messes hiess, schickte er einem Freunde zu. Er selbst rückte an der Spitze der übrigen Aegyptier, die fast dreihun - derttausend durch und durch streitbare Männer zählten, vor, lieferte jedoch den ihm entgegenziehenden Feinden keine Schlacht, sondern kehrte in der Meinung, er werde vielleicht gegen eine Gottheit zu kämpfen haben, wieder um und begab sich nach Memphis. Hier nahm er den Apis und die übrigen dort untergebrachten heiligen Tiere und zog mit der Flotte und dem gesamten Heere der Aegyptier eiligst hinauf nach Aethiopien. Der König der Aethiopen nämlich war ihm zu Dank ver- G o gle 131 Gegen Apion, Erstes Buch. pflichtet, weshalb er auch die ganze Menge gastlich auf- nahm und mit allen Lebensmitteln, wie das Land sie lieferte, versah. Auch wies er ihnen Städte und Dörfer an, welche für die dem Könige vorher bestimmten drei- zehn Jahre des Verlustes seiner Herrschaft genügen konnten, und gab ihnen ein aethiopisches Heer bei, das für den König Amenophis und die Seinen die Grenzen gegen Aegypten hin bewachen sollte. So sah es in Aethiopien aus. Die Solymiter aber verfuhren , als sie mit den unreinen Aegyptiern in das Land gekommen waren, gegen dessen Bewohner so ruchlos, dass die da- maligen Zeugen ihrer Frevel keine schlimmere Herr- schaft für möglich hielten. Denn es war ihnen nicht genug, Städte und Dörfer einzuäschern, Heiligtümer zu plündern und Bildnisse von Göttern zu zerstören, sondern sie gebrauchten sogar die letzteren beständig beim Braten der göttlich verehrten heiligen Tiere, nötigten die Priester und Wahrsager, diese zu schlachten und zu opfern, und jagten sie selbst nackt davon. Der ihre Verfassung einrichtete und ihnen Gesetze gab, war, wie es heisst, ein Priester aus Heliopolis mit Namen Osarsiph — so genannt nach dem in Heliopolis verehrten Osiris 1 — , und seitdem er an dieses Volk sich anschloss, soll er den veränderten Namen Moyses angenommen haben. 27. Das also ist es, was die Aegyptier über die Juden berichten ; vieles andere übergehe ich der Kürze halber. Übrigens sagt Manetho an einer anderen Stelle, Ame- nophis sei später mit grosser Streitmacht wie auch sein Sohn Rampses, der gleichfalls ein Heer befehligte, aus Aethiopien zurückgekehrt; die beiden hätten dann den Hirten und den Unreinen eine Schlacht geliefert, sie besiegt, viele von ihnen getötet und die übrigen bis zu den Grenzen Syriens verfolgt. Dies und ähnliches ist in Manethos Schrift zu finden. Dass er aber damit thörichtes Geschwätz und offenbare Lügen vorbringt, werde ich beweisen, und nur einen Punkt nehme ich um 1 Osar-sif = Schwert des Osiris. 82 Des Flavias Josephas kleinere Schriften. dessetwillen , was ich gleich gegen ihn sagen will, von diesem Urteil aus. Er selbst nämlich hat uns das aus- drückliche Zugeständnis gemacht, dass die Juden ursprüng- lich keine Aegyptier waren, vielmehr von auswärts nach Aegypten kamen, es in ihre Gewalt brachten und später wieder fortzogen. Dass aber die körperlich Siechen unter den Aegyptiern sich nachher nicht mit uns verbanden, und dass Moyses, der Führer des Volkes, nicht zu ihnen gehörte, sondern viele Menschenalter früher lebte, das will ich aus Manethos eigenen Angaben zu beweisen suchen. 28. Lächerlich ist zunächst die Veranlassung, die er jenen erdichteten Begebenheiten zu Grunde legt. „Der König Amenophis,“ sagt er, „begehrte die Götter zu schauen.“ Was für Götter? Sollen es die gewesen sein, die bei den Aegyptiern als solche galten, der Stier, der Bock, Krokodile und Hundsaffen, so sah er diese ja; die himmlischen Götter aber, wie konnte er sie sehen? Und warum hatte er dieses Verlangen? Antwort: „Weil einer der früheren Könige sie gesehen hatte.“ Durch ihn musste er also doch auch erfahren haben , wie be- schaffen sie sind und wie er es angestellt hatte, sie zu Gesicht zu bekommen, sodass es eines neuen Kunstgriffs nicht bedurfte! Aber vielleicht war der Wahrsager, durch dessen Vermittelung der König seinen Zweck zu erreichen hoffte, ein besonders weiser Mann. Nun, warum hätte er dann nicht auch wissen sollen, wie unmöglich die Erfüllung jenes Verlangens war, das ja thatsächlich nie gestillt wurde. Und wodurch sollen die Götter sich veranlasst gesehen haben, wegen der Verstümmelten oder Aussätzigen sich dem Anblick zu entziehen? Sie geraten doch über Schandthaten und nicht über körper- liche Gebrechen in Zorn. Wie war es ferner möglich, achtzigtausend Aussätzige und Sieche sozusagen an einem Tage zusammenzubringen? Und wie kam es, dass der König dem Wahrsager nicht folgte? Dieser hatte ihm ja geraten, die Kranken über die Grenze Aegyptens zu schaffen. Er aber steckte sie in die Steinbrüche, als. Gegen Apion, Erstes Buch. 133 hätte er Arbeiter nötig gehabt, nicht aber das Land säubern wollen. Des weiteren berichtet er, der Wahr- sager habe, weil er den Zorn der Götter und das dem Lande der Aegyptier drohende Unheil voraussah, sich das Leben genommen und dem Könige seine Weissagung schriftlich hinterlassen. Aber weshalb wusste der Wahr- sager nicht gleich anfangs seinen eigenen Tod vor- aus? Und warum hat er nicht sofort dem Könige den Wunsch, die Götter zu sehen, ausgeredet? Wie unwahr- scheinlich ist ferner bei ihm die Furcht vor zukünftigem Unglück, das nicht mehr zu seinen Lebzeiten eintreten sollte ! Oder welches schlimmere Leid stand ihm bevor, dass er so grosse Eile hatte, sich selbst zu töten ? Doch das unsinnigste kommt noch : der König, der dies er- fährt und wegen der Zukunft sehr besorgt ist, treibt jene Siechen, von denen er der Verkündigung gemäss Aegypten hätte reinigen sollen, auch jetzt noch nicht aus dem Lande, sondern schenkt ihnen auf ihre Bitten die einst von den Hirten bewohnte, Auaris genannte Stadt. Hier, sagt Manetho, sammelten sie sich und wählten zu ihrem Oberhaupt einen aus den ehemaligen Priestern von Heliopolis, der ihnen dann vorschrieb, weder die Götter anzubeten noch die in Aegypten heilig gehaltenen Tiere zu verschonen, sondern sie alle zu opfern und zu verzehren, und mit niemand als mit Eid- genossen in Verbindung zu treten ; denn er habe die Menge durch Eidschwüre verpflichtet, diese Gesetze un- verbrüchlich zu halten. Auch habe er Auaris befestigt und den König mit Krieg überzogen. Manetho fügt dann noch hinzu, der Gesetzgeber habe nach Jerusalem geschickt und dessen Bewohner aufgefordert, seine Kampf- genossen zu werden, unter dem Versprechen, ihnen Auaris schenken zu wollen; denn diese Stadt sei der Stammsitz derer, die aus Jerusalem zu ihm kommen würden, und von ihr aus könnten sie ganz Aegypten unteijochen. Sie seien auch in der That, fährt er fort, zweihunderttausend streitbare Männer an der Zahl, heran - gerückt, und Amenophis, der König der Aegyptier. sei, 134 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. um nicht gegen einen Gott ankämpfen zu müssen, schleunigst nach Aethiopien geflohen, nachdem er zuvor den Apis und einige andere heilige Tiere den Priestern in Verwahr gegeben hatte. Die Ankömmlinge aus Jeru- salem hätten alsdann die Städte zerstört, die Tempel eingeäschert, die Pferde getötet und überhaupt alle er- denklichen Frevel und Grausamkeiten begangen. Der Schöpfer ihrer Verfassung und ihrer heiligen Gesetze, sagt er weiter, sei aus Heliopolis gewesen und nach dem daselbst verehrten Osiris Osarsiph genannt worden, habe aber seinen Namen in Moyses geändert. Nach dreizehn Jahren — der ihm vom Schicksal bestimmten Verban- nungszeit — sei dann Amenophis an der Spitze einer gewaltigen Streitmacht aus Aethiopien zurückgekehrt, habe die Hirten und die Unreinen in einer Schlacht besiegt, viele von ihnen niedergemetzelt und die übrigen bis zur Grenze Syriens verfolgt 29. Abermals merkt Manetho nicht, wie er gegen alle Wahrscheinlichkeit hier lügt. Denn wenn auch die Aussätzigen und ihre zahlreichen Verbündeten dem Könige und den Urhebern der auf die Prophezeiung des Wahrsagers hin gegen sie ergriffenen Massregeln zunächst grollten, so müssen sie sicherlich, als sie die Steinbrüche verlassen durften und vom König eine Stadt nebst Ländereien zum Geschenk erhielten, milder gegen ihn gestimmt worden sein. Aber selbst wenn sie ihn hassten, hätten sie doch wohl ihm allein nach dem Leben getrachtet und nicht das ganze Volk, unter dem sie bei ihrer grossen Anzahl gewiss recht viele Ver- wandte hatten, mit Krieg überzogen. Doch auch für den Fall, dass sie entschlossen gewesen wären, mit Menschen zu kämpfen, hätten sie immerhin deren Götter nicht zu beleidigen gewagt und keine Gesetze aufgestellt, die ihren väterlichen Satzungen, unter denen sie erzogen waren , schnurstracks zuwiderliefen. Wir müssen übrigens dem Manetho Dank dafür wissen, dass er als die Haupturheber dieses Frevels nicht die Zuzügler aus Jerusalem hinstellt, sondern eben die Aegyptier Gegen Apion, Erstes Buch. 135 selbst, deren Priester ihn vornehmlich geplant und die Menge durch Eidschwüre verpflichtet haben sollen. Aber wie reimt sich dies? Da soll niemand von ihren An- gehörigen und Freunden an ihrer Empörung teilgenommen, niemand den Gefahren des Kampfes gleich ihnen sich unterzogen haben, während dagegen die Unreinen nach Jerusalem geschickt und von hier sich Bundesgenossen geholt hätten. Welcher Art war denn die Freundschaft oder Verwandtschaft, die sie bisher mit diesen verbunden haben sollte? Nein, sie waren im Gegenteil deren Feinde und vermöge ihrer Sitten himmelweit von jenen ver- schieden. Trotzdem sollen sie auf das blosse Ver- sprechen hin, sie würden Aegypten in ihre Gewalt be- kommen, ihnen unverzüglich willfahrt haben — als hätten sie das Land, aus dem sie doch mit Gewalt ver- trieben worden waren, nicht gekannt. Ja, wären sie arm oder sonst übel dran gewesen, so hätten sie viel- leicht alles aufs Spiel gesetzt. Aber sie bewohnten eine wohlhabende Stadt und genossen die Früchte eines grossen Landes , das noch gesegneter ist wie Aegypten ; warum also hätten sie alten Feinden, die noch dazu mit einer Krankheit behaftet waren, vor der selbst die nächsten Angehörigen sich scheu zurückziehen, in ihrem tollkühnen Unternehmen Hilfe leisten sollen? Die spätere Flucht des Königs konnten sie selbstverständlich nicht vorher- wissen ; vielmehr sagt ja Manetho selbst, der Sohn des Amenophis sei ihnen mit dreihunderttausend Mann bis Pelusium entgegengezogen. Das war den dort Befind- lichen zweifellos bekannt; woraus aber hätten sie auf seine Sinnesänderung und die von ihm geplante Flucht schliessen sollen? Weiter berichtet er, die Ankömmlinge aus Jerusalem hätten die Getreide Vorräte Aegyptens ge- raubt und viele Greuel verübt. Und deshalb schimpft er über sie und thut, als ob keine Feinde ihnen entgegen- gerückt wären oder als dürfte man von auswärts herbei- gerufenen Kriegern das zur Last legen, was schon vor ihrer Ankunft geborene Aegyptier gethan und in Zu- kunft zu thun geschworen hatten. „Aber längere Zeit 136 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. nachher,“ heisst es weiter, „rückte Amenophis heran, siegte in einem Treffen und trieb die Feinde unter stetem Gemetzel bis nach Syrien.“ Natürlich, so leicht ist es für jeden Feind , sich Aegyptens zu bemächtigen, er mag kommen, woher er will; und die, welche damals das Land als Eroberer beherrschten, haben selbstver- ständlich auf die Kunde, dass Amenophis noch lebe, weder die Pässe nach Aethiopien, zu deren Befestigung sie so viele Mittel besassen, verschanzt noch überhaupt ihr Heer in Bereitschaft gehalten! Und dann sagt Manetho noch: „Mordend verfolgte er sie bis nach Syrien durch die wasserlose Sandwüste.“ Bekanntlich ist aber diese Wüste selbst für ein nicht im Kampfe begriffenes Heer nur schwer zu durchziehen. 30. Nach Manetho stammt also unser Volk weder aus Aegypten, noch haben sich Bewohner dieses Landes mit ihm vermischt. Denn von den Aussätzigen und Kranken müssen doch viele in den Steinbrüchen, wo sie lange Zeit verweilten und schwere Leiden erduldeten, viele auch in den nachmaligen Schlachten, die meisten jedoch im letzten Treffen und auf der Flucht um- gekommen sein. 31. Es erübrigt mir nun noch, ein Wort mit ihm über Moyses zu reden. Diesen halten auch die Aegyptier für einen bewundernswerten und gottgesandten Mann ; sie möchten ihn aber sich selbst aneignen, indem sie die unglaubliche Verleumdung ausstreuen, er sei ein Priester aus Heliopolis gewesen und wegen seines Aussatzes ver- trieben worden, während doch aus den Urkunden erhellt, dass er fünfhundertachtzehn Jahre früher gelebt und unsere Väter in das jetzt von ihnen bewohnte Land geführt hat. Dass er aber auch an keinem derartigen Gebrechen litt, geht aus seinen eigenen Anordnungen deutlich her- vor. Den Aussätzigen nämlich verbot er, in der Stadt zu bleiben oder in einem Dorfe Wohnung zu nehmen — sondern sie sollen allein und mit zerrissenen Kleidern im Freien umherwandeln, und wer sie auch nur berührt oder unter einem Dache mit ihnen zusammenwohnt, den Gegen Aplon, Erstes Buch. 137 erklärt er für unrein. Ja, selbst für den Fall, dass die Krankheit geheilt wird und der Leib seine frühere Be- schaffenheit wiedererlangt, schrieb er gewisse Reinigungen vor, nämlich Abwaschungen und Bäder in Quellwasser und das Abscheren aller Haare; und erst wenn der Ge- heilte viele und mannigfaltige Opfer dargebracht hat, erlaubt er ihm den Eintritt in die heilige Stadt. 1 Wäre er nun selbst mit diesem Gebrechen behaftet gewesen, so hätte man doch im Gegenteil eine gewisse menschen- freundliche Fürsorge für seine Leidensgenossen von ihm erwarten dürfen. Aber nicht allein inbetreff der Aus- sätzigen hat er solche Bestimmungen erlassen, sondern er schlie8st sogar alle, die auch nur den geringsten körperlichen Fehler aufweisen, von der Priesterwürde aus, und wenn jemand mitten während der heiligen Handlungen von einem solchen Unglück betroffen wird, so nimmt er ihm sein Amt. 2 Wie ist es nun denkbar, dasB er solche Bestimmungen traf, die gegen ihn selbst zur Anwendung kommen mussten, und dass er Gesetze zu seiner eigenen Schmach und Schande gab? Auch dass er den Namen gewechselt haben soll, ist höchst un- wahrscheinlich. „Früher ,“ sagt Manetho, „hiess er Osar- siph.“ Dieser Name stimmt aber doch gar nicht mit der späteren Änderung; der wahre Name bezeichnet viel- mehr den Moyses als einen aus dem Wasser Geretteten: denn Wasser heisst bei den Aegyptiern „Moy“. Ich glaube nun den genügenden Beweis erbracht zu haben, dass Manetho zwar, so lange er sich an die alten Ur- kunden hält, der geschichtlichen Wahrheit ziemlich nahe kommt, dass er aber, sowie er sich unverbürgten Sagen zuwendet, entweder selbst unglaubwürdige Vermutungen aufstellt oder den Leuten glaubt, deren Aussagen vom Hasse beeinflusst sind. 3 1 3. Mos. 13 ff.; Matth. 8, 4; Mark. 1,44; Luk. 5, 14. 2 3. Mos. 21, 17 ff. 3 Historische Treue konnte man von Manetho auch wohl nicht erwarten. Denn wie er selbst in der Vorrede an Ptolemaeus Pbila- delphus angiebt, war seine Schrift eine Antwort auf die Frage dieses 138 Des Fl&vius Josephus kleinere Schriften. 32. Nach ihm möchte ich noch Chairemon einer Prüfung unterziehen ; denn auch er will eine „Aegyptische Geschichte“ geschrieben haben. Er führt denselben Königsnamen an wie Manetho, nämlich Amenophis, nennt dessen Sohn Ramesses und sagt dann weiter, Isis sei dem Amenophis im Traum erschienen und habe ihm Vorwürfe darüber gemacht, dass ihr Heiligtum im Kriege verwüstet worden sei. Ein Schriftgelehrter Namens Phritiphantes habe ihm nun erklärt, das Schreckbild werde ihn in Ruhe lassen, wenn er Aegypten von den mit unreinen Krankheiten behafteten Leuten säubere. Darauf habe der König zweihundertfünfzigtausend Sieche zusammengebracht und des Landes verwiesen. Ihre Führer seien die Schriftkundigen Moyses und Joseph gewesen: denn auch letzterer habe die heilige Schrift verstanden. Die aegyptische Bezeichnung für Moyses habe Tisithen, für Joseph Peteseph gelautet. Diese seien nun nach Pelusium gekommen und hätten dort dreihundertachtzigtausend von Amenophis zurückgelassene Menschen getroffen, denen er die Übersiedelung nach Aegypten nicht habe gestatten wollen. Mit ihnen ver- bündet hätten sie alsdann einen Feldzug gegen Aegypten unternommen. Amenophis aber habe ihrem Angriff nicht standgehalten, sondern sei mit Zurücklassung seiner schwangeren Gattin nach Aethiopien geflohen. In einer Höhle versteckt habe nun das Weib einen Sohn Messenes 1 geboren, der, zum Manne herangereift, die etwa zwei- hunderttausend Köpfe zählenden Juden nach Syrien verjagt und seinen Vater Amenophis aus Aethiopien wieder heimgeholt habe. 33. Soweit Chairemon. Die Lügenhaftigkeit der beiden Schriftsteller ergiebt sich aber, wie ich glaube, Königs : jzepi Ttov ueXXovTcov tu> xocrpcu yiyveaflat’ (Uber die iu- künftigen Schicksale der Welt). Ein Werk aber, dessen Hauptzweck die Prophezeiung war, nahm es mit der geschichtlichen Wahrheit vermutlich nicht allzu genau. 1 Nach Bekker ist hier zu lesen: Ramesses. S. auch Ewald, Gesch. Israels II, S. 124. Gegen Apion, Erstes Buch. 139 von selbst aus ihren Berichten aufs deutlichste. Lägen nämlich den letzteren wahre Begebenheiten zu Grunde, so könnten die beiderseitigen Angaben nicht so sehr voneinander ab weichen. Nur wer sich mit Lügen ab- giebt, kümmert sich nicht um die Übereinstimmung seiner Schriften mit anderen, sondern erdichtet, was ihm selbst gut dünkt So erzählt denn Manetho, das Verlangen des Königs, die Götter zu schauen, sei die Veranlassung zur Ausweisung der Unreinen gewesen, während Chai- remon anderseits sich einen Traum von der Isis zurecht- legt. Bei jenem heisst der Mann, der dem Könige den Rat gab, das Land zu säubern, Amenophis, bei diesem Phritiphantes. Recht nett stimmen auch die Zahlen- angaben überein: der eine spricht von achtzigtausend, der andere von zweihundertfünfzigtausend Personen. Ferner: Manetho schickt die Unreinen zunächst in die Steinbrüche, dann giebt er ihnen Auaris zum Wohnsitz, lässt sie die anderen Aegyptier mit Krieg überziehen und nun erst Hilfe von Jerusalem herbeirufen; nach Chai- remon dagegen treffen sie gleich nach ihrem Auszug aus Aegypten bei Pelusium dreihundertachtzigtausend von Amenophis dort zurück gelassene Menschen an, mit denen vereint sie wieder über die Aegyptier herfallen und den Amenophis nach Aethiopien verjagen. Das schönste aber ist, dass der Erfinder des Traumes von der Isis und den Aussätzigen weder sagt, was die vielen Myriaden, die jenes Heer bildeten, für Leute waren noch woher sie kamen : ob sie geborene Aegyptier oder von auswärts herangezogen waren. Ja, nicht einmal den Grund giebt er an, warum der König sie nicht nach Aegypten habe führen wollen. Sodann stellt Chairemon dem Moyses als mit ihm des Landes verwiesen den Joseph zur Seite, der doch vier Menschenalter , d. h. etwa hundertsiebzig Jahre vor Moyses starb. Weiter: Ramesses, der Sohn des Amenophis, steht nach Manetho bereits im Jünglings- alter, zieht mit seinem Vater in den Kampf und flieht gleich ihm nach Aethiopien; Chairemon aber lässt ihn erst nach dem Tode seines Vaters in einer Höhle ge- 140 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. boren werden , später eine Schlacht gewinnen und dann zweihunderttausend Juden nach Syrien vertreiben. Welche Leichtfertigkeit! Denn wie er vorher nichts davon sagt, wer denn die dreihundertachtzigtausend waren, so hören wir auch nicht, wie die vierhundertdreissigtausend um- kamen, ob sie in der Schlacht fielen oder sich dem Ramesses ergaben. Das allerseltsamste aber ist, dass man bei ihm gar keine Klarheit darüber gewinnen kann, wer die von ihm genannten Juden sind oder welchem Teile er diese Bezeichnung beilegt, ob den zweihundert- fünfzigtausend Aussätzigen oder den dreihundertachtzig- tausend, die bei Pelusium standen. Doch es könnte thöricht aussehen, wenn ich solche Schriftsteller, die sich selbst widerlegt haben, noch ferner widerlegen wollte; denn sie kommen , wenn andere dies nicht thun, jeden- falls schlimmer weg. 34. Endlich will ich noch den Lysimachos anführen, der nicht nur auf demselben Boden der Lüge steht wie die Genannten, sondern ihre Unglaubwürdigkeit mit seinen Erdichtungen sogar noch überbietet. Deshalb kann es keinem Zweifel unterliegen, dass ihm lediglich der Hass die Feder führte. Er sagt nämlich, unter dem aegyptischen König Bokchoris sei das mit Aussatz, Krätze und anderen Krankheiten behaftete Volk der Juden in die Tempel geflohen und habe hier um Speise gebettelt. Immer weiter habe die Krankheit sich aus- gebreitet, und dazu sei auch noch das Land unfruchtbar geworden. Der König Bokchoris habe nun zu Ammon 1 geschickt, um einen Orakelspruch inbetreff der Un- fruchtbarkeit zu erhalten, und es sei ihm von dem Gotte der Bescheid erteilt worden, er solle die Heiligtümer von den unreinen und gottlosen Menschen säubern, diese aus den Tempeln in die Wüste jagen, die Krätzigen und Aussätzigen aber, über deren Dasein die Sonne 2 zürne, 1 Vergl. Tacitus, Hist. V, 8. Das Orakel des Ammon war das bedeutendste in Aegypten (Herodot I, 46 ; II, 83). ‘ Ueber den Sonnengott der Aegyptier vergl. Herzog, R.-E. XIV, 532. Gegen Apion, Erstes Buch. 141 ertränken und die Tempel durch Sühnopfer heiligen ; dann werde die Fruchtbarkeit des Landes sich wieder einstellen. Nach Empfang dieses Spruches habe Bok- choris die Priester und Altardiener berufen und ihnen befohlen , die Unreinen auszusondern und sie durch Soldaten in die Wüste abführen, die Aussätzigen aber in Blei einhüllen und ins Meer versenken zu lassen. Demgemäss habe man die Aussätzigen und Krätzigen ertränkt und die übrigen samt und sonders in Einöden versetzt, damit sie hier zu Grunde gingen. Sie aber hätten sich zusammengeschart und nach gepflogener Be- ratung in der ersten Nacht bei brennendem Feuer und Lampenlicht gewacht, um sich zu schützen, in der nächst- folgenden aber durch Fasten die Götter zu versöhnen gesucht und um Rettung zu ihnen gefleht. Tags darauf habe dann ein gewisser Moyses ihnen geraten, unverzagt und geradeswegs vorwärts zu dringen, bis sie bewohnte Gegenden erreichten, und ihnen ausdrücklich anbefohlen, keinem Menschen eine wohlwollende Gesinnung zu be- weisen, niemand den besten, sondern jedem den schlech- testen Rat zu geben und die Tempel und Altäre der Götter, wo sie solche anträfen, zu zerstören. Die anderen hätten ihm Beifall gezollt, ihren Entschluss ins Werk gesetzt, die Wüste durchzogen und seien nach vielen Mühseligkeiten endlich in bewohnte Gegenden gekommen. Unter steter Misshandlung von Menschen, Plünderung und Einäscherung von Tempeln hätten sie dann das jetzt Judaea genannte Land erreicht, eine Stadt gegründet und daselbst sich niedergelassen. Von dem Gebaren der Gründer sei diese Stadt Hierosyla 1 genannt worden ; später aber, als sie zu grösserer Macht gelangten, hätten sie den Namen, um der damit verbundenen Schmähung zu entgehen, geändert und die Stadt Hierosolyrna , sich selbst also Hierosolymer genannt. 35. Dieser Lysimachos wusste also nicht denselben König anzugeben wie jene, sondern erdichtete wieder D. i. Tempelraub. 142 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. einen neuen Namen. Auch erwähnt er nichts von einem Traum und einem aegyptischen Wahrsager, sondern er schlägt den Weg zu Ammon ein, um einen Orakelspruch inbetreff der Krätzigen und Aussätzigen zu holen. Wenn er nun erzählt, es hätten sich eine Menge Juden in den Tempeln zusammengefunden, legt er dann diesen Namen den Aussätzigen als solchen bei, oder sollen bloss die Juden mit. Krankheiten behaftet gewesen sein? Er sagt ja: das Volk der Juden. Was denn für eins? Ein von aussen zugewandertes, oder ein im Lande ein- heimisches? Waren es Aegyptier, weshalb nennst du sie Juden? Waren es Ausländer, warum sagst du nicht, woher sie kamen? Und wie konnte es geschehen, dass, nachdem der König viele von ihnen im Meer ertränkt und die übrigen in öde Gegenden vertrieben hatte, doch noch eine so grosse Anzahl übrig war? Oder auf welche Weise konnten sie die Wüste durchziehen, das jetzt von uns bewohnte Land in Besitz nehmen, sogar eine Stadt daselbst gründen und den in aller Welt berühmten Tempel erbauen? Sodann hätte Lysimachos nicht nur den Namen des Gesetzgebers nennen, sondern auch sein Geschlecht und seine Abstammung sowie die Gründe an- geben sollen, weshalb er seinen Leuten auf dem Marsch derartige Gesetze hinsichtlich der Götter und inbetreff der gegen die Menschen zu verübenden Ungerechtigkeiten gab. Waren seine Begleiter geborene Aegyptier, so werden sie wohl ihren von den Vätern überkommenen Gebräuchen nicht so ohne weiteres untreu geworden sein ; waren sie anderswoher, so hatten sie doch sicher schon gewisse durch lange Gewohnheit bei ihnen fest einge- wurzelte Gesetze. Wenn sie übrigens wirklich hätten schwören müssen, gegen die, von welchen sie vertrieben waren, nie mehr eine freundliche Gesinnung zu hegen, so könnte man da9 noch verständlich finden ; dass aber Leute, die, wie Lysimachos selbst sagt, in schlimmer Lage waren und jedermanns Beistand bedurften, mir nichts dir nichts alle Menschen mit den fürchterlichsten Kriegsdrohungen angegangen sein sollen, das ist der reine Gegen Apion, Erstes Bach. 143 Unsinn, der freilich nicht den Verleumdeten zur Last fallt, sondern dem Erfinder dieser Lüge. Wagt er doch sogar die Behauptung, sie selbst hätten der Stadt vom Tempelraub den Namen gegeben und diesen erst nachher geändert. Daraus erhellt ja deutlich, dass den späteren Geschlechtern dieser Name Hass und Schande zuzog, während doch die Gründer der Stadt, indem sie ihn er- fanden, sich selbst damit hatten ehren wollen. In seiner unbändigen Schmähsucht hat der Treffliche auch ganz übersehen, dass die jüdische Bezeichnung für Tempelraub nicht dieselbe ist wie die griechische. Doch was braucht man gegen einen so unverschämten Lügner noch weitere Worte zu verschwenden? Übrigens hat ja dieses Buch schon einen angemessenen Umfang erhalten, und so will ich denn lieber von neuem ansetzen und das, was sonst noch zum vorliegenden Thema gehört, im folgenden Buche behandeln. Zweites Bueh. 1. In dem vorigen Buche, geehrtester Epaphroditos, habe ich das hohe Alter unseres Volkes zu beweisen und die Wahrheit meiner Darlegungen durch die Schriften der Phoenicier, Chaldäer und Aegyptier wie auch durch viele griechische Geschichtschreiber, die ich als Zeugen anführte, zu erhärten versucht; sodann wider- legte ich Manetho, Chairemon und einige andere. Jetzt will ich mir zunächst angelegen sein lassen, die Angriffe der übrigen, welche etwas gegen uns geschrieben haben, zurückzu weisen. Ob ich mir freilich Mühe geben solle, den Grammatiker Apion zu widerlegen, darüber war ich im Zweifel. Denn ein Teil dessen, was er schreibt, ähnelt dem von anderen bereits Gesagten, ein weiterer Teil be- steht aus seinen eigenen überaus geistlosen Zusätzen, das meiste aber verrät einen so schlechten Geschmack und, um den richtigen Ausdruck zu gebrauchen, einen so hochgradigen Mangel an Bildung, wie er sich von dem niedrigen Charakter eines Mannes, der all seiner Tage nur ein Marktschreier war, erwarten liess. Weil jedoch die meisten Menschen infolge ihres Unverstandes sich durch derartiges Geschwätz mehr einnehmen lassen, als durch gewissenhaft verfasste Schriftwerke, und an Schimpfereien ihre Freude, gegen Lobsprüche aber Wider- willen haben, so hielt ich es doch für geboten, auch ihn, der uns öffentlich, als ständen wir vor Gericht, seine Anklage entgegenschleudert, nicht unbeurteilt zu lassen. Denn es ist auch, wie ich sehe, die Art der meisten Menschen, sich gewaltig zu freuen, wenn jemand, der zuerst einen anderen geschmäht hat, hinwiederum seiner Gegen Apion, Zweites Bach. 145 eigenen Schwächen überführt wird. Zwar ist es nicht so leicht, seine Schrift zu lesen und sich darüber klar zu werden, was er denn eigentlich sagen will. Soviel sich aber bei der grossen Unordnung und dem Gewirrer von Lügen erkennen lässt, bezieht sich der eine Teil seiner Darlegungen auf die schon oben untersuchte Frage, nämlich den Auszug unserer Vorfahren aus Aegypten, während der zweite Anklagen gegen die in Alexandria wohnenden Juden und der dritte Beschul- digungen gegen uns enthält, die mit den beiden vorigen Gegenständen verquickt sind und unseren Tempel- gottesdienst sowie die anderen gesetzlichen Einrichtungen betreffen. 2. Dass nun, um mit dem ersten Punkt zu beginnen, unsere Väter weder geborene Aegyptier waren noch wegen körperlicher Gebrechen oder anderer derartiger Mängel aus Aegypten vertrieben worden sind, habe ich meinem Dafürhalten gemäss oben nicht nur hinreichend, sondern sogar bis zum Überfluss nachgewiesen. Was aber von Apion noch hinzugefügt wird, das will ich jetzt kurz besprechen. Im dritten Buche seiner „Aegyp- tiaka“ sagt er: „Moyses stammte, wie ich von den Ältesten der Aegyptier erfuhr, aus Heliopolis. Obwohl er den Gebräuchen seiner Väter zu folgen verpflichtet war, ver- legte er doch die Abhaltung der Gebete, die bis dahin unter freiem Himmel stattfand, in eingefriedigte Räume, wie die Stadt sie aufwies, und gab letzterer durchweg die Richtung gegen Osten; so nämlich ist die Lage der Sonneustadt Anstelle der Obelisken errichtete er Säulen, an deren Fuss ein kahnähnliches Gebilde angebracht war, auf welches der Schatten der Säulenspitze fiel, so- dass dessen Lauf stets dem der Sonne am Himmel folgte.“ 1 So lautet der wunderliche Satz des Gramma- tikers; um aber zu zeigen, dass sein Inhalt erlogen ist, 1 Also Sonnenuhren. Vergl. hierzu Müller a. a. O., S. 227; Zipser, Des Flavins Jos. Werk über das hohe Alter des jüdischen Volkes, S. 102 ff. Joaepbua, KleinereJScbrifteq. i 10 146 Des Flavias Josephas kleinere-Scbriften. bedarf es keiner Worte, sondern die Thatsachen beweisen dies aufs klarste. Denn weder hat Moyses selbst, als er Gott dem Herrn das erste Zelt errichtete, ein derartiges Gebilde darin angebracht, noch schrieb er jemals vor, dass seine Nachfolger ein solches verfertigen müssten, und auch der spätere Erbauer des Tempels in Jerusalem, Solomon, hat sich der Verwendung jedes derartigen Bei- werkes, wie Apion sich eins zusammenstoppelte, enthalten. Dass Moyses aus Heliopolis war, will er von den Ältesten gehört haben. Freilich, er war ja der Jüngere und musste jenen glauben, und sie waren natürlich so alt, dass sie Moyses selbst gekannt und mit ihm verkehrt hatten! Und während der Grammatiker von dem Dichter Homer nicht mit Bestimmtheit angeben kann, in welcher Stadt er geboren war, und ebensowenig von Pythagoras, der doch sozusagen gestern und vorgestern auf Erden wandelte, ist er mit Moyses, der so unendlich viele Jahre vor jenen lebte, ganz im reinen und glaubt ein- fach, was er von den Ältesten vernommen hat — ein deutlicher Beweis, dass er lügt. Was sodann die Zeit betrifft, in der Moyses die Aussätzigen , Blinden und Lahmen weggeführt haben soll, so steht da, wie ich finde, der gewissenhafte Grammatiker mit denen, die vor ihm schrieben, in recht netter Übereinstimmung. Manetho nämlich setzt den Auszug der Juden aus Aegypten in die Regierungszeit des Königs Tethmosis, d. i. dreihundert- dreiundneunzig Jahre früher als Danaos nach Argos floh, Lysimachos in die Zeit des Königs Bokchoris, also fünf- zehnhundert Jahre früher, Molon und andere, wie es ihnen beliebte; der Allerzu verlässigste aber, nämlich Apion, hat die Zeit des Auszuges ganz genau bestimmt: er giebt die siebente Olympiade an und zwar das erste Jahr derselben , 1 in welchem, wie er sagt, die Phoenicier Karthago gründeten. Die zusätzliche Bemerkung ; über Karthago machte er jedenfalls in der Meinung, dies werde der augenfälligste Beweis für die Wahrheit seiner 1 752 v. Chr. Gegen Apion, Zweites Buch. 147 Angabe sein; er hat aber nicht bemerkt, dass er damit gerade einen Beweis gegen sich anführte. Denn wenn man hinsichtlich jener Ansiedelung den Urkunden der Phoenicier trauen darf, so ergiebt sich aus diesen, dass der König Hirom — die ihn betreffenden Belegstellen aus den phoenicischen Annalen erwähnte ich bereits oben — mehr als hundertfünfzig Jahre vor der Gründung Kar- thagos lebte, mit Solomon, dem Erbauer des Tempels in Jerusalem, befreundet war und vieles zur Vollendung des Tempels beitrug. Solomon selbst aber erbaute den Tempel erst sechshundertzwölf Jahre nach dem Auszug der Juden aus Aegypten. Nachdem Apion sodann die Zahl der Vertriebenen nach dem Vorgang des Lysimachos willkürlich auf hundertzehntausend angesetzt hat, giebt er eine wunderbare und überaus glaubwürdige Erklärung für die Entstehung des Namens Sabbat. Er sagt näm- lich: „Nach sechstägigem Marschieren bekamen die Juden Iieistengeschwüre und mussten deshalb am siebenten Tage ruhen, nachdem sie glücklich das jetzt Judaea ge- nannte Land erreicht hatten. Darum nannten sie mit Beibehaltung eines aegyptischen Wortes den siebenten Tag Sabbat; denn der Schmerz, den Leistengeschwüre verursachen, heisst bei den Aegyptiern Sabbatosis.“ Man weiss nicht, soll man über derartiges Geschwätz lachen oder die Schamlosigkeit, die sich im Niederschreiben solcher Dinge kundgiebt, verabscheuen? Es müssten also die hundertzehntausend Menschen samt und sonders an Leistengeschwüren gelitten haben ! Aber wenn es, wie Apion behauptet, lauter Blinde, Lahme und mit allerhand Krankheiten behaftete Leute waren, so hätten sie doch wohl keinen einzigen Tag marschieren können ; waren sie aber imstande, die weite Einöde zu durch- wandern und noch dazu mit den Waffen in der Hand ihre Gegner zu bekämpfen, so sind sie gewiss nicht nach dem sechsten Tage sämtlich an Leistengeschwüren er- krankt. Denn es ist weder eine Naturnotwendigkeit, dass man vom Marschieren ein derartiges Leiden bekommt — haben doch schon Heere von vielen tausend Mann, Go gle 148 Des Flavius Josephos kleinere Schriften. ohne auszusetzen, ähnliche Märsche zurückgelegt — , noch spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies gerade hier der Fall gewesen sei ; die Geschichte ist eben gar zu widersinnig. Kaum hat ferner der Schlaukopf Apion behauptet, sie seien in sechs Tagen nach Judaea ge- kommen, als er auch schon gleich wieder bemerkt, Moyses habe den zwischen Aegypten und Arabien liegenden Berg Sinai bestiegen, sich hier vierzig Tage lang ver- borgen gehalten und nach seiner Rückkehr von dort den Juden die Gesetze gegeben. Aber wie war es doch möglich, dass dieselben Menschen vierzig Tage in der wasserlosen Wüste blieben und trotzdem das ganze Zwischenland in sechs Tagen durchzogen? Die gram- matische Ableitung des Wortes Sabbat vollends ist ent- weder ein Zeichen von arger Unverschämtheit oder von tiefster Unwissenheit. Die Worte Sabbo und Sabbat haben nämlich durchaus nichts miteinander gemein: Sabbat bedeutet in der jüdischen Sprache das Ausruhen von jeder Arbeit, Sabbo dagegen bezeichnet, wie Apion behauptet, bei den Aegyptiern den Schmerz, den Leisten- geschwüre erzeugen. 3. Derartige Erfindungen, die er den schon vor- handenen anreiht, bringt der Aegyptier Apion über Moyses und den Auszug der Juden aus Aegypten vor. Darf es übrigens wunder nehmen, dass er über unsere Vorfahren lügt und sie als geborene Aegyptier hinstellt, wenn er über seine eigene Person die umgekehrte Lüge auftischt? Er ist nämlich in der Oase Aegyptens ge- boren; gleichwohl hat er — sicher der erste von allen Aegyptiern, der dies that — sein wirkliches Vaterland und seine Herkunft abgeschworen und sich fälschlich für einen Alexandriner ausgegeben. Damit gesteht er selbst zu, wie verächtlich er von seiner Abstammung denkt. Selbstverständlich nennt er nun alle, die er hasst und in ein schlechtes Licht stellen möchte, Aegyp- tier. Hielte er die Aegyptier nicht für ein durch und durch schlechtes Volk, so würde er seine Verwandt- schaft mit ihnen nicht leugnen; denn wer auf sein Gegen Apion, Zweites Buch. 149 Vaterland stolz ist, setzt eine Ehre darein, sich nach ihm zu nennen, und straft diejenigen Lugen, die ohne Berechtigung dies zu thun wagen. Zweierlei können also die Beziehungen der Aegyptier zu uns sein: ent- weder machen sie Anspruch auf Verwandtschaft mit uns, um dadurch im Ansehen zu steigen, oder sie wollen auch uns in den üblen Ruf bringen , in dem sie selbst stehen. Der edle Apion aber scheint die Schimpferei gegen uns gewissermassen aus Dankbarkeit für das ihm geschenkte Bürgerrecht an die Alexandriner übertragen zu wollen, und da er ihre feindliche Gesinnung gegen die jüdischen Bewohner Alexandrias kannte, nahm er sich vor, diese zu verlästern, und warf dann alle anderen Juden mit ihnen zusammen — in dem einen wie dem anderen Punkte ein unverschämter Lügner. 4. Wir wollen jetzt sehen, welches denn die schlimmen Unthaten sind, die er den Juden in Alexandria vorwirft. „Sie kamen,“ sagt er, „von Syrien her und Hessen sich an einem hafenlosen Meere nieder, in der Nähe der Brandung.“ Nun, wenn an dem Ort etwas zu tadeln ist, so betrifft ja dieser Tadel seine eigene — freilich nicht wirkliche, sondern nur angebliche — Vaterstadt Alexandria. Denn auch der unmittelbar ans Meer stossende Teil derselben ist, wie allseitig zugegeben wird, zur Ansiedelung sehr geeignet. Wenn aber die Juden den Platz mit Gewalt in Besitz nahmen und ihn auch später behaupteten, so ist das ein Zeichen ihrer Tapfer- keit. ln Wirklichkeit jedoch hat Alexander ihnen den- selben zur Niederlassung angewiesen und ihnen mit den Macedoniern gleichen Rang zuerkannt. Ich möchte wohl wissen, was Apion sagen würde, wenn sie sich in der Nekropolis 1 niedergelassen hätten, während sie jetzt in der Nähe des königlichen Palastes ihren Wohnsitz nehmen durften und ihr Stamm den Beinamen Mace- donier erhielt, den sie noch bis heute führen. Wenn übrigens Apion die Briefe des Königs Alexander und S. Namenregister. 150 Des FUvius Josephus kleinere Sokriften. des Ptolemaeus Lagi sowie der nachfolgenden aegyp- tischen Könige gelesen und ferner die in Alexandria stehende Säule gesehen hat, auf der die von dem grossen Caesar den Juden verliehenen Rechte verzeichnet sind 1 — wenn er, sage ich, diese Urkunden kannte und dennoch das Gegenteil von dem, was sie melden, in seiner Schrift zu behaupten sich erdreistete, so ist er ein schlechter, wenn er sie aber nicht kannte, ein un- wissender Mensch. Sich darüber zu wundern, dass die in Alexandria wohnenden Juden Alexandriner genannt wurden, verrät den gleichen Mangel an Bildung. Denn alle, die jemals in eine Kolonie berufen wurden, erhalten, so verschieden auch ihre Herkunft sein mag, ihren Namen von dem Gründer der Ansiedelung. Beispiele -aus der Fremde anzuführen, ist unnötig; vielmehr bleibe ich bei uns und weise darauf hin, dass die jüdischen Be- wohner von Antiochia Antiochener genannt werden, weil der Gründer der Stadt, Seleukos, ihnen das Bürgerrecht verliehen, hat. Ebenso führen die Juden in Ephesos und anderen ionischen Städten den gleichen Gesamt- namen wie die eingeborenen Bürger; die Diadochen haben ihnen dies gestattet. Auch erlaubten ja die Römer in ihrer Grossmut fast allen Menschen, und zwar nicht .nur einzelnen Männern, sondern auch ganzen Völker- schaften, sich die Bezeichnung Römer beizulegen. Dem<- zufolge werden die ehemaligen Iberer, Tyrrhener und Sabiner Römer genannt Wenn aber Apion diese Art -des Bürgerrechtes nicht gelten lassen will, so höre er vor allem auf, sich selbst einen Alexandriner zu nennen. Denn geboren ist er, wie ich oben sagte, mitten in Aegypten; wie kann er also ein Alexandriner sein, wenn das geschenkte Bürgerrecht seiner gegen uns vorgebrachten Behauptung gemäss keines ist? ^ Freilich nur den Aegyptiern haben die Römer, die jetzigen Herren der Welt, die Annahme jedes fremden Bürgerrechtes ver- 1 S. Jüd. Altert. XIV, 7,2; 10, lff; XIX, 5, 2. Gegen Apion, Zweites Bucb. 151 boten . 1 Apion jedoch ist so edelmütig , dass er, weil sein Verlangen nach dem steht, was ihm versagt war, diejenigen zu verkleinern sucht, die es mit Fug und Recht besitzen. Denn Alexander hat nicht etwa des- halb, weil es ihm an Ansiedlern für die von ihm so eifrig gegründete Stadt mangelte, eine Menge Juden dorthin berufen, sondern weil er alle in Betracht kommenden Menschen hinsichtlich ihrer Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit einer genauen Prüfung unterzog und dabei den Angehörigen unseres Volkes den Preis zu- erkennen musste. Er hatte überhaupt grosse Achtung vor uns, wie denn auch Hekataios bezeugt, dass er den Juden wegen der Biederkeit und Treue, die sie ihm gegenüber an den Tag legten, das Samariterland als steuerfreies Gebiet zu ihrem bisherigen Besitz noch hin- zugeschenkt habe. Ähnlich wie Alexander war auch Ptolemaeus Lagi gegen die in Alexandria ansässigen Juden gesinnt. Denn ihnen vertraute er die aegyptischen Festungen an, überzeugt) dass sie dieselben treu und tapfer behaupten würden; auch sandte er in der Ab- sicht, seine Herrschaft in Kyrene und den anderen Städten Libyens zu befestigen, eine Schar jüdischer An- siedler dorthin. Und was seinen Nachfolger Ptolemaeus Philadelphus betrifft, so gab er nicht nur die sämtlichen in seinem Reiche lebenden Kriegsgefangenen frei, sondern machte ihnen auch zu wiederholten Malen Geldgeschenke ; dass wichtigste -aber ist, dass er unsere Gese.tze kennen zu lernen und unsere heiligen Bücher zu lesen verlangte. Zu diesem Zweck beschied er Männer zu sich, die ihm das Gesetz verdolmetschen sollten, und damit ein vor- treffliches Schriftstück zustande käme, übertrug er die Vorbereitungen nicht etwa dem ersten besten , sondern betraute damit den Demetrius Phalereus, der unter seinen 1 Von diesem Verbot ist aus anderen Quellen nichts bekannt; wohl. aber bestand die einschränkende Bestimmung, dass Aegyptief nur dann römische Bürger werden konnten, wenn sie vorher da» Bürgerrecht in Alexandria erworben hatten. 152 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. Zeitgenossen durch Bildung hervorragte, sowie Andreas und Aristeas, denen die Bewachung der Person des Königs oblag. 1 Er wäre doch wohl kaum so begierig gewesen, unsere Gesetze und die bei uns einheimische Weisheit kennen zu lernen, wenn er von den Männern, die damit vertraut waren , geringschätzig gedacht und nicht vielmehr seine ganze Bewunderung ihnen gezollt hätte. 5. Auch dass alle übrigen Könige seiner macedonischen Vorfahren die freundlichste Gesinnung gegen uns hegten, weiss Apion nicht So hat der dritte Ptolemaeus mit dem Beinamen Euergetes nach der Eroberung von Ge- samt-Syrien nicht etwa den aegyp tischen Göttern zum Dank für den errungenen Sieg geopfert sondern er kam nach Jerusalem, brachte daselbst Gott dem Herrn zahl- reiche Opfer nach der bei uns gütigen Gesetzesvorschrift dar und stiftete Weihgeschenke in den Tempel, die seines Sieges würdig waren. 2 Ptolemaeus Philometor ferner und seine Gemahlin Kleopatra vertrauten die ganze Regierung Juden an und ernannten zu Befehls- habern der gesamten Streitmacht die Juden Onias und Dositheos, deren Namen Apion allerdings bespöttelt und deren Handlungen er schmäht anstatt sie zu bewundern und ihnen Dank dafür zu wissen, dass sie eben die Stadt Alexandria, deren Bürger er zu sein vorgiebt retteten. Denn als die Alexandriner mit der Königin Kleopatra im Kriege lagen und Gefahr liefen, elend um- zukommen, da brachten jene Männer einen Vergleich zustande und machten so dem Bürgerkrieg ein Ende. Apion freilich sagt: „Später zog Onias mit einem, un- ansehnlichen Heere vor die Stadt, während der römische Legat Thermus daselbst anwesend war.“ Daran, entgegne ich, that er sehr recht. Denn Ptolemaeus mit dem Bei- namen PhyBkon rückte nach dem Tode seines Bruders 1 S. Jüd. Altert. XII, 2, 2 ff. 2 Womit übrigens nicht gesagt sein soll, dass Ptolemaeus den Gott der Juden als den allein wahren Gott anerkannt habe. Er ehrte ihn vielmehr wie jeden anderen Landesgott. So auch Ptol. Philopator (3. Makk. 1,9). Go gle Gegen Apion, Zweites Buch. 153 Ptolemaeus Philometor von Kyrene heran, um Kleopatra und die Söhne des Königs aus dem Reiche zu vertreiben 1 und sich dasselbe unrechtmässigerweise anzueignen. Gerade deswegen überzog ihn Onias in Kleopatras In- teresse mit Krieg und wahrte so die Treue gegen das 'Königshaus auch in den Zeiten der Not Gott stellte übrigens seiner Gerechtigkeit ein glänzendes Zeugnis aus. Als nämlich Ptolemaeus Physkon im Begriff stand, dem Heere des Onias eine Schlacht zu liefern, nahm er alle Juden in der Stadt samt ihren Weibern und Kindern gefangen und warf sie nackt und gefesselt den Elefanten vor, damit sie von diesen zu Tode getreten würden, in welcher Absicht er die Tiere trunken gemacht hatte. Doch es geschah das gerade Gegenteil von dem, was er wollte : die Elefanten liessen die ihnen vorgeworfenen Juden liegen, griffen seine Freunde an und brachten viele derselben um. Bald darauf hatte Ptolemaeus eine schreckliche Erscheinung, die ihn warnte, den Juden etwas zuleide zu thun, und da auch seine liebste Bei- schläferin — von einigen Ithaka, von anderen Irene genannt — ihn flehentlich bat, keinen derartigen Frevel zu begehen, gab er ihr nach und bereute, was er gethan hatte oder zu thun beabsichtigte. Mit Recht feiern da- her, wie bekannt, die in Alexandria ansässigen Juden diesen Tag, weil sie damals die offenbare Hilfe Gottes erfuhren. Apion aber, der über alles schimpft, erdreistet sich auch wegen des Krieges gegen Physkon die Juden anzuklagen, statt sie, wie es Bich gehörte, zu loben . 2 Er erwähnt auch die letzte Kleopatra, welche Königin der Alexandriner war, und macht gewissermassen uns dafür verantwortlich, dass sie uns mit Undank lohnte, obwohl er doch eigentlich gegen sie hätte Partei nehmen müssen. Alle erdenkliche Ungerechtigkeit und Bosheit verübte ja 1 Von hier bis zum Beginn des Abschnittes 9 ist der griechische Text verloren gegangen and nur eine alte lateinische Uebersetzung vorhanden. 2 Nach 3. Makk. 5 und 6 handelte es sich um Ptol. Philopator, nicht um Physkon. 154 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. dieses Weib nicht nur gegen ihre Blutsverwandten und gegen die Männer, deren Liebe sie entflammt hatte, sondern auch gegen die Römer insgesamt und besonders gegen die Imperatoren, von denen sie mit Wohlthaten überhäuft worden war. Ihre Schwester Arsinoe, die ihr nichts zuleide gethan, ermordete sie im Tempel; ihren Bruder brachte sie durch Hinterlist um; die heimischen Götter und die Gräber ihrer Ahnen plünderte sie. Ob- wohl sie dem ersten Caesar ihr Königreich verdankte, trug sie kein Bedenken, sich gegen seinen Sohn und Nachfolger zu empören ; den Antonius berückte sie durch ihre Liebeskünste und brachte ihn dahin, dass er sein Vaterland hasste und seine Freunde verriet; den einen nahm sie die Königskrone, die anderen trieb sie in ihrer Tollheit zu verbrecherischen Thaten. Doch was will das alles dagegen besagen, dass sie den Antonius selbst, das heisst ihren Gatten und den Vater der Söhne, die sie ihm geboren, bei der Seeschlacht im Stiche liess und ihn zwang, unter Verzichtleistung auf Heer und Oberbefehl ihr zu folgen? Und als nun Alexandria zum letztenmal von Caesar erobert wurde, kam sie so weit, dass sie nur dann noch Hoffnung zu hegen wagte, wenn ihm die Vernichtung der Juden gelang; denn gegen alle benahm sie sich grausam und treulos. [— ] l Dafür hat sie frei- lich auch die gebührende Strafe erlitten; wir aber können uns auf das gewichtige Zeugnis des grossen Caesar über die treue Hilfe, die wir ihm gegen die Aegyptier ge* leistet haben , 2 berufen, ferner auf den Senat und seine Beschlüsse, und endlich auf die Briefe des Caesar Augustus, in denen unsere Verdienste anerkannt werden. Diese Briefe hätte Apion einsehen müssen und nicht minder die Zeugnisse, die uns von Geschlecht zu Geschlecht unter Alexander und allen Ptolemäern ausgestellt wurden, sowie die Bestimmungen, welche der Senat und die 1 Der hier im Text folgende Setz wurde etwas weiter nach unten verschoben, wohin er dem Zusammenhang nach zweifellos gehört. 2 S. J. A. XIV, 8, 1 ; Jüd. Krieg I, 9, 8. Gegen Apion, Zweites Bach. 155 bedeutendsten römischen Feldherren zu unseren Gunsten getroffen haben. [Und dass die Juden, wie Apion sagt, während einer Hungersnot keinen Weizen auf dem Tische haben , ist das vielleicht etwas unrühmliches ?] Denn wenn Germanicus nicht allen Einwohnern Alexandrias Getreide zuteilen konnte, so beweist das doch nur einen durch Unfruchtbarkeit des Bodens erzeugten Fruchtmangel, begründet aber keinen Vorwurf gegen die Juden. Welche Gesinnung übrigens alle Imperatoren gegen die alexam- drinischen Juden hegten, unterliegt keinem Zweifel. Denn die Getreideverwaltung ist ihnen ebensowenig wie den Alexandrinern überhaupt abgenommen worden; vielmehr hat man den Juden die ihnen von den früheren Königen anvertrauten Ämter belassen, nämlich die Bewachung .des Flusses und die Aufsicht über die gesamte Besatzung, da man sie solcher Vertrauensposten nicht unwert hielt. 6. Apion aber bringt noch mehr vor. Er sagt: Wenn sie Bürger sind, weshalb verehren sie nicht die gleichen Götter wie die Alexandriner ? Ich antworte: Wie kommt es, dass ihr, die ihr doch alle Aegyptier seid, wegen der Religion miteinander in heftiger und unversöhnlicher Fehde liegt? 1 Und sprechen wir euch etwa den Namen Aegyptier oder auch überhaupt die Bezeichnung Menschen ab, weil ihr Tiere, die der menschlichen Natur feindlich sind, verehrt und mit vieler Sorgfalt füttert? Unser Volk dagegen bildet eine geschlossene Einheit. Wenn aber unter euch Aegyptiern so tiefgreifende Meinungs- verschiedenheiten herrschen, wie magst du dich da noch wundern , dass die von auswärts in Alexandria Ein- gewanderten ihren Gesetzen, die von jeher bei ihnen be- stehen, treu geblieben sind? Ferner stellt Apion uns auch als Aufwiegler hin. Wenn aber diese Beschuldigung gegen die alexandrinischen Juden gerechtfertigt wäre, könnte er uns ebenso gut aus unserer allbekannten Ein- 1 Jeder Nomos hatte seine besonderem Götter und seinen besonderen Tempeldienst; zudem hatte jeder Tempel eine eigene Trias von Göttern, die an derSpitze der anderen Götter stand. Vgl. Strabo XVII, 1, 156 Des Flavias Josepbas kleinere Schriften. tracht einen Vorwurf machen. Viel eher wird man finden, dass gerade Alexandriner vom Schlage Apions es sind, die Unruhen zu erregen trachten. Denn so lange die Griechen und Macedonier Herren der Stadt waren , zettelten sie keinen Aufruhr gegen uns an, sondern liessen die alten religiösen Feierlichkeiten ruhig geschehen. Als aber die Aegyptier in Alexandria an Zähl bedeutend Zunahmen, da blieb bei der durch die Zeitverhältnisse bedingten Verwirrung auch der Hader nicht aus. Unser Volk indes lud keine Schuld auf sich, und nur von den Aegyptiern gingen solche Belästigungen aus, indem sie den Juden weder mit macedonischer Treue noch mit griechischer Klugheit entgegen kamen, sondern alle schlechten Charaktereigenschaften der Aegyptier her- vorkehrten und ihre uralte Feindschaft an uns ausliessen. Die Beschuldigung, die sie gegen uns erheben, fallt da- her auf sie selbst zurück. Übrigens besitzen die meisten von ihnen das alexandrinische Bürgerrecht zu Unrecht und bezeichnen nun diejenigen als Fremde, die dasselbe anerkannterraassen vollgiltig sich erworben haben. Denn den Aegyptiern ist, soviel man weiss, weder von einem alexandrinischen König noch von irgend einem römischen Imperator das Bürgerrecht der Stadt geschenkt worden. Uns aber hat Alexander daselbst Wohnsitze angewiesen, die Könige haben unsere Gerechtsame erweitert, die Römer waren so gnädig, uns dieselben stets zu belassen. Und nun will Apion sie uns deshalb aberkennen, weil wir keine Bildsäulen von Imperatoren aufstellen, als wäre ihnen dies unbekannt gewesen oder als hätten sie es nötig, dass ein Apion sich ihrer annehme 1 Statt dessen hätte er die Grossmut und Selbstbeherrschung der Römer bewundern sollen, weil sie ihre Unterthanen nicht zwingen» die Landesgebräuche mit Füssen zu treten, sondern sich so ehren lassen, wie die zur Huldigung Verpflichteten es mit ihrem Gewissen und ihren Gesetzen vereinbaren können. Für solche Ehrenbezeugungen nämlich, die ihnen aus zwingender Not erwiesen werden, wissen sie keinen Dank. Bei den Griechen freilich und einigen anderen Gegen Apion, Zweites Bach. 157 Völkern hält man es für schön, Bildsäulen zu errichten : man hat seine Freude daran, den Vater, die Gattin, die Kinder abzubilden, und stellt auch hier und da solche Personen im Bilde dar, die einen gar nichts angehen; ja, manche thun dies sogar mit fleissigen Sklaven. Was wunder also, wenn man sieht, dass sie auch die Fürsten und Gebieter in dieser Weise ehren ? Unser Gesetz- geber hingegen hat, nicht etwa weil er als Prophet die zukünftige Macht der Römer ahnte, die man nicht ehren dürfe , sondern lediglich deshalb die Herstellung von Bildwerken verboten, weil sie weder Gott noch den Menschen Nutzen bringen, mithin wertlos sind, und weil sie kein beseeltes Wesen, geschweige denn den unbe- seelten 1 Gott getreu wiedergeben können. 2 Andere Ehren- bezeugungen dagegen nächst Gott auch hervorragenden Menschen zu erweisen, hat er nicht untersagt, wie wir denn thatsächlich die Imperatoren und das römische Volk durch dergleichen Kundgebungen verherrlichen. Denn ohne Unterlass bringen wir Opfer für sie dar, und wir begehen nicht nur diese feierlichen Handlungen tagtäglich auf gemeinsame Kosten sämtlicher Juden, sondern thun auch den Imperatoren allein damit eine Ehre an, die wir keinem anderen Menschen gewähren, indem wir derartige Opfer weder für das öffentliche Wohl noch für unsere Kinder darbringen. Diese allge- meinen Bemerkungen wollte ich zur Widerlegung dessen, was Apion über Alexandria vorbringt, hier anführen. 7. Wundern aber muss ich mich auch über die, welche ihm zu seinen Ausfällen Veranlassung gegeben haben, nämlich Poseidon ios und Apollonios Molon; denn auch sie fragen im Tone des Vorwurfs, weshalb wir nicht dieselben Götter wie andere verehren. Dabei 1 D. h. unerschaffenen. Das Fehlen des griechischen Urtextes ist hier besonders zu bedauern. Müllers Erklärung (a. a. O. S. 257), der au einen heidnischen Götzen denkt, wird durch den Zusammenhang widerlegt. 9 Der Hauptgrund war indes, wie sich aus 2. Mos. 20, 4 f. er- giebt, die Verhütung des Götzendienstes. 158 Des Fl&Yius Josephäs kleinere Schriften. glauben sie keine Unehrerbietigkeit zu begeben, wenn sie sich mit Lügen abgeben und über unseren Tempel widersinnige Lästerungen Vorbringen, während es doch für gebildete Menschen die grösste Schande ist, auf irgend eine Weise zu lügen und vollends überden welt- bekannten, so unendlich heiligen Tempel. In diesem Heiligtum, erfrecht sich Apion zu behaupten, hätten die Juden einen Eselskopf aufgestellt; den beteten sie an, und ihm gelte der ganze Gottesdienst 1 Derselbe , ver- sichert er, sei abhanden gekommen, als Antiochus Epi- phanes den Tempel plünderte, wobei er jenen aus Gold gefertigten, ungemein wertvollen Kopf gefunden habe. Darauf antworte ich zunächst: Selbst wenn etwas der- artiges bei uns vorhanden gewesen wäre, hätte der Aegyptier kein Recht, uns deshalb zu schelten, da ein Esel nicht geringer ist als Böcke und andere Tiere, die bei ihnen für Götter gehalten werden. Merkt er übrigens nicht, wie die Thatsachen seine ungeheuerliche Lüge zu Schanden machen? Wir haben nämlich immer die gleichen Gesetze, bei denen wir unerschütterlich be- harren. Und obwohl nun unsere Hauptstadt wie so viele andere von mancher Drangsal heimgesucht wurde und (Antiochus) der Gott, Pompejus Magnus, Licinius Crassus und jüngst noch der Caesar Titus als Sieger im Kampfe sich des Tempels bemächtigten, fanden sie nichts der- gleichen, sondern die reinste Gottes Verehrung, über die wir freilich vor anderen nichts aussagen dürfen. Antio- chus hatte übrigens keinen stichhaltigen Grund zur Plünderung des Tempels, vielmehr trieb ihn dazu nur seine Geldnot; denn er war kein Feind, sondern griff uns, seine Bundesgenossen und Freunde, an, und auch er fand nichts darin, worüber man hätte spotten können. Dies bezeugen auch viele ehrenwerte Geschichtschreiber: 1 Worauf diese Lüge fusste, hat Hüller (a. a. O. 8. 258 f.) gezeigt- Auch den Christen wurde ein solcher Eseladienst n&chgesagt (Ter- tullian, Apolog. c. 16; Minucius Felix, Octavins 28; Kuhn, Roma, S. 123 f.). Gegen Aplon, Zweites Buch. 159 Polybios von Megalopolis, der Eappadocier Strabo, Niko- laus von Damaskus, Timagenes, der Chronist Kastor und Apollodor; sie alle sagen, Antiochus habe, weil es ihm an Geld mangelte, das Bündnis mit den Juden gebrochen und den mit Gold und Silber gefüllten Tempel ge- plündert. Das hätte Apion bedenken sollen ; doch er hat eben das Herz eines Esels und die Unverschämtheit eines Hundes, der ja bei ihnen verehrt wird. Ein anderer Grund, weshalb er so gelogen haben sollte, ist nicht denkbar. Wir erzeigen den Eseln weder irgend eine Ehre noch schreiben wir ihnen irgend welchen Einfluss zu, wie die Aegyptier den Krokodilen und Schlangen ; glauben sie doch, dass jemand, der von den letzteren gebissen oder von Krokodilen geraubt wird, zur Seligkeit und Gemeinschaft der Götter gelangt. Bei uns sind die Esel, was sie auch bei anderen verständigen Leuten sind: nützliche Lasttiere, und wenn sie beim Dreschen auf der Tenne fressen oder sich faul zeigen, erhalten sie tüchtig Schläge; denn sie müssen in der Landwirtschaft und bei anderen Arbeiten Dienste thun. Apion aber ist ent- weder so ungebildet, dass er nicht einmal ordentlich lügen kann, oder er vermag selbst dann, wenn er von Thatsachen ausgeht, zu keinem richtigen Schluss zu ge- langen — sonst würde er nicht mit allen seinen Läste- rungen gegen uns so schlecht abschneiden. 8. Er bringt auch noch eine andere für uns äusserst beleidigende Fabel vor , welche zugleich die Griechen angeht. Es dürfte genügen, hierüber zu bemerken: Leute, die von religiösen Dingen reden wollen, sollten doch wissen, dass es weit grössere Unreinheit verrät, wenn man Priestern frevelhafte Handlungen andichtet, als wenn man durch einen Tempel wie auf einem ge- meinen Wege geht. Jenen Lügnern aber lag mehr daran, einen gottesräuberischen König in Schutz zu nehmen, als über uns und den Tempel wahrheitsgemäss und ge- ziemend cu berichten. Denn um dem Antiochus zu schmeicheln, ferner um die Treulosigkeit und den Tempel- raub, womit er sich aus Geldmangel gegen unser Volk Go gle 160 Des Flavias Josephas kleinere Schriften. versündigte, zu beschönigen,, legen sie uns verleumde- rischerweise auch noch Absichten bei, die wir erst spater hätten verwirklichen wollen. Apion natürlich führt an- stelle der anderen das grosse Wort Er sagt nämlich, Antiochus habe im Tempel ein Kuhebett gefunden, auf dem ein Mensch lag. Vor diesem habe ein mit Lecker- bissen von Seefisch und Geflügel besetzter kleiner Tisch gestanden, worüber der König in Erstaunen geraten sei Alsbald nun sei der Mensch ehrfurchtsvoll dem Könige zu Füssen gesunken, als wenn dieser ihm die grösste Hilfe gewähren könne, und habe ihn mit ausgestreckter Hand um Befreiung angefleht. Antiochus habe ihn dann aufgefordert, sich zu setzen und zu sagen, wer er sei, weshalb er hier sich befinde und was die Speisen zu bedeuten bätteD, worauf er seufzend und weinend seine Not mit folgenden Worten geklagt habe: Er sei ein Grieche, und während er, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, die Provinz durchzogen habe, sei er plötzlich von wildfremden Menschen ergriffen, in einen Tempel geschleppt und hier ein gesperrt worden ; nie bekomme er jemand zu sehen, doch werde er mit allen möglichen Leckerbissen gemästet. Anfangs hätten diese unerwar- teten Wohlthaten ihm Freude bereitet, später aber habe er Verdacht geschöpft und sei dann in Stumpfsinn ver- fallen ; zuletzt habe er einen näher herankommenden Diener gefragt und von ihm erfahren, dass es ein ge- heimes Gesetz der Juden gebe, dem zulieb er genährt werde, und sie thäten das jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit. Sie fingen nämlich einen fremden Griechen auf, mästeten ihn ein Jahr lang, führten ihn dann in einen gewissen Wald, schlachteten ihn, opferten seinen Leib unter herkömmlichen feierlichen Geremonien , genössen etwas von seinen Ei nge weiden und schwüren bei der Opferung des Griechen einen Eid, dessen Landsleute zu hassen; schliesslich würfen sie die Überreste des Un- glücklichen in eine Grube . 1 Der Gefangene habe dann 1 Apion war also der erste, der die Juden des ritaeilen Hördes Go gle Gegen Apion, Zweites Buch. 161 hinzugefügt, dass ihm nur noch wenige Tage beschieden seien, und den König gebeten, ihn aus seiner schreck- lichen Lage zu befreien, einmal aus Ehrfurcht gegen die Götter der Griechen, und dann auch um durch seine Rettung die hinterlistigen Anschläge der Juden zunichte zu machen. Das ist nun freilich nicht bloss ein ganz schauervolles Märchen, sondern strotzt auch von greu- licher Unverschämtheit, und obendrein wird Antiochus noch nicht einmal von dem Verbrechen der Tempel- schändung reingewaschen, wie es die Absicht derer war, die solche Fabeleien zu seinen Gunsten niederschrieben. Denn nicht weil er etwas dergleichen argwöhnte, betrat er den Tempel, sondern was er dort fand, überraschte ihn förmlich. Er sündigte also aus bösem Willen und bleibt ein gottloser Mensch trotz allem, was unmässige Verlogenheit über ihn vorbrachte. Es ist übrigens an der Hand der Thatsachen sehr leicht, das Lügengewebe zu durchschauen. Denn unsere Gesetze stehen bekanntlich nicht nur mit den Griechen in Widerspruch, sondern auch, und zwar in besonders hohem Grade, mit den Aegyptiern und vielen anderen. Es giebt aber kein Land, aus dem nicht von Zeit zu Zeit Reisende zu uns kämen. Weshalb sollten wir nun gegen die Griechen allein stets neue, blutige Verschwörungen an zetteln ? Oder wie wäre es möglich, dass zu diesen Menschenopfern alle Juden ohne Ausnahme sich versammelten und dass jene Eingeweide genügten, so vielen Tausenden als Speise zu dienen, wie Apion sagt? Und warum hat der König den von ihm entdeckten Menschen, wer es auch immer gewesen sein mag — denn seinen Namen verschweigt die Geschichte — nicht mit Gepränge in sein Vaterland zurückgefuhrt? Dadurch hätte er sich ja den Ruf der Frömmigkeit und besonderer Vorliebe für die Griechen verschaffen sowie auch den allgemeinen Judenhass als mächtigen Verbündeten ausnutzen können. Doch genug beschuldigte. S. hierzu Müller, a. a. O. , S. 263 ff.; Zipser, desgl. 8. 116 f. Josephe«, Kleinere Schriften. Go gle 11 162 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. hiervon : unvernünftige Menschen muss man nicht mit Worten, sondern durch Thatsachen zu überzeugen ver- suchen. Und in dieser Beziehung wissen doch alle, die die bauliche Einrichtung unseres Tempels gesehen haben, wie er beschaffen war und mit welch peinlicher Genauig- keit man auf seine Reinhaltung achtete. Vier Höfe hatte er im Umkreis, und jeder derselben stand dem Gesetze gemäss unter besonderer Aufsicht. In den äusseren Hof durften alle, auch die Fremden, eintreten, und nur die Weiber, welche ihre monatliche Reinigung hatten, waren davon ausgeschlossen ; der zweite stand allen Juden offen sowie auch ihren Ehefrauen, wenn sie von jeglicher Be- fleckung rein waren ; der dritte war für die reinen und geweihten Juden männlichen Geschlechtes bestimmt; in den vielten konnte niemand gelangen ausser den Prie- stern , die ihre Amtstracht angelegt hatten, in das Aller- heiligste aber nur die Hohepriester in der ihnen eigen- tümlichen Gewandung. Und so genau hatte man alles beim Gottesdienst vorgesehen, dass selbst die Stunden, zu denen die Priester eintraten, bestimmt waren. Früh morgens, wenn der Tempel geöffnet wurde, mussten sie hineingehen und die üblichen Opfer darbringen , des- gleichen des Mittags, bis der Tempel geschlossen wurde. Ferner durfte kein Gerät, welcher Art es auch sein mochte, in den Tempel gebracht werden, sondern es standen in ihm nur ein Altar, ein Tisch, ein Rauchfass und ein Leuchter, wie dies alles im Gesetz vorgeschrieben ist. Selbstverständlich wird auch kein unaussprechlicher Geheimdienst im Innern des Heiligtums getrieben noch irgend ein Mahl daselbst aufgetischt. Was ich hier sage, stützt sich auf das offenbare Zeugnis unseres ganzen Volkes und auf thatsächliche Beobachtungen. Denn ob- wohl es vier Priesterklassen giebt, von denen jede über fünftausend Köpfe zählt, so hat doch nur eine gewisse Anzahl von Priestern an bestimmten Tagen Dienst; sind diese fertig, so kommt der Reihe nach eine andere Ab- teilung zur Darbringung der Opfer, und zwar versammeln sich die einzelnen Priester gegen Mittag im Heiligtum Gegen Apion, Zweites Buch. 163 und übernehmen von ihren Vorgängern die Tempel- schlüssel sowie die genau abgezählten heiligen Gefasse, übrigens ohne etwas von Speisen oder Getränken in den Tempel mitzunehmen ; denn auch ■ zum Altar dürfen der- gleichen Dinge mit Ausnahme dessen, was zum Opfer bestimmt ist, nicht gebracht werden. Können wir demnach etwas anderes von Apion sagen, als er habe, ohne diese Thatsachen zu prüfen, unglaub- liches Geschwätz vorgebracht? Schändlich ist es aller- dings, wenn ein Grammatiker so gar keine Kenntnis davon hat, was geschichtliche Wahrheit ist. Er kannte unseren Tempelgottesdienst, lässt ihn aber ganz unberück- sichtigt; dagegen fabelt er von der Gefangennahme eines Griechen, von einer scheusslichen Speise, von überaus üppigen und herrlichen Mahlzeiten und von dem Ein- tritt schlechter Menschen in einen Raum, den selbst die vornehmsten Juden, wenn sie keine Priester waren, nicht betreten durften. Das ist nichts anderes als vollendete Gottlosigkeit und absichtliche Lüge, lediglich darauf be- rechnet, solche Leute irre zu führen, denen es um die Erforschung der Wahrheit nicht zu thun war. Durch derartige, mit Worten kaum wiederzugebende Schlechtig- keiten, die man uns anhing, suchte man uns in den Augen der Welt verächtlich zu machen. 9. Und wiederum spottet er über uns, als wäre er ein erzfrommer Mann, und fügt zu der Fabel noch weitere angebliche Thatsachen hinzu. Er sagt nämlich, jener Mensch habe erzählt, vor langer Zeit, als die Juden mit den Idumäern im Kriege lagen, sei aus einer Stadt der Idumäer ein Verehrer des Apollo mit Namen Zabidos zu den Juden gekommen und habe ihnen versprochen, Apollo, den Gott der Bewohner von Dora, ihnen in die Hände zu liefern; derselbe werde in unseren Tempel kommen, wenn alle sich hinaufbegäben und die ganze Masse der Juden mitnähmen. Zabidos habe alsdann eine hölzerne Maschine verfertigt, sich hineingestellt, drei Reihen Lichter daran befestigt und sei so umhergewandelt, dass die fern von ihm Stehenden den Eindruck ge- il* 164 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. wonnen hätten, es bewege sich ein Gestirn über die Erde . 1 Die Juden, über das sonderbare Schauspiel er- staunt, hätten sich, da sie weit davon entfernt gewesen, ruhig verhalten; Zabidos aber sei ganz leise in den Tempel gegangen, habe hier den goldenen Eselskopf geraubt — so witzig stellt Apion die Sache dar — und sich eiligst wieder nach Dora zurück begeben. Da legt, kann man sagen, Apion dem Esel, das heisst sich selbst, viel auf und belastet ihn mit seinem unsinnigen und erlogenen Geschwätz. Er schreibt nämlich Orte hin, die es gar nicht giebt, und vorhandene Städte verlegt er aus Un- wissenheit in ganz falsche Gegenden. Idumaea liegt an den Grenzen unseres Landes bei Gaza, und Dora ist keine Stadt in Idumaea. Dagegen in Phoenicien am Karmelgebirge giebt es eine Stadt Dora, die aber mit Apions Gefasel wohl nichts zu thun hat ; denn sie ist vier Tagereisen von Judaea entfernt. Und wie kann er uns einen Vorwurf daraus machen, dass wir nicht dieselben Götter haben wie . andere, wenn unsere Väter sich so leicht bereden Hessen, Apollo werde zu ihnen kommen, und ihn schon mit den Sternen auf Erden umherwandeln zu sehen wähnten ? Ein Licht hatten sie natürlich noch nie gesehen, sie, die so grosse und schöne Feste mit An- zündung von Lichtern feiern! Auch begegnete ihm, als er durch das Land heimzog, selbstverständlich niemand von den vielen Tausenden, und trotz des damals herr- schenden Krieges fand er die Stadtmauern von Wachen entblösst! Doch ich verlasse diesen Gegenstand und erwähne nur noch eins: die Thore des Tempels waren sieben Ellen hoch, zwanzig Ellen breit, über und über mit Goldplatten bekleidet, ja so gut wie aus massivem Gold gefertigt; nicht weniger als zweihundert 2 Mann mussten bei ihrer Schliessung mitwirken, was täglich geschah, da es streng untersagt war, sie offen zu lassen 1 Hier setzt der griechische Text wieder ein. 2 Im „Jüd. Krieg“ (VI, 5, 3) heisst es: zwanzig. Wahrscheinlich sind hier alle Thore zusammen gemeint. Gegen Apion, Zweites Buch. 165 — und doch hat jener Lampenträger sie mit Leichtig- keit geöffnet, weil er meinte, sie öffnen zu können, und noch dazu soll er das gethan haben, während er den Eselskopf trug! Hat er uns übrigens den Kopf zurück- gebracht, oder nahm Apion ihn und stellte ihn uns wieder zu, damit Antiochus ihn entdecken und dem Apion Stoff zu einer zweiten Fabelei geben könnte? 10. Erlogen ist auch der Eid, den er uns andichtet, als ob wir bei Gott, d|m Schöpfer des Himmels, der Erde und des Meeres schwören müssten, keinem Fremden und besonders keinem Griechen wohlwollend zu begegnen. Wollte er einmal lügen, so hätte er uns schwören lassen sollen, dass wir gegen keinen Fremden, namentlich aber gegen keinen Aegyptier eine freundliche Gesinnung zu hegen gewillt seien. So nämlich würde die Lüge in- betreff des Eides wenigstens zu den früher von ihm auf- getischten Märchen gepasst haben, da es ja die Aegyptier waren, die unsere Väter, ihre Stammesgenossen, nicht etwa um ihrer Bosheit willen, sondern unter dem Druck von Schicksalsschlägen vertrieben. Von den Griechen aber sind wir mehr durch den Raum als durch unsere Bestrebungen geschieden und haben darum keinen Grund, sie zu hassen oder zu beneiden. Im Gegenteil, viele von ihnen haben sich für unsere Gesetze interessiert, und manche sind treue Anhänger derselben geworden, während andere, die keine Kraft zum Ausharren besassen, wieder abfielen. Übrigens hat noch niemand behauptet, es sei ihm etwas von einem derartigen jüdischen Eid zu Ohren gekommen; nur Apion, wie es scheint, hörte davon, denn er selbst hat ihn erfunden. 11. Gewaltig erstaunen wird man auch ob der tiefen Weisheit Apions, die sich im folgenden kundgiebt. Ein Beweis dafür, sagt er, dass wir keine vernünftigen Ge- setze hätten und auch Gott die ihm gebührende Ver- ehrung nicht zollten, sei der Umstand, dass wir keine herrschende Stellung einnähmen, sondern bald von diesem, bald von jenem Volk unteijocht worden seien und be- sonders mit unserer Hauptstadt schon viel Unglück ge- 166 Des Flavius Joßcphus kleinere Schriften. habt hätten — als ob s i e (die Alexandriner) von jeher die Herren der weltbezwingenden Stadt (Rom) gewesen und nicht vielmehr umgekehrt an das römische Joch gewöhnt wären! Und doch dürfte, nicht mancher die gleiche Grossmut erfahren haben, wie sie von seiten der Römer. Es wird nun wohl niemand in der Welt umhin können zu sagen, dass alle vorstehenden Behauptungen Apions sich gerade so gut gegen ihn selbst kehren wie gegen uns. Denn nur wenigen Völkern war es ver- gönnt, längere Zeit die Oberherrschaft zu fuhren, und auch sie hat der Schicksalswechsel immer wieder den anderen unterthan gemacht; ja, die meisten Nationen haben sogar zu wiederholten Malen unter fremder Bot- mässigkeit gestanden. Die Aegyptier allein waren, an- geblich weil die Götter in ihr Land flohen und dadurch, dass , sie sich in Tiere verwandelten, gerettet würden , 1 so ausnehmend bevorzugt, dass sie keinem asiatischen oder europäischen Herrscher jemals sich unterzuordnen brauchten — sie, denen bekanntlich nicht einmal von ihren einheimischen Tyrannen ein einziger Tag der Frei- heit gewährt wurde! Welche Behandlung sie von den Persern erfuhren, die ihnen nicht nur einmal, sondern öfters ihre Städte zerstörten, ihre Tempel verwüsteten, ihre vermeintlichen Götter schlachteten, will ich ihnen nicht zu ihrer Schande Vorhalten; denn es steht mir nicht an, die Oberflächlichkeit eines Apion nachzu- ahmen, der weder an das Unglück der Athener noch an das der Lakedaemonier denkt, von denen die letzteren allgemein als die tapfersten, die ersteren als die frömmsten Griechen bezeichnet werden. Auch will ich nicht davon reden, wie oft solche Könige, die wegen ihrer Frömmig- keit berühmt waren , z. B. Krösus, in ihrem Leben von widrigen Schicksalen heimgesucht wurden, nicht reden von der Einäscherung der Akropolis in Athen, des Tempels in Ephesos, des in Delphi, und von zahlreichen anderen Unglücksfallen, die noch niemand den davon 1 S. Plutarch, Isis 72; Ovid, Metam.V, 34 f. Gegen Apion, Zweites Buch. 167 Betroffenen, sondern den Urhebern vorgeworfen hat. Jetzt aber fand sich einer, der uns alle miteinander anklagt: Apion, dem das traurige Geschick seiner Landsleute in Aegypten aus dem Gedächtnis entschwunden ist, weil die sagenhaften Thaten des aegyptischen Königs Sesostris ihn geblendet haben. Wir dagegen wollen von unseren Königen David und Solomon, die doch auch viele Völker- schaften unteijochten , nichts erwähnen und sie mit Stillschweigen übergehen ; die eine allgemein bekannte Thatsache aber, von der Apion nichts weiss, sei hier hervorgehoben: während die Aegyptier zu den Persern und deren Nachfolgern in der Herrschaft über Asien, den Macedoniern, in einem geradezu sklavischen Ab- hängigkeitsverhältnis standen, waren wir fast hundert zwanzig Jahre lang 1 frei und geboten noch dazu über die umliegenden Staaten, bis auf Pompejus den Grossen. Und als die sämtlichen Fürsten des Erdkreises von den Römern gewaltsam unterjocht wurden, da blieben allein meine Landsleute wegen ihrer Treue deren Bundes- genossen und Freunde. 12. „Aber wir haben keine grossen Männer aufzu- weisen, wie z. B. Erfinder von Künsten und ausgezeichnete Gelehrte/ 1 Dann zählt Apion den Sokrates, den Zeno, den Kleanthes und etliche andere Männer von Bedeu- tung auf jind setzt — das aller wunderlichste von dem, was er vorbringt — seinen höchsteigenen Namen hinzu, indem er Alexandria glücklich preist, dass es einen Bürger wie ihn besitze. Er hatte es allerdings nötig, sein eigener Lobredner zu werden. Denn bei allen anderen Leuten galt er für einen schlechten Marktschreier, für einen verdorbenen Menschen und Schriftsteller, weshalb man Alexandria mit Recht bedauern müsste, wenn es sich auf diesen Menschen etwas einbildete. Dass aber bei uns Männer gefunden werden, die so gut wie irgend 1 Genau: 102 Jahre, nämlich von 165 v. Chr. (Befreiung Jeru- salems durch Judas Makkabaeus) bis 63 v. Chr. (Eroberung Jeru- salems durch Pompejus). 168 Des Flavins Josephus kleinere Schriften. einer des Lobes würdig sind, das wissen diejenigen sehr wohl, die sich mit der alten jüdischen Geschichte ver- vertraut gemacht haben. 13. Was sonst noch in der Schmähschrift steht, würde vielleicht besser unerwidert bleiben, damit Apion so recht als sein eigener und der Aegyptier Ankläger dastehe. Er macht uns nämlich zum Vorwurf, dass wir Tiere opfern und kein Schweinefleisch essen ; auch spottet er über die Beschneidung. Nun findet sich aber der Brauch, die Haustiere zu schlachten, bei allen anderen Menschen, und Apion verrät sich, indem er die Opfer tadelt, nur als Aegyptier; wäre er ein Grieche oder Macedonier, so würde er es uns nicht übel nehmen. Die letzteren pflegen ja Gelübde zu thun , wonach sie den Göttern ganze Hekatomben opfern, und sie verwenden die Opfer- tiere zu Mahlzeiten, ohne dass deshalb, wie Apion be- fürchtet, der Welt das Nutzvieh ausgeht. Wenn dagegen alle es wie die Aegyptier machen wollten, so würde die Welt gar bald menschenleer und voll der wildesten Tiere werden, welche die Aegyptier in dem Wahn, dass sie Götter seien , sorgfältig aufziehen. Richtete man ferner die Frage an ihn, welche Leute unter den Aegyptiern er für die weisesten und frömmsten hielte, so würde er zweifellos die Priester als solche anerkennen. Denn ihnen sollen die Könige von jeher zwei Gebote gegeben haben: die Götter zu ehren und nach Weisheit zu streben. Gerade die Priester aber lassen sich alle beschneiden 1 und enthalten sich des Schweinefleisches. Gleichwohl bringt sonst kein Aegyptier in Gemeinschaft mit ihnen den Göttern blutige Opfer dar. Apion war also nicht recht bei Verstand, als er den Aegyptiern zulieb uns zu schmähen sich anschickte; er klagt ja in Wirklichkeit nur sie an, die nicht bloss den von ihm verlästerten Sitten anhangen, sondern auch, wie Herodot 1 Josephus will nicht sagen, dass bei den Aegyptiern die Be- schneidung auf die Priester beschränkt war, sondern dass die Priester ausnahmslos sich ihr unterzogen. Gegen Apion, Zweites Buch. 169 sagt, andere Völker die Beschneidung lehrten. 1 Deshalb halte ich es auch für wahrscheinlich, dass Apion eben wegen der Beschimpfung seiner heimatlichen Gesetze nach Gebühr bestraft worden ist. Denn er musste sich notgedrungen der Beschneidung unterziehen, weil an seinen ßchamteilen ein Geschwür sich bildete. Die Be- schneidung half ihm indes nichts, sondern er verfaulte bei lebendigem Leibe und starb unter fürchterlichen Qualen. Der Gutgesinnte soll ja die religiösen Satzungen seiner Heimat gewissenhaft halten, ohne die der anderen zu schmähen. Apion aber ist jenen untreu geworden und hat die unseren verlästert. So beschloss dieser Mann sein Leben, und damit sei auch meine Rede gegen ihn zu Ende. 14. Weil nun aber auch Apollonios Molon und Lysi- machos und einige andere teils aus Unwissenheit, zumeist jedoch aus Böswilligkeit ebenso ungerechte wie unzu- treffende Urteile über unseren Gesetzgeber Moyses und unsere Gesetze gefallt haben, indem sie jenen verleum- derisch als Gaukler und Betrüger bezeichnen und von den Gesetzen behaupten, sie wiesen uns nicht zur Tugend, sondern zur Schlechtigkeit an, so will ich in aller Kürze auch noch über unsere Religionsverfassung im ganzen und über die Einzelheiten derselben, so gut ich kann, mich verbreiten. Es wird dann hoffentlich klar werden» dass unsere Gesetze zur Gottesfurcht, zur Pflege der ge- sellschaftlichen Beziehungen und zur Nächstenliebe im allgemeinen, sowie zur Gerechtigkeit, zur Ausdauer in Beschwerden und zur Todesverachtung die beste An- leitung geben. Nur bitte ich diejenigen, in deren Hände diese Schrift gelangt, sie ohne missgünstiges Vorurteil zu lesen. Denn es liegt nicht in meiner Absicht, eine Lobrede auf unser Volk zu schreiben, sondern ich halte hinsichtlich der vielen falschen Beschuldigungen, die man gegen uns erhebt, diejenige Rechtfertigung für die beste. 1 Dagegen nimmt Zipser (a. a. O. S. 189 ff.) die Priorität der Be- schneidang für die Juden in Anspruch. Go gle 170 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. welche auf die Gesetze Bezug nimmt, nach denen wir unser ganzes Leben einrichten — zumal da Apollonios seine Vorwürfe nicht wie Apion in gehöriger Ordnung, sondern vereinzelt und in seiner ganzen Schrift zerstreut gegen uns hat anrücken lassen. Bald verlästert er uns als gottlos und menschenfeindlich , bald wieder wirft er uns Feigheit vor; an anderen Stellen dagegen beschuldigt er uns der Tollkühnheit und des Fanatismus. Ferner sagt er, wir seien die ungebildetsten unter den Barbaren 1 und hätten deshalb allein keinen Beitrag zu den für das Leben nützlichen Erfindungen geliefert Alle diese Beschuldigungen werden, denke ich, klar widerlegt sein, wenn es sich herausstellt, dass gerade das Gegenteil von dem, was er behauptet, uns durch die Gesetze vorge- schrieben und von uns aufs pünktlichste befolgt wird. Wenn ich hierbei genötigt sein sollte, zu erwähnen, dass es bei anderen Völkern entgegengesetzte Bräuche giebt, so fällt die Schuld davon Verdientermassen auf die, welche unsere Einrichtungen durch Vergleichung derselben mit fremden als schlechter hinzustellen suchen. Ihnen glaube ich auch zwei Ausflüchte abschneiden zu können, nämlich die, dass die Gesetze, von denen ich die hauptsächlichsten anführen werde, nicht wirklich die unsem seien, und die andere, dass wir unsere eigenen Gesetze nicht besonders treu beobachteten. 15. Indem ich etwas weit aushole, möchte ich vorab darauf hinweisen, dass diejenigen, die zuerst das Ver- langen nach einem gesetzlich geordneten Gemeinschafts- leben hegten und demgemäss ein solches einfuhrten, selbstverständlich das Lob der Gesittung und edler Charaktereigenschaften vor denen, voraus haben, die gesetz- und ordnungslos dahinleben. Aus diesem Grunde sucht auch jede Gemeinschaft die bei ihr geltenden Gesetze möglichst weit ins Altertum hinaufzurücken, damit es nicht den Anschein gewinne, als habe sie fremde Einrichtungen nachgeahmt, sondern damit um- 1 Barbar liiess bei den Qriechen jeder Ausländer. Gegen Apion, Zweites Bach. 171 gekehrt sie selbst als die Lehrerin gelte, die anderen das Leben auf gesetzlicher Grundlage beigebracht habe. Unter diesen Umständen ist der Vorzug eines Gesetz- gebers darin zu suchen, dass er das Beste herauszufinden versteht und seine Bestimmungen denen annehmbar macht, die sich danach richten sollen, der Vorzug der Menge aber darin, dass sie allen Beschlüssen treu bleibt und weder durch Glück noch durch Unglück sich verleiten lässt,, etwas daran zu ändern. Ich stelle nun die Be- hauptung auf, dass unser Gesetzgeber alle irgend sonst in der Geschichte erwähnten Gesetzgeber an hohem Alter übertrifft. Denn Lykurgos und Solon wie auch der Lokrer Zaleukos und alle anderen bei den Griechen in hoher Bewunderung stehenden Gesetzgeber sind, mit ihm verglichen, offenbar erst von gestern und vorgestern. War ja doch nicht einmal die Bezeichnung f vofiiog’ für t Gesetz * bei den Griechen von alters her bekannt, wie daraus hervorgeht, dass Homer in keinem seiner Ge- dichte das Wort gebraucht . 1 Zu seiner Zeit nämlich gab es nichts dergleichen, sondern nach unbestimmten Meinungen wurden die Massen gelenkt und durch die Befehle der Könige. Deshalb galt auch lange Zeit hin- durch nur ungeschriebenes Herkommen, das noch dazu in vielen Stücken je nach Umständen wieder geändert wurde. Unser Gesetzgeber dagegen, der älteste von allen — das gestehen ja selbst diejenigen zu, die sonst nichts gutes an uns lassen — , bewährte sich als der beste Führer nnd Ratgeber der Massen, schuf ihnen in seinem Gesetz eine für alle Verhältnisse passende Lebensordnung, bewog sie zu deren Annahme und wusste es durchzu- setzen, dass sie, mit den einzelnen Bestimmungen ver- traut, dieselben zugleich getreulich beobachteten. 16. Betrachten wir einmal die erste seiner Gross- thaten. Als unsere Vorfahren beschlossen hatten, Aegypten 1 Bei Börner lautet die Bezeichnung: bei Drakon und Solon: fi-eopot. Das Wort vo[aos kommt am frühesten bei Hesiod vor (op. 278. 890; vergl. Theog. 66. 417). 172 Des Flavias Josepha« kleinere Schriften. zu verlassen und in ihr Stammland zurückzukehren, da stellte er sich an die Spitze der nach Hunderttausenden zählenden Menge und brachte sie aus vielen Drangsalen in Sicherheit ; denn sie mussten die wasserlose Sandwüste durchziehen, Feinde besiegen und ihre Weiber und Kinder samt der Beute mit dem Schwert in der Hand ver- teidigen. In allen diesen Gefahren bewies er sich als überaus trefflicher Feldherr, als einsichtsvoller Ratgeber und als der treueste Versorger des ganzen Volkes. Er brachte es zuwege, dass alle samt und sonders an ihm hingen, und obwohl sie jedem seiner Befehle gehorchten, zog er doch daraus keinerlei Vorteil für seine Person In einer Lage, wo die meisten Befehlshaber nach tyran- nischer Herrschaft streben und das Volk an ein durch und durch gesetzloses Leben gewöhnen, gerade da hielt er, der Inhaber der Gewalt, es im Gegenteil für seine Pflicht, fromm zu leben und den Massen nur Wohl- wollen zu erzeigen in der Hoffnung, auf diese Weise seine eigene Tugend am deutlichsten hervortreten lassen und denjenigen, die ihn zum Führer gewählt hatten, den sichersten Weg zur Rettung angeben zu können. Weil er nun wirklich diese schöne Absicht hegte und glänzende Thaten vollbrachte, glaubten wir mit gutem Grund, an ihm einen gottgesandten Führer und Ratgeber zu haben ; und nachdem er zuvor den eigenen festen Entschluss gefasst hatte, alle seine Handlungen und Gedanken nach dem Willen Gottes einzurichten , hielt er sich in erster Linie für verpflichtet, die gleiche Überzeugung auch den Massen beizubringen. Denn wer da glaubt, dass Gott auf sein Leben schaue, der ist keiner Sünde fähig. Ein solcher Mann eben war unser Gesetzgeber, kein Gaukler, auch kein Betrüger, wie die Lästerer ihn ungerechterweise nennen, sondern dem Minos vergleich- bar, dessen die Griechen sich rühmen, und den anderen Gesetzgebern nach ihm. Sie legten ja ihren Gesetzen göttlichen Ursprung bei, und Minos namentlich führte die seinen auf Apollo und dessen delphisches Orakel zurück, s^ei es dass sie selbst daran glaubten, sei es dass Gegen Apion, Zweites Buch. 173 sie, indem sie dies Vorgaben, eher Glauben zu finden hofften. Wer aber seinen Gesetzen die höchste Vollendung gegeben, und wer in Bezug auf den Glauben an Gott das richtige getroffen hat, das kann nur durch eine Ver- gleichung des Inhalts der Gesetze selbst entschieden werden, auf den ich nun zu sprechen komme. Unendlich sind im einzelnen die Verschiedenheiten der Sitten und Gesetze im Menschengeschlecht : hier hat man die Regie- rung der Staaten Monarchen, dort wenigen mächtigen Familien, anderwärts dem Volke überlassen. Unser Ge- setzgeber hingegen hat auf keine solche Regierungsform Rücksicht genommen, sondern den Staat, wie man mit einem etwas erzwungenen Wort sagen könnte, zu einer Gottherrschaft 1 gemacht, indem er Gott die Herrschaft und Gewalt anheimgab und die grosse Masse bewog, auf ihn als den Urheber alles Guten, das die Menschen im staatlichen wie privaten Leben gemessen und das ihnen, wenn sie darum baten, selbst im Unglück zuteil wurde, hinzuschauen; denn seinem Wissen könne nichts ent- gehen, was sie tbäten oder was auch nur ein einzelner Mensch bei sich denke. Ihn selbst stellte er als un- geschaffen und in alle Ewigkeit unveränderlich dar; an Schönheit sei er erhaben über jede vergängliche Gestalt, und offenbar werde er uns durch das Wirken seiner Macht, wiewohl wir ihn seinem Wesen nach nicht zu erkennen vermöchten. Dass solche Gedanken über Gott die Weisesten bei den Griechen erst fassen lernten, nach- dem er den Anfang damit gemacht, will ich jetzt nicht weiter erörtern; dass es aber vortreffliche, dem Wesen und der Herrlichkeit Gottes angemessene Gedanken sind, davon legten sie lautes Zeugnis ab. Haben doch, wie bekannt, Pythagoras, Anaxagoras, Plato, nach ihnen die Philosophen der Stoa und beinahe alle anderen die gleichen Ansichten über die Natur Gottes gehabt. Aber während sie ihre Lehre einigen wenigen mitteilten und 1 Joseph as war der erste, der das Wort Theokratie fllr die in der Thora begründete Verfassung des jüdischen Staates gebrauchte. 174 Des Flavins Josephus kleinere Schriften. den in vorgefassten Meinungen befangenen Volksmassen die Wahrheit nicht zu verkünden sich getrauten, hat unser Gesetzgeber, der freilich auch Thaten aufweisen konnte, die den Gesetzen entsprachen, nicht nur seinen Zeitgenossen jene Überzeugung beigebracht, sondern auch ihren sämtlichen Nachkommen bis ins fernste Ge- schlecht den unerschütterlichen Glauben an Gott ein- gepflanzt Dass übrigens seine Gesetzgebung sich in so hervorragender Weise von den anderen unterschied und zum Gemeingut wurde, erklärt sich daraus, dass er die Frömmigkeit nicht zu einem Bestandteil der Tugend machte, sondern die übrigen guten Eigenschaften wie Gerechtigkeit, Standhaftigkeit, Besonnenheit, vollkommene Eintracht der Bürger untereinander, als Äusserungen der Frömmigkeit erkannte und sie demgemäss erläuterte. Denn alle Handlungen, Beschäftigungen und Reden haben bei uns Beziehung zur Frömmigkeit gegen Gott, weil Moyse* nichts davon ungeprüft und ungeregelt liess. Es giebt ferner bei jeder Art von Bildung und Erziehung zwei Wege, den der mündlichen Belehrung und den der An- gewöhnung durch Übung. Nun gingen die anderen Ge- setzgeber in ihren Ansichten auseinander, sodass die, welche sich vornehmlich für den einen Weg entschieden, von dem anderen nichts wissen wollten. Die Lakedae- monier und die Kreter z. B. pflegten durch Angewöhnung zu erziehen, nicht durch Belehrung, während die Athener und fast alle übrigen Griechen durch gesetzliche Vor- schriften befahlen, was man thun oder lassen solle, und dabei keinen Wert auf praktische Einübung legten. 17. Unser Gesetzgeber dagegen hat diese beiden Er- ziehungsweisen aufs sorgfältigste miteinander verbunden. Denn einerseits war er darauf bedacht, dass der Sitten- übung die theoretische Anweisung nicht fehle, und ander- seits wollte er das in Worte gefasste Gesetz auch praktisch ausgeführt wissen, indem er, sowie die Erziehung und häusliche Lebensweise eines jeden begann, nichts, auch nicht das geringste der Wahl und Willkür derer über- liesB, für die seine Gesetze bestimmt waren. Ja, selbst Go gle Gegen Apion, Zweites Bach. 175 bezüglich der Speisen , welche man essen dürfe und welche nicht, der Personen, die an dieser Lebensweise teilnehmen sollten, der Mühen, Anstrengungen in den einzelnen Gewerben, und wiederum bezüglich der Er- holung von den Mühen stellte er in seinem Gesetz eine Eegel und Richtschnur auf, damit wir unter ihm wie unter einem Vater und Gebieter leben und weder ab- sichtlich noch aus Unwissenheit sündigen möchten. Denn auch den Entschuldigungsgrund, dass man von den Vor- schriften keine Kenntnis habe, wollte er aus der Weit schaffen, indem er das Gesetz zugleich zum schönsten und notwendigsten Bildungsmittel machte und uns die Verpflichtung auferlegte , es nicht bloss einmal oder zweimal oder öfters zu hören, sondern auch an jedem siebenten Tage uns aller sonstigen Geschäfte zu ent- halten, zur Anhörung des Gesetzes zusammenzukommen und dasselbe gründlich zu erlernen 1 — eine Anordnung, die meines Wissens alle anderen Gesetzgeber ausser acht gelassen haben. 18. Übrigens sind die meisten Menschen so weit ent- fernt, nach ihren eigenen Gesetzen zu leben, dass sie dieselben vielmehr kaum kennen und erst, wenn sie ge- sündigt haben, von anderen erfahren, sie hätten das Gesetz übertreten. Selbst die Inhaber der höchsten und wichtigsten Ämter bekennen ihre Unwissenheit in diesem Punkte, indem sie als Vorsteher der Verwaltung solche Männer neben sich thätig sein lassen, die ihrem Vor- geben gemäss mit den Gesetzen vertraut sind. Bei uns hingegen mag man den ersten besten über die Gesetze befragen, und er wird sämtliche Bestimmungen derselben leichter hersagen als seinen eigenen Namen. Weil wir nämlich gleich vom Erwachen des Bewusstseins an die Gesetze erlernen, sind sie in unsere Seelen sozusagen 1 Nach 6. Mos. 31, 10 ff. sollte die Vorlesung der Thora nur alle sieben Jahre stattfinden. Erst seit Esra gab es Lebrvortrfige am Sabbat (Soferim X), die im Zeitalter des Josephus allgemein in den Synagogen üblich wurden. 176 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. eingegraben. Übertretungen kommen infolgedessen selten vor; zugleich aber ist auch jede die Abwendung der Strafe bezweckende Ausrede unmöglich gemacht 19. Dies vor allem hat die wunderbare Eintracht unter uns geschaffen. Denn eine und dieselbe Über- zeugung von Gott haben, im Leben und in den Sitten sich nicht voneinander unterscheiden — das bringt die schöhste sittliche Übereinstimmung unter den Menschen zustande. Wir sind die einzigen, bei denen man keine sich widersprechenden Ansichten von Gott hört, wie solches vielfach bei Rinderen Völkern der Fall ist, wo oft nicht nur der gemeine Mann seine unsinnigen Ein- fälle über die Gottheit verlauten lässt, sondern auch manche Philosophen das gleiche thun, indem die einen das Dasein Gottes überhaupt zu leugnen sich erkühnen, 1 andere wenigstens seine Fürsorge für die Menschen in Abrede stellen. Auch in Bezug auf die Lebensweise sieht man bei uns keine Verschiedenheiten; vielmehr ist unser aller Thun ein gemeinsames, getragen, von dem einheitlichen, dem Gesetz entsprechenden Bekenntnis, dass Gottes Auge alles sieht. Übrigens kann man die Ansicht, dass Gottesfurcht das Ziel sei, auf welches alle übrigen Bestrebungen des Lebens hin arbeiten müssten, selbst aus dem Munde unserer Weiber und Sklaven ver- nehmen. 20. Daraus erklärt es sich auch, wie uns von manchen der Vorwurf gemacht werden konnte, wir hätten weder auf dem praktischen noch auf dem theoretischen Gebiet erfinderische Köpfe aufzuweisen. Andere Völker sehen einen Vorzug darin, dass man nicht beim Althergebrachten stehen bleibt, und wer am eifrigsten weiterzukommen trachtet, dem spricht man einen besonders hohen Grad von Weisheit zu; wir dagegen halten nur den für klug und tugendhaft, der in seinem Thun und Denken mit den ursprünglichen gesetzlichen Vorschriften überhaupt nicht in Widerspruch gerät. Das ist doch sicher ein 1 Hier hat Josephus wohl die Skeptiker im Sinne. Go gle Gegen Apion, Zweites Buch. 177 Beweis für die Vortrefflichkeit der Bestimmungen unseres Gesetzes, wie umgekehrt die häufigen Änderungen anderer Gesetzgebungen deren Verbesserungsbedürftigkeit klar zu« tage treten lassen. 21. Weil wir nun überzeugt sind, dass das Gesetz gleich von Anfang an den Willen Gottes zum Ausdruck bringen sollte, würde es eine Gottlosigkeit sein, wenn wir in irgend einer Beziehung von ihm ab wichen. Was möchte denn auch jemand daran ändern? Und was könnte er schöneres selbst erfinden oder besseres von anderen entlehnen? Etwa die Einrichtung des Gemeinwesens überhaupt? Wo aber fände sich eine vortrefflichere und vernünf- tigere Verfassung als die, welche Gott, den Lenker des Weltalls, an die Spitze stellt, den Priestern die gesamte Verwaltung des Staates überträgt und dem Hohepriester die ausschliessliche Beaufsichtigung der übrigen Priester anvertraut Die letzteren hat übrigens der Gesetzgeber gleich anfangs nicht mit Rücksicht auf ihren Reichtum oder andere zufällige Vorzüge in ihr Ehrenamt ein- gesetzt, sondern er hat hauptsächlich denjenigen seiner Genossen, die sich durch Gehorsam und sittliche Kraft vor den anderen auszeichneten, den Gottesdienst zuge- wiesen. Sie wachten denn .'auch getreulich über dem Gesetz und den anderen Einrichtungen ; denn die Priester führten ihrem Amt gemäss die Aufsicht über alle, richteten bei vorkommenden Streitigkeiten 1 und bestraften die Verurteilten. 2 22. Wo wäre demnach eine gleich ehrwürdige Staats- verwaltung zu finden? Wo eine, die mit der Ehrfurcht gegen Gott in schönerem Einklang stände? Wenn alle Schichten des Volkes zur Frömmigkeit erzogen werden, wenn die Pflege der letzteren vornehmlich den Priestern an vertraut ist — sieht das nicht aus, als ob das 1 Im Laufe der Entwicklung wurde jedoch das Richteramt den Priestern ganz entzogen und eigens von der Gemeinde erwählten Richtern übertragen. a Nach 5. Mos. 25, 2f. hatten die Priester die Vollziehung der Strafe nur zu beaufsichtigen, nicht selbst zu besorgen. Joaephus, Kleinere Schriften. 1 ^ 12 178 Des Flavius Joseph ns kleinere Schriften. gesamte öffentliche Leben eine einzige heilige Festfeier wäre? Was Fremde unter dem Namen Mysterien und Weihen in wenigen Tagen begehen, ohne es jedoch dauernd in ihrem Herzen bewahren zu können, daran halten wir mit jubelnder Freude und unverrückten Sinnes allzeit fest. — Welcher Art sind nun die Gebote und Verbote im einzelnen? Vor allem sind sie einfach und fasslich. Das erste lehrt von Gott und zwar folgendermassen : Gott ist alles; er ist vollkommen und selig, sich selbst und allen genügend ; Anfang, Mitte und Ende von allem. 1 Offenbar durch seine Werke und Gnaden, erkennbar wie alles andere, ist er doch nach Gestalt und Grösse uns völlig unbekannt; denn kein Stoff, und wäre es der kostbarste, ist wert, dass sein Bild daraus Verfertigt werde, keine Kunst vermag etwas zu ersinnen, das ihm gliche; etwas ihm ähnliches auch nur zu erdenken oder zu vermuten, ist bei uns schon sündhaft. Seine Werke schauen wir: Licht, Himmel, Erde, Sonne und Mond, die Gewässer, die stets sich erneuernden Tiergeschlechter, und die fruchttragenden Gewächse. Dies hat Gott ge- macht , nicht mit Händen, nicht durch Arbeit, noch bedurfte er dazu einer fremden Beihilfe — sondern er wollte Gutes, und gut war es alsbald geschaffen. Diesem Gott müssen alle gehorchen, und in Tugendübung sollen sie ihn ehren; denn das ist der würdigste Gottesdienst. 28. Weil immer gleiches zu gleichem passt, 2 soll der eine Gott auch nur einen Tempel haben, der das ge- meinsame Eigentum aller ist, wie sie alle denselben Gott verehren. 8 Der Gottesdienst wird, ohne Unterlass von 1 Vergl. Jeremias 41, 4; 44, 6; Offenb. Joh. 1, 8 ; 21, 6; 22, IS. 2 Ein oft citiertes griechisches Sprichwort (z. B. Odyssee, XVII. Ge- sang, Vers 218 ; Aristot. Ethik. IX, S, 3). 9 Man beachte, wie Josephus hier den Oniastempel in Aegypten völlig ignoriert. Er hat also gleich seinen Glaubensgenossen in Palaestina und Alexandria diesen Tempol für ungesetzlich gehalten, obwohl er mehr als irgend ein anderer von ihm berichtet (J. A. XII, 9, 7 ; XIII , 3, 1 ; 10, 4 ; XX , 10 ; Jüd. Krieg VII, 10, 3 f.). Des- gleichen berücksichtigt er ibn nicht J. A. IV, 8, 5. Go gle Gegen Apion, Zweites Bach. 179 den Priestern besorgt, an deren Spitze jeweilig der erste seiner Klasse steht Er soll mit seinen Amtsgenossen Gott dem Herrn opfern, über dem Gesetz wachen, Zwistig- keiten beilegen und die einer rechtswidrigen Handlung Überfuhrten bestrafen. Wer ihm nicht gehorcht, soll genau so büssen, als hätte er sich gegen Gott selbst ver- gangen. Die Opfer bringen wir übrigens nicht unter Frass und Völlerei dar — was Gott missfällig und nur ein Anlass zur Zügellosigkeit und Verschwendung wäre — , sondern wir bleiben dabei vernünftig, anständig und nüchtern, damit die heilige Handlung durchaus würdevoll verlaufe. Während der Darbringung des Opfers beten wir vor- schriftsmässig zunächst für das Wohl des Gemeinwesens und dann erst für unser eigenes ; denn wer jenes höher achtet als sein persönliches Interesse, an dem hat Gott sicherlich das grösste Wohlgefallen. Bei der Anrufung Gottes im Gebet aber soll man nicht flehen, dass er uns das Gute beschere — denn aus eigenem Antrieb hat er es allen gegeben und angeboten — , sondern dass wir imstande seien, es aufzunehmen und bei uns zu bewahren. Ausser der Darbringung von Opfern hat das Gesetz noch besondere Reinigungen vorgeschrieben nach einer Leichen bestattung, nach dem ausserehelichen oder ehe- lichen Beischlaf und bei vielen anderen Anlässen, deren Aufzählung hier zu weit fuhren würde. Das also ist unsere Lehre von Gott und seinem Dienst, welche zu- gleich die Bedeutung eines Gesetzes hat. 24. Wie lauten die Bestimmungen über die Ehe? Das Gesetz erkennt nur den naturgemässen Verkehr mit dem Weibe an, und zwar zum Zweck der Kinder- erzeugung; den Beischlaf unter Männern verdammt es, und wer dieses Laster begeht, hat den Tod verwirkt. Heiraten darf man nicht um der Mitgift willen, auch keine gewaltsame Entführung oder listige Überredung dabei anwenden, sondern man soll um das Weib bei dem, der sie zu vergeben hat, anhalten, wofern die Ver- wandtschaft mit ihr dies gestattet. Das Weib, heisst es weiter, steht in jeder Beziehung unter dem Manne. Sie 180 De3 Flavius Josephus kleinere Schriften. soll ihm daher unterthan sein, nicht um von ihm Miss- handlungen erfahren zu müssen, sondern damit sie von ihm geleitet werde ; denn Gott hat dem Manne die Herr- schaft gegeben. Nur mit ihr darf er vertrauten Umgang pflegen ; eines anderen Gattin begehren, ist Sünde. Wer dies thut, ferner wer eine Jungfrau, die einem anderen verlobt ist, notzüchtigt oder eine Ehefrau verfuhrt, der verfällt unbedingt der Todesstrafe. Die Kinder müssen, so will es das Gesetz, alle grossgezogen werden. 1 Den Weibern ist es verboten, die Leibesfrucht abzutreiben oder sonst zu vernichten; wird eine dabei ertappt, so soll sie als Kindsmörderin angesehen werden, weil sie ein Leben im Keime erstickt und die Nachkommenschaft verringert hat. Wenn jemand einen ausserehelichen Beischlaf vollzogen oder eine Schändung begangen hat, kann er nicht für rein gelten ; aber auch nach der recht- mässigen Begattung zwischen Mann und Frau gebietet das Gesetz eine Waschung. Denn in der Seele wie im Leibe entsteht dadurch eine Befleckung , als wenn die Seele in eine niedrigere Sphäre versenkt würde. Über- haupt leidet die Seele durch ihre enge Verbindung mit dem Körper, weshalb sie sich. auch wieder von ihm löst, nämlich im Tode. Aus diesem Grunde hat das Gesetz in allen derartigen Fällen Reinigungen angeordnet. 25. Zur Feier der Geburt von Kindern Schmausereien zu veranstalten und dadurch Anlass zur Völlerei zu geben, ist untersagt; vielmehr soll die Erziehung schon gleich im Anfang Mässigung predigen. Ferner besteht die Vorschrift, die Kinder lesen zu lehren, ihnen die Kenntnis der Gesetze beizubringen und sie über die Thaten der Vorfahren zu unterrichten, damit sie diese nachahmen und mit den Gesetzen von Jugend auf so vertraut werden, dass sie vor Übertretungen bewahrt bleiben und auch keine Unkenntnis vorschützen können. 26. Die den Verstorbenen zu erweisenden letzten 1 D. h. die Eltern können nickt über das Leben ihrer Kinder verfügen und dürfen namentlich keine Neugeborenen aussetzen. Gegen Apion, Zweites Bach. 181 Ehren erblickt das Gesetz weder in prunkvoller Be- stattung noch darin, dass man ihnen glänzende Denk- male setzt, sondern es sollen nur die nächsten Ange- hörigen ein einfaches Leichenbegängnis halten. 1 Eine weitere gesetzliche Bestimmung lautet dahin, dass alle, die einem Leichenzug begegnen , ihn begleiten und an der Trauer teilnehmen müssen; das Haus aber, in dem die Leiche gelegen hat, soll mitsamt seinen Bewohnern gereinigt werden, damit es einem etwaigen Mörder recht zum Bewusstsein komme, wie sehr er sich verunreinigt habe. 2 27. Die Verpflichtung, den Eltern mit Ehrfurcht zu begegnen, stellt das Gesetz unmittelbar hinter die Pflichten gegen Gott. Wer die Liebe, die er von ihnen empflng, nicht erwidert und irgend eine Ausschreitung gegen sie begeht, der soll gesteinigt werden. Auch sollen über- haupt die älteren Leute von den jüngeren geehrt werden, weil Gott das älteste Wesen ist. 3 — Vor Freunden darf man nichts geheim halten ; denn wo kein vollkommenes Vertrauen bestehe, sei von echter Freundschaft nicht die Kede. Wenn einmal zwischen Freunden eine Zwistigkeit 1 Vergl. jedoch Jüd. Krieg II, 1, 1. Zur Erklärung dieses schein- baren Widerspruches s. Zipser, 8. 170f. 3 Dass diese Erklärung nicht die richtige sein kann, liegt auf der Hand. Eine viel zutreffendere und schönere Deutung giebt R. Aaron ha-Levi, indem er (Sepher ha-Chinnuch No. 263) zum Verbot Levit. 21, 1 sich also äussert: „Weil die Priester zum Dienste Gottes ausersehen sind, müssen sie sich besonders vor jeder Ver- unreinigung durch einen Leichnam hüten. Ich habe bereits oben auseinandergesetzt, dass alles Hässliche und Ekelhafte Verunreinigung hervorruft. Den menschlichen Leichnam aber haben die Weisen den Erzvater aller Unreinheit genannt. Das kommt daher, dass, wenn die Seele, welche Leben und Sittlichkeit spendet, sich vom Körper getrennt hat, deijenige Teil des Menschen allein zurückbleibt, der seines rein irdischen Ursprungs wegen minderwertig ist und gewiss die dem Menschen von Gott eingehauchte Seele zur Sünde und Unsittlichkeit verleitete. Darum ist es nicht mehr als billig, dass, sobald alle Hoheit und Würde ihn verlassen hat, der Körper, der die blosse Materie ist, seine ganze Umgebung verunreinigt.“ S. auch Zipser, a. a. O. S. 1 7 1 f. 3 Vergl. Daniel, Kap. 7, V. 9, 13, 22: Der Uralte der Tage. 182 Des Fl&vius Josephus kleinere Schriften. ausbricht, soll man doch die Geheimnisse nicht verraten. — Ein Richter, der Geschenke annimmt, ist des Todes schuldig. — Wer einen um Hilfe Flehenden unerhört lässt, obwohl er ihm beizustehen vermag, begeht ein Verbrechen. — Was einer dem anderen nicht in Ver- wahr gegeben hat, darf er ihm auch nicht nehmen ; über- haupt soll niemand fremdes Eigentum anrühren, und niemand für Darlehen einen Zins fordern. Diese und noch viele derartige Bestimmungen halten das auf gegen- seitigen Verpflichtungen beruhende Gesellschaftsleben bei uns aufrecht. 28. Bemerkenswert ist aber auch die Art, wie der Gesetzgeber über das pflichtgemässe Verhalten gegen Fremde gedacht hat. Es wird sich nämlich zeigen, wie er aufs allerbeste dafür sorgte, dass einerseits unser heimisches Leben nicht verdorben würde und anderseits diejenigen, die sich daran anzuschliessen wünschten, keine abstossende Behandlung erführen. Denn alle, die zu uns kommen und nach unseren Gesetzen leben wollen, müssen wir freundlich aufnehmen, weil nicht bloss die Zugehörigkeit zum selben Stamme, sondern auch gemein- same Lebensgrundsätze eine Verwandtschaft bedingen .können. Zij denen aber, die nur zufällig und vorüber- gehend mit uns in Verkehr treten, dürfen wir keine vertrauten Beziehungen unterhalten. 29. Im übrigen ist es uns zur strengen Pflicht ge- macht, stets hilfreiche Hand zu leisten. So müssen wir jedem, der dessen bedarf, Wasser, Feuer, Nahrung ver- abfolgen, ihm den Weg zeigen, ihn nicht unbeerdigt liegen lassen. Mild soll auch das Verfahren gegen die Feinde im Kriege sein. Der Gesetzgeber verbietet näm- lich, ihr Land mit Feuer zu verwüsten, und gestattet auch das Fällen der Obstbäume nicht; ja, selbst die Plünderung der in der Schlacht Gefallenen ist untersagt Kriegsgefangene, zumal solche weiblichen Geschlechtes, will er vor Misshandlung geschützt wissen. Überhaupt hat er uns Sanftmut und Nächstenliebe so sehr zur Pflicht gemacht, dass er sogar der unvernünftigen Tiere Gegen Apion, Zweites Buch. 183 nicht vergase. Denn er gestattet nur den rechtmässigen Gebrauch derselben und hat jieden anderen untersagt. Tiere, die wie schutzflehend in Häuser sich flüchten, ver- bot er umzubringen; mit jungen Vögeln auch die alten aus dem Nest zu nehmen, erlaubt er nicht; arbeitende Tiere sollen auch in Feindesland geschont und nicht geschlachtet werden. So hat er in jeder Beziehung sein Augenmerk auf Milde gerichtet, indem er die genannten Gesetze im Tone freundlicher Belehrung gab. Ander- seits aber setzte er auch schwere Strafen fest, die an den Übertretern unnachsichtlich zu vollstrecken seien. 30. Für die meisten Vergehen nämlich bestimmte er die Todesstrafe, z. B. für Ehebruch, Mädchenschändung* den Versuch, mit Männern widernatürliche Unzucht zu treiben, und für das Eingehen auf einen solchen Ver- such. Auch die Knechte stehen unter demselben uner- bittlichen Gesetz. Ferner wird bestraft — und zwar nicht so mild wie bei anderen , sondern weit strenger — , wer falsches Mass und Gewicht verwendet, wer im Handel übervorteilt und sich hinterlistiger Kniffe be- dient, wer fremdes Eigentum wegnimmt und anvertrautes Gut nicht herausgiebt. Misshandelt jemand seine Eltern oder begeht er einen Frevel gegen Gott, so wird er, auch wenn die That nicht völlig zur Ausführung gekommen ist, augenblicklich hingerichtet. Diejenigen hingegen, welche das Gesetz in allen Punkten befolgen, erhalten zur Belohnung nicht Silber und Gold, auch keinen Kranz aus öl- oder Eppichzweigen 1 oder eine andere Auszeich- nung dieser Art, sondern ein jeder von ihnen begnügt sich mit dem Zeugnis, das sein eigenes Gewissen ihm ausstellt, und glaubt auf die durch Gott als wahr be- kräftigten Verheissungen des Gesetzgebers hin, dass denen, die das Gesetz treu beobachten und, wenn es sein muss, mit Freuden für dasselbe in den Tod gehen, 1 Don olympischen Siegern ward ein Kranz aus Oelzweigen, den nemeischen und isthmischen ein solcher aus Eppichzweigen als Preis zuteil. 184 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. von Gott immer wieder ein neues Dasein und ein besseres Leben beschert wird. Ich würde es nicht über mich gewinnen, diese Dinge hier zu erwähnen, wenn es nicht allbekannte Thatsache wäre, dass schon zu wiederholten Malen viele der Unseren mit Starkmut das äusserste er- duldeten, um nur ja kein Wort gegen das Gesetz aus- sprechen zu müssen. 31. Nehmen wir nun an, unser Volk wäre nicht so allgemein bekannt, wie es jetzt ist, und man wüsste nichts von unserm Gehorsam gegen die Gesetze, sondern es würde jemand diese Gesetze unter dem Vorgeben, er habe sie verfasst, den Griechen vorlesen oder sagen, jenseits der bekannten Erde habe er Menschen getroffen, die eben diese erhabene Ansicht von Gott hegten und eben solche Gesetze seit Jahrhunderten treu beobachteten : würden da nicht alle im Hinblick auf die bei ihnen selbst so häufigen Veränderungen in Erstaunen geraten? Denjenigen ihrer Landsleute nämlich, welche ähnliche Gedanken über Staatsverfassung und Gesetzgebung in ihren Schriften zum Ausdruck gebracht haben, wird der Vorwurf gemacht, sie seien Phantasten, die sich auf un- mögliche Voraussetzungen stützten. Von anderen Philo- sophen, die derartige Versuche unternahmen, will ich schweigen und nur auf Plato hinweisen, der bei den Griechen wegen seiner hohen Sittenreinheit und der über- zeugenden Kraft seiner Darstellung, durch die er alle anderen Jünger der Philosophie weit überragt, nur mit Bewunderung genannt wird. Auch er wird ja von denen, die sich für Meister in der Politik ausgeben, bis auf den heutigen Tag fast nur verspottet und lächerlich gemacht. Übrigens wird man bei genauem Zusehen finden, dass er sich nicht immer mit schwerverständlichen Problemen befasst, sondern häufig den Gewohnheiten der Menge nahekommt. Freilich gesteht er offen ein, es sei nicht ratsam, die richtigen Vorstellnngen von Gott unter den unwissenden Haufen zu bringen. 1 Gleichwohl erklärt 1 Timaios § 9 (Bekker’sclie Textausgabe, Band VII, S. 255, Zeile lf.). Gegen Apion, Zweite« Buch. 185 man die Lehren Platos für gehaltloses Zeug und schwül- stige Stilübungen. Die meiste Bewunderung als Gesetz- geber geniesst Lykurgos, und überall verkündet man das Lob Spartas, weil es den Gesetzen dieses Mannes so ausnehmend treu geblieben sei. Wir wollen zugeben, dass der Eifer, mit dem die Gesetze befolgt werden, ein Beweis für ihre Vortrefflichkeit ist Nun aber mögen die Verehrer der Lakedaemonier die Zeit, während welcher es eine spartanische Verfassung gab, mit dem mehr als zweitausendjährigen Bestehen der unserigen vergleichen und dann auch noch bedenken, dass die Lakedaemonier nur so lange im Rufe treuer Gesetzeserfüllung standen, als sie von niemand abhängig waren, dagegen fast alle ihre Gesetze in Vergessenheit geraten Hessen, sowie ihr Glück sich wandte. Wir aber, die wir durch den Wechsel der Herrschaft über Asien von tausendfachem Unglück heiragesucht wurden, gaben selbst in der äussersten Be- drängnis unsere Gesetze niemals preis. Auch blieben wir ihnen nicht etwa aus Bequemlichkeit und Hang zum Wohlleben treu, sondern sie legten uns, recht betrachtet, weit grössere Mühen und Arbeiten auf, als die Lake- daemonier ihrem, wie bekannt, mit grosser Zähigkeit festgehaltenen Gesetze zulieb je ertrugen. Denn ohne den Ackerbau zu betreiben oder sich mit Künsten ab- zumühen, lebten sie in ihrer Stadt frei von aller An- strengung, behaglich und durch körperliche Übungen ihre Schönheit pflegend ; andere mussten ihre Diener sein, die ihnen alle Lebensbedürfnisse herbeischafften und auftischten, ohne dass sie selbst eine Hand zu rühren brauchten. Ausser Essen und Trinken kannten sie als ziemlich und nutzbringend nur die eine Aufgabe, jede Anstrengung und jedes Ungemach zu ertragen, damit sie alle, gegen die sie zu Felde ziehen würden, niederwerfen könnten. Dass sie aber diesen Zweck nicht erreichten, brauche ich nicht besonders zu erwähnen; denn nicht nur einzelne von ihnen, sondern auch ganze Massen haben sich gar oft den gesetzlichen Bestimmungen zu- wider in Wehr und Waffen den Feinden ergeben. 186 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 32. Weiss nun jemand bei uns, ich will nicht sagen ebenso viele, nein, nur zwei oder drei anzugeben, die an unseren Gesetzen aus Furcht vor dem Tode Verrat begangen hätten, und zwar nicht vor dem so überaus leichten Tode in der Schlacht, sondern dem Tode auf der Folterbank, der für den allerschwersten gilt? Wahr- lich, manche von denen, die uns besiegt haben, verfuhren, wie ich glaube, nicht aus Hass mit aller Strenge gegen uns, sondern nur um mit eigenen Augen das Wunder zu schauen, dass es Menschen giebt, die ein Unglück für ihre Person lediglich dann vorhanden glauben, wenn sie zu einer That oder Äusserung gegen ihre Gesetze gezwungen werden. Es darf übrigens nicht befremden, dass wir dem Tode mit einem bei allen anderen Völ- kern unbekannten Mannesmut entgegengehen. Denn die Pflichten, welche uns gar nicht schwer Vorkommen, werden anderen keineswegs leicht, wie z. B. die Befolgung der Vorschrift, mit eigenen Händen 1 zu arbeiten, Einfach- heit in der Nahrung zu beobachten, beim Essen und Trinken, beim Beischlaf, bei besonderen Aufwendungen nicht nach zufälligem Belieben oder nach blossen Ge- lüsten zu verfahren, und auch hinsichtlich der Ruhe die eiumal feststehende Ordnung einzuhalten. Wir dagegen haben uns über die Verordnungen in betreff der Lebens- weise selbst dann nicht hinweggesetzt, Wenn wir mit dem Schwert in der Hand uns auf den Feind warfen und ihn frischweg in die Flucht schlugen. Indem wir so dem Gesetz freudigen Gehorsam erzeigen, wird es uns leicht möglich, auf dem Schlachtfeld reichliohe Beweise von Tapferkeit zu geben. 33. Und doch verlästern uns Menschen wie Lysi- machos, Molon und andere Federfuchser dieser Art, nichtsnutzige Sophisten und Jugendverführer, als wären .wir die schlechtesten aller Erden bewohner. Es ist nun eigentlich nicht meine Absicht, die Einrichtungen anderer Völker einer Prüfung zu unterziehen; denn wir pflegen 1 D. h. ohne ausschliessliche Verwendung von Sklaven. Gegen Apion, Zweites Buch. 187 wohl das Eigene treu zu bewahren, nicht aber gegen Fremdes anzugehen. Hat doch der Gesetzgeber schon mit Rücksicht auf den Namen „Gott“ uns streng unter- sagt, die Götter, an welche andere Nationen glauben, zu verspotten oder zu lästern. 1 Weil aber unsere An- kläger meinen, uns dadurch schlagen zu können, dass sie ihr eigenes Volk herausstreichen, darf ich nicht ganz schweigen, zumal die folgenden Bemerkungen nicht erst von mir, der ich sie jetzt niederschreibe, ins Treffen geführt, sondern schon von vielen hochangesehenen Ge- lehrten 2 ausgesprochen worden sind. Denn wo finden wir unter den Griechen einen ob seiner Weisheit be- wunderten Mann, der nicht den namhaftesten Dichtem und den angesehensten Gesetzgebern Vorwürfe darüber gemacht hätte, dass sie von jeher so niedrige Ansichten über die Götter im Volke verbreiteten? Sie gaben näm- lich die Zahl derselben ganz nach Belieben an, Hessen sie bald auf diese, bald auf jene Art voneinander ab- stammen und unterschieden sie wie Tiergeschlechter nach Wohnplätzen und Lebensweise, indem sie den einen die Erde, anderen das Meer, wieder anderen, und zwar den ältesten, den Tartaros an wiesen, wo sie gefesselt seien; über die, welchen sie den Himmel zuteilten, setzten sie als Herrn einen bestimmten Gott, der zwar Vater heisst, sich aber wie ein Tyrann und Despot benimmt; deshalb müssen auch seine Gattin, sein Bruder und die aus seinem eigenen Haupt geborene Tochter sich wider ihn verschwören, um ihn zu fangen und in Gewahr- sam zu bringen, wie er selbst seinem Vater gethan hatte. 34. Mit Recht halten die verständigeren Menschen derartige Ansichten für sehr tadelnswert und spotten auch darüber, dass man sich die Götter teils ohne Bart 1 Jüd. Altert. III, 7,7; IV, 8, 1 0. Ob auch die Stelle 2. Mos. 22, 28 hierher zu rechnen sei, ist fraglich. • So von Heraklit, Xenophanes, Demokrit, Plato, den Pythagoräern, den Stoikern u. a. 188 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. und jugendlich, teils älter und bärtig denken soll, ferner darüber, dass der eine Gott diese, der andere jene Kunst versteht, weshalb man unter ihnen hier einen Erzschmied, dort eine Weberin, dann wieder einen Krieger findet, der sich sogar mit Menschen schlägt, oder Zitherspieler und solche, deren Liebhaberei das Bogenschiessen ist; weiterhin machen sie sich über die vielen Streitigkeiten unter den Göttern und ihre Zänkereien wegen der Menschen lustig, wobei es nicht nur zum Handgemenge, sondern selbst dahin kommt, dass sie, von Menschenhand verwundet, wehklagen und sich krank fühlen. Die grösste Schamlosigkeit aber liegt darin, dass — unsinnig genug — fast allen Göttern, männlichen sowohl als weiblichen, geschlechtliche Unmässigkeit und Liebesabenteuer nach- gesagt werden. Der edelste und erste unter ihnen, der Göttervater selbst, lässt es zu, dass die von ihm ver- führten und geschwängerten Weiber eingekerkert oder im Meer ertränkt werden, und die von ihm erzeugten Kinder kann er, wenn das Geschick sie ereilt, weder retten noch auch ihren Tod ohne Thränen ertragen. Fürwahr, recht nett ist dies und noch anderes, was damit in Zusammenhang steht! Schauen doch die Götter im Himmel dem Ehebruch so ohne alle Scham zu, dass manche ihren Neid gegen die darein Verwickelten offen gestehen. Was kann man aber auch von ihnen anderes erwarten, wenn sogar der älteste, ihr König, das Ver- langen, seiner Gattin beizuwohnen, nicht einmal so lange bezähmen konnte, bis er mit ihr ins Schlafgemach ge- kommen war? Und wenn es von anderen Göttern heisst, sie hätten bei den Menschen als Knechte gedient, ihnen bald Häuser gebaut, bald die Herden gehütet, oder sie seien wie Missethäter in ein ehernes Gefängnis ein- gesperrt worden — muss da nicht jeder rechtlich Den- kende sich ereifern, die Erfinder solcher Märchen schelten und die grosse Dummheit derer, die sie gläubig weiter erzählen, verdammen? Auch Furcht sogar und Schreck, Tollwut und Betrug, ja die allerschlimmsten Leiden- schaften haben jene Leute dem Wesen und der Person Gegen Apion, Zweites Buch. 189 von Göttern angedichtet Alsdann beredeten sie die Staaten, den gutartigeren unter ihnen Opfer darzubringen. Daraus aber erwuchs den Burgern die arge Verlegen- heit, dass sie nur einen Teil der Götter für Spender des Guten halten konnten, während sie die anderen als Un- heilbringer bezeichnen mussten. Die letzteren suchen sie sich deshalb wie die schlimmsten Menschen durch Gaben und Geschenke vom Halse zu halten, indem sie sich grossen Unheils von ihnen versehen, wenn sie ihnen den schuldigen Tribut nicht entrichten. 35. Was ist nun die Ursache dieser Verkehrtheit und des fehlerhaften Verhaltens gegen die Gottheit? Meines Erachtens der Umstand, dass die Gesetzgeber weder den richtigen Begriff vom Wesen Gottes hatten noch auch die Gotteserkenntnis, soweit sie ihnen erreichbar war, als Ausgangspunkt benutzten, von welchem aus sie dem Gemeinwesen seine sonstige Ordnung hätten geben können, dass sie vielmehr die ganze Angelegenheit, als wäre sie höchst unwichtig, den Dichtern und Rednern überliessen. Die ersteren führten dann Götter ein, welche sie wollten, selbst solche, die allen möglichen Leiden unterworfen waren, während die Redner das Volk zu Beschlüssen verleiteten, die fremden Göttern das Heimatrecht im Staate verschafften. Reichlichen Gebrauch von der Frei- heit, welche die Griechen ihnen in diesem Punkte Hessen, haben auch die Maler und Bildhauer gemacht, indem jeder von ihnen irgend eine Gestalt ersann, die dann der eine in Thon , der andere in einem Gemälde wieder- gab; die am meisten bewunderten Künstler freilich be- nutzten als Stoff für ihre stets neuen Darstellungen Elfenbein und Gold. Nach und nach sind sodann die Götter, welche früher in hohen Ehren standen, veraltet, und auf andere, neu eingeführte hat man die jenen ge- zollte Verehrung übertragen. Ebenso steht ein Teil der alten Tempel jetzt leer, während andere ganz nach Willkür neu erbaut wurden. Und doch sollte man im Gegenteil die Ansichten über Gott und seine Verehrung unabänderlich festhalten. 190 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 36. Apollonios Molon gehört nun freilich zu den un- verständigen und aufgeblasenen Schriftstellern. Die echten griechischen Philosophen jedoch waren durchweg unserer oben dargelegten Ansicht, und auch die geist- losen Flunkereien der Allegorien 1 waren ihnen wohl- bekannt, weshalb sie diese nach Gebühr verachtet haben und unserer richtigen, geziemenden Lehre von Gott bei- getreten sind. Von ihr ging auch Plato aus; denn ab- gesehen davon, dass er überhaupt keinen Dichter in seinem Staat haben will, schickt er selbst den Homer, nachdem er ihn bekränzt und mit Oel übergossen hat, höflich weg, 2 damit er nicht die richtige Ansicht über Gott durch seine Fabeln verdunkele. Übrigens hat Plato sich auch darin aufs genaueste nach unserem Gesetz- geber gerichtet, dass er seinen Bürgern an erster Stelle die Verpflichtung auflegte, sämtliche Gesetze eingehend zu erlernen; desgleichen untersagte er den Verkehr mit Ausländern und sorgte so dafür, dass seine aus treuen Beobachtern des Gesetzes bestehende Gemeinde unver- mischt erhalten blieb. Alles das bedenkt Apollonios Molon nicht, wenn er uns einen Vorwurf daraus macht, dass wir diejenigen, die in anderen Ansichten über Gott befangen sind, nicht bei uns dulden und mit Leuten von ganz anderen Lebensgewohnheiten keine Gemeinschaft haben wollen. Aber auch dieser Zug ist nicht aus- schliesslich unserem Volke eigen, sondern er kehrt ins- gemein bei allen Griechen und gerade bei den angesehen- sten ihrer Stämme wieder. Und was die Lakedaemonier angeht, so haben sie von jeher die Fremden ausgewiesen und ihren Staatsangehörigen verboten, ins Ausland zu reisen, weil sie in beiden Fällen verderbliche Folgen für die allgemeine Sittlichkeit befürchteten. Ihnen kann man nun wohl mit Recht vorwerfen, sie benähmen sich abstossend, weil sie niemand das Bürgerrecht verleihen 1 Die Allegorien bezweckten, da9 Anstössige aas den Göttermythen zu entfernen. 2 Politeia 111,9 (Bekker’sche Textausgabe, Band VI, S. 41 2 f.). Gegen Aplon, Zweites Bach. 191 oder den Aufenthalt gestatten; wir aber nehmen, obwohl wir die Nachahmung fremder Sitten verschmähen, dennoch mit Freuden alle auf, die sich den unseren anschliessen wollen. Das ist doch sicherlich, sollt’ ich meinen, ein Zeichen von Menschenfreundlichkeit und Grossmut. 37. Doch genug von den Lakedaemoniern. Wie aber die Athener, die sich ja laut rühmen, dass ihre Stadt jedermann offen stehe, in diesem Punkte dachten, davon hat Apollonios gleichfalls keine Ahnung. Dass sie z. B, jeden, der auch nur ein Wort gegen ihre Gesetze ver- lauten liess, unerbittlich bestraften, ist ihm unbekannt. Weshalb denn sonst hat Sokrates sterben müssen? Er hatte ja weder die Stadt den Feinden verraten noch einen Tempel beraubt, sondern weil er neue Eide schwur und — sei es im Ernst oder, wie manche glauben, scherz- weise — behauptete, ein gewisses Daimonion mache ihm Offenbarungen, darum wurde er verurteilt» den tödlichen Schierlingssaft zu trinken; auch beschuldigte ihn sein Ankläger, er verderbe die Jugend, indem er sie anleite, die heimische Verfassung und die Gesetze zu verachten. Nun hat Sokrates als athenischer Bürger diese Strafe erlitten; Anaxagoras dagegen war aus Klazomenae, und doch wäre er, weil er dem Glauben der Athener, die Sonne sei ein Gott, entgegentrat und das Gestirn für eine glühende Masse erklärte, beinahe zum Tode ver- urteilt worden, denn nur wenige Stimmen fehlten. Auf den Kopf des Meliers Diagoras setzten sie den Preis yon einem Talent, weil es hiess, er mache ihre Mysterien lächerlich. Auch Protagoras entging nur durch schleunige Flucht der Gefahr, verhaftet und hingerichtet zu werden ; er sollte eine Schrift verfasst haben, deren Inhalt sich mit den Ansichten der Athener über die Gottheit nicht deckte. Kann es übrigens wunder nehmen, dass sie in dieser Weise gegen hochangesehene Männer verfuhren, wenn sie nicht einmal Weibern gegenüber Schonung walten Hessen ? Haben sie doch erst neulich eine Priesterin 1 Gemeint ist die Priesterin Tbeoris (Plutorch, Demosth. 14f.). 192 Des Fl&vius Josephas kleinere Schriften. getötet, die von irgend jemand beschuldigt worden war, dass sie insgeheim fremde Götter lehre. Das war bei ihnen gesetzlich verboten, und wer es dennoch that, hatte den Tod verwirkt. Galt aber bei ihnen ein solches Gesetz, dann haben sie sicherlich die Götter anderer Nationen nicht als solche anerkannt; denn sonst hätten sie nicht sich selbst die Freude missgönnt, mehrere zu besitzen. So verhielt es sich mit diesen Dingen in dem wohlgeordneten Staate der Athener. Aber selbst die mordlustigen Skythen, die sich nur wenig von wilden Tieren unterschieden, glauben ihre heimischen Einrich- tungen schützen zu müssen. So töteten sie den Ana- charsis , 1 dessen Weisheit die Griechen mit Bewunderung erfüllt hatte, gleich nach seiner Rückkehr, weil er ihnen von griechischem Wesen an gesteckt schien. Auch bei den Persern sind viele, wie man liest, um derselben Ursache willen hingerichtet worden. Und doch fand Apollonios gerade an den Gesetzen der Perser ersichtliches Wohl- gefallen und zollte ihnen seine Hochachtung, wahrschein- lich deshalb, weil die Griechen einen Geschmack von der Tapferkeit dieses Volkes und seiner einheitlichen Ansicht inbetreff der Götter bekommen hatten : von der Tapferkeit durch die Tempelbrande, welche die Perser entfachten, von dem Götterglauben durch den beinahe gelungenen Versuch derselben, Griechenland zu knechten. Er machte auch alle persischen Gebräuche nach, indem er fremden Weibern Gewalt an that und Knaben ver- schnitt. Bei uns dagegen wird auf Todesstrafe erkannt, wenn jemand auch nur ein unvernünftiges Tier in der angegebenen Weise misshandelt, und zum Gehorsam gegen diese Gesetze konnte uns weder die Furcht vor unseren Zwingherren veranlassen noch der Wunsch, es denen gleichzuthun, die bei anderen eine besondere Wert- schätzung geniessen. So haben wir uns auch im tapferen Dreinschlagen nicht deshalb geübt, weil wir behufs Stärkung unserer Macht kriegerische Unternehmungen 1 S. HerodotIV, 76. Gegen Apion, Zweites Buch. 193 planten, sondern weil wir unsere Gesetze beschirmen wollten. Aus jeder anderen Drangsal machen wir uns nicht viel; will uns aber jemand nötigen, unser Gesetz preiszugeben, dann wählen wir den Krieg, auch wenn unsere Kräfte nicht langen, und lassen uns selbst d urch das äusserste Unglück nicht wankend machen. Warum sollte es uns auch nach den Gesetzen fremder Völker gelüsten, da wir doch sehen, dass sie nicht einmal von denen unverändert gelassen werden, die sie gegeben haben? Zwar thaten die Lakedaemonier gut daran, dass sie ihrer staatlichen Abgeschlossenheit ein Ende machten und dadurch die Zahl der Heiraten vermehrten, und ebenso zweckmässig handelten die Eieier und Thebaner, indem sie den bis dahin geduldeten widernatürlichen und höchst abscheulichen Geschlechtsverkehr zwischen männlichen Personen untersagten; aber inan erkennt doch daraus, dass sie sich später zu dem, was sie früher in allen Ehren und ohne jeden Nachteil thun zu dürfen geglaubt hatten ,. nicht mehr bekennen mochten, wenn sie es auch thatsächlich nicht aufgaben. Jedenfalls haben sie nicht mehr die ursprünglichen Gesetze, die doch einst bei den Griechen so grosse Geltung hatten, dass man selbst den Göttern geschlechtlichen Umgang mit männlichen Personen nachsagte. Ebenso verhält es sich mit den Eheschliessungen zwischen leiblichen Geschwistern, die zur Entschuldigung unziemlicher und naturwidriger Wollust dienen mussten. 38. Ich verzichte darauf, auch noch von den Strafen zu reden und zu zeigen, wie von jeher die meisten Ge- setzgeber den Schlechten so manche Arten der Ab- findung zugestanden, indem sie für Ehebruch Geldstrafen, für Notzucht die Verpflichtung zur Ehe mit der Ge- schändeten festsetzten, ferner wie viele Ausflüchte bei einer Anklage wegen Gottlosigkeit sich darboten, falls überhaupt eine solche je erhoben wird. Bei den meisten Völkern ist ja die Übertretung der Gesetze Gegenstand eines besonderen Studiums geworden. Nicht so bei uns. Wird uns auch unser Reichtum, unsere Heimat und was Joaephua, Kleinere Schriften. 13 Go gle 194 Des Flavins Josephus kleinere Schriften. wir sonst gutes haben, entrissen: das Gesetz wenigstens bleibt uns unzerstörbar, und kein Jude kommt so weit von seinem Vaterlande weg und fürchtet einen erbitterten Tyrannen so sehr, dass nicht seine Scheu vor dem Gesetz doch noch grösser wäre. Werden wir also durch die Trefflichkeit der Gesetze veranlasst, eine solche Ge- sinnung gegen sie zu hegen, so gebe man nur zu, dass wir die besten Gesetze haben. Glaubt man aber, wir hielten trotz ihrer Minderwertigkeit so treu an ihnen fest, um wie viel mehr haben dann unsere Ankläger Strafe verdient, dass sie ihren eigenen besseren nicht treu bleiben! Weil nun die Länge der Zeit als der zu* verlässigste Prüfstein für alle Einrichtungen angesehen wird, möchte ich gerade sie auch für die Vorzüge unseres Gesetzgebers und der durch sie überlieferten Lehre von Gott Zeugnis ablegen lassen. Denn im Vergleich zu allen anderen Gesetzgebern gehört er offenbar einer weit früheren Zeitepoche an. 39. Von uns nun sind die Gesetze auch allen anderen Menschen beigebracht worden, 1 und immer mehr hat man sie zum Muster genommen. Zuerst nämlich haben die griechischen Philosophen , während sie scheinbar an ihren heimischen Satzungen festhielten, in That und Lehre sich an Moyses angeschlossen , indem sie ähnliche Begriffe von Gott hegten und gleich ihm die Einfachheit der Lebensweise sowie die auf Gegenseitigkeit beruhende Gesellschaftsordnung gehandhabt wissen wollten. Aber auch schon unter den Massen bemerkt man seit längerer Zeit viel Eifer für unsere Religion, und es giebt kein Volk und keine griechische oder barbarische Stadt, wo nicht unser Brauch, am siebenten Tage die Arbeit ruhen zu lassen, Eingang gefunden hätte und wo nicht das Fasten, Anzünden von Lichtern und viele unserer Ab- stinenzgebote beobachtet würden. Auch unsere bürger* liehe Eintracht, unsere Wohlthätigkeit, unseren gewerb- lichen Fleiss, unsere Ausdauer in Drangsalen, wenn es Paulus, Römerbrief 2, 19 ff. Gegen Apion, Zweites Buch. 195 sich um die Verteidigung des Gesetzes handelt, suchen sie nachzuahmen. Am meisten freilich muss man sich darüber wundern, dass das Gesetz lediglich durch die ihm innewohnende Kraft, ohne Anwendung sinnlicher Reizmittel und Lockungen dies vermocht hat: wie Gott das Weltall durchdringt, 1 so hat sich das Gesetz durch die ganze Menschheit verbreitet Schaue nur ein jeder auf sein eigenes Vaterland und seine Familie, und er wird finden , dass meine Behauptung allen Glauben verdient Unsere Ankläger sollten daher entweder alle Menschen vorsätzlicher Schlechtigkeit beschuldigen, weil sie sich zu mangelhaften fremden Einrichtungen mehr als zu ihren eigenen vollkommenen hingezogen fühlen, oder auf hören uns zu verlästern. Wir massen uns ja kein gehässiges Benehmen an, wenn wir unseren Gesetzgeber ehren und seine Offenbarungen über Gott für wahr halten. Denn hätten wir auch kein Verständnis für die Vortrefflichkeit aller seiner Gesetze, so müsste uns doch schon die Menge derer, die sie als musterhaft ansehen, einen hohen Begriff von ihnen beibringem 40. Übrigens habe ich von unseren Gesetzen und unserer Verfassung bereits in meinen „Altertümern“ 2 eine genaue Darstellung gegeben. Hier wollte ich nur, soweit es nötig war, daran erinnern, nicht in der Absicht, fremde Gebräuche zu tadeln oder die bei uns geltenden herauszustreichen, sondern um den Schriftstellern, die uns unrecht gethan, den Nachweis zu liefern, dass sie die Wahrheit selbst schamlos ins Angesicht schlugen. Ich glaube nun mein Versprechen durch die vorliegende Schrift hinreichend eingelöst zu haben. Denn ich wies das überaus hohe Alter unseres Volkes nach, von dem die Widersacher behaupten, dass es erst in jüngster Zeit aufgetreten sei. Zu dem Zweck führte ich eine Reihe alter Schriftsteller an, die uns in ihren Werken erwähnen, während jene versichern, kein einziger habe dies gethan. 1 S. Dähne, Alexandrinische Religionsphilosophie II, 8. 243. 2 Besonders hn dritten Buche. 196 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. Ferner behaupten sie, unsere Vorfahren seien Aegyptier gewesen; es wurde aber gezeigt, dass sie von auswärts nach Aegypten kamen. Und was die Lüge betrifft, sie seien wegen körperlichen Siechtums ausgewiesen worden, so ergab es sich klar, dass sie freiwillig und vor Ge- sundheit strotzend in ihr Heimatland zurückkehrten. Endlich beschimpften jene Menschen unseren Gesetz- geber, indem sie ihn als durch und durch lasterhaft hin- stellten ; wir aber fanden, dass zuerst Gott der Herr und dann auch die Zeit für seinen tugendhaften Wandel Zeugnis gab. 41. Über die Gesetze waren nicht viele Worte nötig. Vielmehr zeigte es sich an ihnen selbst, dass sie nicht Gottlosigkeit, sondern die wahrste Frömmigkeit lehren; dass sie nicht zum Menschenhass, sondern zu gegenseitiger Wohlthätigkeit auffordern; dass sie, dem Bösen abhold, der Gerechtigkeit Vorschub leisten, Müssiggang und Üppig- keit verbannen, Genügsamkeit und Lust zur Arbeit ein- schärfen, von Eroberungskriegen abhalten, dagegen Mannesmut einflössen, wo es gilt, für sie selbst einzu- treten ; dass sie unerbittlich sind im Strafen, durch Wort- klauberei sich nicht umgehen lassen und stets durch die That bekräftigt werden: denn wir haben immer Werke aufzuweisen, die noch deutlicher reden als die Schrift Deshalb darf ich kühn behaupten, dass wir gar viele und herrliche Tugenden bei anderen eingeführt haben. Denn nichts ist vortrefflicher als unwandelbare Frömmig- keit, nichts ein deutlicheres Zeichen der Gerechtigkeit als der Gehorsam gegen die Gesetze. Und was könnte es nützlicheres geben als gegenseitige Eintracht, infolge deren es weder im Unglück zur Trennung noch im Glück zu übermütigen Zänkereien kommt, und als jene Gesinnung, die im Kriege Todesverachtung, im Frieden Lust an Handwerk und Ackerbau, überhaupt aber die Überzeugung bewirkt, dass Gottes Vorsehung alles in der Welt regiert? Wenn derartige Lehren bei anderen früher niedergeschrieben und treuer befolgt wurden als bei uns, gut, so sind wir als Schüler ihnen zu Dank Gegen Apion, Zweites Bach. 197 verpflichtet; wenn sie jedoch, wie man sehen kann, bei uns am meisten das Leben beeinflussen, und wenn von mir dargethan wurde, dass auch die erste Entdeckung derselben uns zuzuschreiben ist, dann sind Menschen wie Apion und Molon sowie alle, die am Lügen und Lastern ihre Freude haben, als widerlegt zu betrachten. Dir aber, Epaphroditos, dem begeisterten Freunde der Wahrheit, und um deinetwillen allen, die gleich dir mit unserem Volke näher bekannt werden möchten, sei dieses und das vorige Buch gewidmet. Namenregister. A. Abbar, tvrischer Richter, I, 21* Abdastratos , tyrischer König, I, 18. Abdemon, Tyrier, 1, 17 f. Abibalos, tyrischer König, 1, 17 f. Ae gy pten, Ableitung des N amens I, lo; Aegyptier, die, 1,6; 12 f. ; 22; 24; 11,11. Agatharchides, Schriftsteller, aus Knidos gebürtig, lebte um 120 v. Chr. , I, 22. S. auch J. A. XII, 1. Akencheres I. , aegyptischer König, I, 15. Akencheres II. , aegyptischer König, 1, 15. Akenchres, aegyptische Königin, I, 15. Akusilaos, Geschichtschreiber aus Argos, lebte im 6. Jahr- hundert v. Chr., I, 2f. S. auch J. A. I, 3, 9. Alexander der Grosse, König von Macedonien, 1,22; 11,4. Alexandria, aegyptische Stadt, II, 4 ff. Allsphragmnthosls, aegyptischer König, 1, 14. Amenophis (drei dieses Namens), aegyptische Könige, 1,15; 26 ff. Amessis, aegyptische Königin, 1, 15. Anacharsls, Skythe, Zeitgenosse des Solon, wegen seiner Vor- liebe für griechisches Wesen von seinen Landsleuten ge- tötet, II, 37. Anaxagoras, berühmter Atomi- stiker, Lehrer des Perikies, geh. Go gle 500 v. Chr. in Klazomenae f est. 428 v. Chr. in Lampsakos, I, 16; 37. Andreas, Befehlshaber der Leib- wache des Ptolemaens Phila- delphus, 11,4. S. auch J.A. XII, 2, 2. Antlochla, Hauptstadt v. Syrien, II, 4. Antiochus Eplphanes, syrischer König, II, 7f. Antioehns, Schriftsteller. Ver- I fasser einer sicil. Geschichte, sonst unbekannt, I, 3. Apachnas, aegypt. König, 1, 14 Apion ; alexandrinischer Gram- matiker, Geburtsort II, 3; Charakter II, 1 ; Widerlegung seiner Angaben über die Juden II, 2—14; seine Eitelkeit II, 12; sein Tod 11,13. Vergl. J. A. XVIII, 8, 1. Apollodoros, Geschichtschreiber, wahrscheinlich identisch mit dem griechischen Grammatiker A., der um 140 v. Chr. lebte und zuerst zwischen Licht und Schatten unterschied, II, 7. Apollonlos Molon, griechischer Schriftsteller a. Rhodos, später Lehrer der Beredsamkeit in Rom, von Cicero, Caesar und anderen vornehmen Römern sehr geschätzt, II, 7; 14 ; 33; 36 f. Apophls, aegypt. König, I, 14. Archelans,J ulius, Schwiegersohn Agrippas d. Gr., 1, 9. Argos, Argeier, 1,16. Aristophanes v. Byzanz, alexan- drinischer Grammatiker und Kritiker, unter Ptolemaeus II. Gegen Apion, Namenregister. 199 . und Ptol. III. Vorsteher der 1 alexandrin. Bibliothek , geb. ' 260, gest. etwa 180 v. Chr.,1,23. i Aristoteles, der berühmte Philo- 1 soph. 1,22. ( Arkader, die. 1,4. Armais, Bruder des aegyptischen ■ Königs Sethosis (s. auch Da- naos), 1, 15. Azmals, aegypt. König, 1,15. Armesses, aegypt. König, 1, 15. Aserymos, tyrischer König, 1, 18. Assis, aegyptischer König, 1, 14. Astartos, tyrischer König, I, 18. Astarte, phoenic. Göttin, 1, 18. Athener, die, II, 37. Attika, griechische Provinz, 1, 3. Auaris, aegyptische Stadt, öst- lich von der bubastischen Mündung des Nil gelegen, ! militärischer und religiöser | Mittelpunkt des Reiches der ! Hyksos, I, 14; 26. B. Baal, tyrischer König, 1,21. Babylon, Babylonier, 1, 19 f. Badezor, tyrischer König, 1, 18. Balatoros, tyrischer König, 1,21. Baleazar, tyrischer König, 1, 18. Bel, tyrischer Gott, I, 22. Beon, aegyptischer König, 1, 14. Ber©ssos(Berosu8), chaldaeischer Priester u. Geschichtschreiber, Zeitgenosse des Manetho,1 , 1 9f . Bokchoris, aegypt. König, I, 34. Borslppos, Stadt in Babylonien, südlich von Babylon auf der östlichen Seite des Euphrat gelegen, jetzt Barzip oder Birs Nimrud, 1, 20. Bubastischer Xtlarm, so ge- nannt , weil er durch den Nomos Bubastites floss, 1, 14. c. Chabuion, Distrikt in Galilaea (vgl. J. A. VIII, 5, 3), 1^ 17. Chairemon , Verfasser einer aegyptischen Geschichte, Zeit- genosse des Josephus, längere Zeit Vorsteher der alexän- drinischen Bibliothek, I, 32 f. Chaldäer, die, I, 6; 19. Chelbes, tyrischer Richter, I, 21. Choirilos, attischer Dichter (Sa- tyrspiele), lebte um 524 v.Chr., 1 , 22 . Cyrus, Perserkönig, 1,12; 20 f. D. Danaos, Bruder d. aegyptischen Königs Sethosis (s. auch Ar- mais). 1,15; 1,26 (hier Her- maios genannt). Danaos, erster König von Arges, 1, 16. Demetrius Phalereus , Ober- bibliothekar des Königs Pto- lemaeus Philadelphus, I, 23; 11,4. Diagoras, Atomistiker aus Melos, lebte etwa 470 — 420 v. Chr., | II. 37. (Dido), Schwester d. Pygmalion, Gründerin von Karthago, 1, 18. Dios, Verfasser einer phoenic. Geschichte (vergl. J. A. VIII, 5, 3), I, 17. Dora, Stadt in Phoenicien nahe beim Karmel, II. 9. Dositheos, jüd. Befehlshaber im aegyptischen Heere, II, 5. Drakon, der bekannte Gesetz- geber (um 620 v. Chr.), I. 4. E. Eknibal, tyrischer Richter, 1,21. Eieier (Bewohner von Elis), die, II, 37. Epaphroditos , des Flavius Jo- sephus Freund, 1, 1 ; II, 41. Ephoros, Geschichtschreiber (um 320 v.Chr.), 1,3; 12 (vergl. J. A. I, 3, 9). 200 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. Euhemeros, Schrift8teller(um 312 v. Chr.) , der Stifter der nach ihm benannten mythologischen Theorie), 1,23. Eupolemos , Geschichtschreiber, etwa 140 — 100 v. Chr., I, 23. Evümaradnch (J. A. X, 11, 2 Abilamarodach) , König von Babylonien, 1,20. Ezekias, Hohepriester, 1,22. G. Gerastratos, tvrischer Richter, 1 , 21 . Griechen, die, 1,2: 4; 12; II, 11; 15 f.; 33 ff. H. Hekataios , Geschichtschreiber, aus Al>dera gebürtig, lebte zur Zeit des Ptolemaeus Lagi, I, 22 f.; 11,4. S. auch J. A. 1, 7,2. Heliopolis, Stadt in Aegypten, Hellanf kos , Geschichtschreiber aus Mytilene, 496—41 1 v.Chr., 1, 3. S. auch J. A. 1, 3, 9. Herakles, tvrischer Gott, 1,18. Hermaios (derselbe wie Armais 1,15), 1,26. Hermippos, Schriftsteller, „der Smyrnäer“ oder „der Kalli- macheer“, lebte zu Anfang des 3. Jahrh. v. Chr., I, 22. Hermogenes,G eschichtschreiber, sonst so gut wie unbekannt, I, 23. Herodot* der berühmte Ge- schichtschreiber, geb. etwa 500 v. Chr. zu Halikarnasso8, gest. 424 v. Chr. in Italien, 1,3; 12; 14 ; 22; 11,13. Hesiod, griechischer Dichter d. 8. Jahrhunderts v.Chr., Haupt der sogenannten boeotischen oder didaktischen Dichter- schule, Verfasser der „Theo- Go gle gonie“, 1,3. S. auch J. A. 1,3, 9. Hieronymos, aegyptischer Ge- schichtschreiber, geb. zwischen 370 und 360, gest. zwischen 266 und 256 v. Chr.. 1,23. Vergl. J. A. I, 3, 6 ; 3,9. Hirom (J. A. Hiram) , König von Tyrus, I, 17 ; II, 2. Hirom, tyrischer König zur Zeit des Cyrus, I, 21. Homer, der berühmte Dichter, 1,2; II, 15; 36. I. J. Jan las, König von Aegypten, 1, 14. Joseph (der aegyptische). Sohn des Patriarchen Jakob, 1,32. Isis, aegyptische Göttin, 1,32. Ithobal, König von Tyrus und Sidon, 1,18; 21. K. Kadmos, Sohn des Agenor, Gründer von Theben in Boe- otien, 1,2. Kadmos, griechischer Geschicht- schreiber aus Milet, einer der sogenannten Logographen, 1,2. Kalaner, indische Bezeichnung für Philosophen, 1,22. Kalllas, Verfasser einer si- cilischen Geschichte in 22 Büchern , aus Syrakus ge- bürtig (um 300 v.Chr.), 1,3, Kalilphon , Schüler des Pytha- goras, aus Kroton, I. 22. Karmanlen, Landschaft östlich von Persis, nördlich vom Per- sischen Golf, heute die Provinz Kirman, I, 20. Kastor, Chronist, sonst un- bekannt, II, 7. Kleanthes, Stoiker, aus Assos gebürtig, lebte im 3. Jahrh. v. Chr., II, 12. Gegen Apion, Namenregister. 201 KJearehos, Peripatetiker, 1, 22. Kleopatra, Gattin und leibliche Schwester des Ptolemaeus Philometor, II, 5. Kleopatra, die berüchtigte letzte Königin von Aegypten, II, 5. Solcher, die, 1,22. Konon , Schriftsteller aus dem l.Jahrh. v.Chr, 1,23. Korban, jüdischer Eid, 1,22. Kroesus, letzter König v. Lydien, Laborosoarchod, (J. A. X, 11, 2 Laborosordach), König von Babylonien, 1,20. Lysimachos, alexandrinischer Grammatiker und Geschicht- schreiber aus dem 2. oder I. Jahrh. v. Chr., I, 84 f; II, 2; 14. M. Makronen, die, mächtiger Volks- stamm im NO von Pontus, östlich neben den Kolchern (Herodot VII, 78; Xenophon, Anabasis IV, 8, 3), I. 22. Manetho, aegypt. Ma - n - Thot, d. i. von Thot (dem Gotte der Zeitrechnung) geliebt, aegypt. Oberpriester und Geschieht- ! Schreiber zu Heliopolis, aus 1 Sebennytos gebürtig , lebte um 250 v. Onr. und schrieb sein Hauptwerk auf Ver- anlassung des Ptolemaeus Philadelphus , 1,14; 26—33; 11,2. Vergl. J. A. I, 3, 9. Was aus seinen Werken erhalten ist, hat C. Müller (Fragm. hist, graec. II, 511 — 616) ge- sammelt. Matgenos, tyrischer König, I, 18. Megasthenes, Verfasser einer in- dischen Geschichte, lebte zur Go gle I Zeit d Seleukus Nikntor, 1,20. Vergl. J. A. X. 11, 1. Memphis, Stadt in Aegypten, 1. 14. Menander , Geschichtschreiber i aus Ephesos oder (nach Clemens Alex.) aus Pergamos, 1.18. Vergl. J.A. VIII, 5, 3; I 13, 2; IX, 14, 2. Mephramnthosls, aegyptischer König, I, 15. Mephres , aegyptischer König, 1. 15. Merbal, tyrischer König, 1,21. Messenes, Sohn des aegyptischen Königs Amenophis, 1, 32. Minos, Sohn des Zeus, Be- herrscher von Kreta, später Richter in der Unterwelt, II, 16. Mnaseas , Geschichtschreiber, Verfasser eines grossen his- torisch-geographisch. Werkes, lebte in der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr., I, 23. S. auch J. A. I, 3, 6. Mosollam , Jüdischer Bogen- schütz, 1, 22. Moyses, 1, 8 ; 26 ; 31 f ; II, 2 ; 15 f. Seine Gesetze II, 17—31. Mytgonos , tyrischer Richter, 1 , 21 . N. Nabonned, (J. A. X, 11, 2 Nabo- andel), babylonischer König, 1 , 20 . Nabopalassar, chaldäisch.König, 1. 19. Nabuchodonosor, babylonischer König, 1, 19f. Nekropolis« „die Totenstadt“, westl. Vorstadt Alexandrias. Sie hiess so, weil sich dort Häuser zum Einbalsamieren der Toten und Gärten mit Begräbnisstätten befanden. 11,4. 202 Des Flavius Joseph» s kleinere Schriften. Neriglissoor, (J. A. X, 11, 2 Ni- glisar), babylonischer König, Nikolaus von Damaskus, Ge- schichtschreiber, besonders be- kannt aus der Geschichte Herodes’ des Grossen, II, 7. 0 . Oase, die, Geburtsort Apions. Zu verstehen ist hier zum Unterschied von der kleinen Oase in Mittelaegypten die grosse Oase in Oberaegypten, die schon Herodot (III, 2, 6) kennt und ebenfalls als iröXt? v Oaoi? bezeichnet. II, 3. Onias, jüdischer Befehlshaber im aegyptischen Heere, 11,5. Osarsiph, Oberpriester aus Heli- opolis, von dem Manetho be- hauptete, dass er mit dem Moyses der Juden identisch sei, I, 26. P. Paapis, Vater des aegyptischen Weisen Amenophis, I, 26. Palaestlna, 1, 22. Parthenios, der bedeutendste Fluss Paphlagoniens , jetzt Bartan-Öu oder Bartine. Er bildete die Grenze Paphla- goniens gegen Bithynien und mündete 90 Stadien westlich von der Stadt Amastris (jetzt Amasra) ins Meer [vergl. Homer, Odyssee II, Vers 854; Herodot II, 104; Xenophon, Anabasis V, 6, 9 ; VI, 2, 1]. 1 , 22 . Peisistratos, athenischer Tyrann, I» 4. Perser, ihre Sitten II, 37. Pheles, tyrischer König, 1, 18. Pherekydes, Philosoph, „der Syrier“, d. i. von der Insel Syros stammend, lebte in der I. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr., 1,2. Phlllstos, sicilischer Geschicht- schreiber aus Syrakus, lebte um 430 v. Chr., 1,3. Philo, Schriftsteller, zum Unter- schied von dem berühmten Alexandriner Philo „der äl- tere“ genannt* 1,23. Phüostratos, Verfasser einer indischen und phoenicischen Geschichte (s. J. A. X, 11, 1), sonst unbekannt, 1,20. Phöenlcier, die, 1,2; 6; 12 f; 19 ; 22. Phritiphantes, aegypt. Schrift- gelehrter, 1,32. Plato, der grosse Philosoph, geb. in Athen 428, gest. 347 v.Chr., IX, 16; 31; 36. Polybios , Geschichtschreiber, geb. um 204 v. Chr. zu Mega- lopolis, gest. etwa 121 v.Chr, II, 7. S. auch J. A. XII, 3, 3; 9, 1. Polykrates, Geschichtschreiber, Verfasser einer lakedaemo- nischen Geschichte, Lebenszeit unbekannt, 1,24. Poseidonlos, stoischer Philosoph aus Rhodos, mit Cioero und Pom pejus befreundet, 11,7. Protagoras, Sophist, aus Abdera gebürtig, lebte zwischen 480 und 410 v. Chr., II, 37. Ptolemaeus I. (Lagi) , König von Aegypten, 1,22; 11,4. Ptolemaeus II. (Philadelphia), König von Aegypten, II, 4. Ptolemaeus III. (Euergetes), König von Aegypten, 11,5. Ptolemaeus VI. (Philometor), König von Aegypten, 11,5. Ptolemaeus VII. ( Physkon), König von Aegypten, II, 5. Pygmalion , tyrischer König, 1,18. Gegen Apion, Namenregister. 203 Pythagoras, der bekannte Phi- losoph und Vater der Geo- metrie, lebte zwischen 550 und 500 v. Chr. , I, 2; 22; II, 16. R. Ramesses, König von Aegypten, 1,15; 26; 32. Rampses, König von Aegypten, 1,26. Rathotls, König von Aegypten, 1, 15. s. Sabbat, Ableitung des Namens, 11 , 2 . Baltischer Nomos, Bezirk von Aegypten, so genannt nach der Stadt Sai's im Delta, 1, 14. Salatis, König von Aegypten, 1. 14. Skythen, die, 11,37. Selenkos I. (Nikator), König von Syrien, 11,4. Semlranüs , Königin von As- syrien, 1,20. Sesostris, König von Aegypten, Setho, auch Aigyptos genannt, König von Aegypten, I, 26. Sethosls, König von Aegypten, 1. 15. Sofarates, der berühmte Phi- losoph, geb. 469 v. Chr. in Athen, II, 12; 37. Solomon, König der Israeliten, 1, 17. Solon, athenischer Gesetzgeber, geb. 639, gest. 559 v. Chr. in Athen, II, 15. Solymerberge, die, in Palaestina, 1 , 22 . Spartaner, die, I, 31. Stoiker, die, II, 16. Strabo , „der Kappadocier“, griechischer Geograph, geb. 66 v. Chr. in Amasia,- gest. 24 n. Chr., 11,7. Strfctontke, Gattin des mace- donischen Königs Demetrios, I 22 Syrer, die, 1,22. T. Tethmosis, König von Aegypten, I, 26. Thaies, griechischer Philosoph aus Milet, 640— 550 v. Chr., 1 , 2 . Thebaner, die, 11,37. Theodotos , Geschichtschreiber aus Tarsus, 1,23. Theophilos, Geschichtschreiber (wahrscheinlich aus der Dia- dochenzeit), sonst unbekannt, 1, 23. Theophrastos, griechischer Phi- losoph, Schüler des Aristoteles, lebte 390—286 v. Chr., 1,22. Theopompos, Geschichtschreiber, lebte um 380 v. Chr., 1,24. Thermodon, ein durch die Amazonensage berühmt ge- wordener Fluss in Kappa- docien, jetzt Termeh, I, 22. Thermus, römischer Legat, II, 5. Thmosfs, König von Aegypten, 1,15. Thnkydides, der berühmte Ge- schichtschreiber, geb. um 460 v. Chr. in Athen , gest. etwa 396 v. Chr., 1,3; 12. Thummosis, König von Aegypten (I, 15 Tethmosis genannt), 1,14. Timaos, König von Aegypten, 1, 14. Timalos, sicilischer Geschicht- schreiber, geb. um 352, gest. um 256 v. Chr., 1,3; 24. Timagenes, Geschichtschreiber aus Alexandria, lebte im 1. Jahrh. v. Chr., 11,7. Tltyer, die, 1, 18. Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 204 Tyrrhener, die, 11,4. Tyrler, die, 1,13; 17 f; 21 f. z. Zabidos, Idumäer, II, 9. Zalenkos , lokrischer Gesetz- geber, etwa 700—600 v. Chr., II, 15. Zeno , griechischer Philosoph aus Kition , Begründer der stoischen Schule, lebte 340 bis 260 v. Chr., JI, 12. Zopyrion , Geschichtschreiber und Grammatiker , schrieb ein Lexikon, das z. T. in den Suidas überging, 1,23. Ober die Makkabäer oder über die Herrschaft der Vernunft. Digitized by Google Original from NEW YORK PUBLIC LIBRARY Einleitung. Lange Zeit war ich unschlüssig, ob ich die Schrift „Über die Makkabäer“ in die Gesamtausgabe der Werke des Flavius Josephus aufnehmen solle. Es sind ja neuer- dings sehr gewichtige Stimmen laut geworden, welche ihm die Autorschaft absprechen , und besonders hat Freude nthal in einer geistreichen Untersuchung 1 den fast völligen Nachweis erbracht, dass Josephus der Ver- fasser der Abhandlung nicht sein könne. Ich sage: fast — denn so ganz ist die Frage denn doch noch nicht gelöst, zumal auf der anderen Seite eine Reihe namhafter Forscher wie Paret, Jost und viele andere die Autorschaft des Josephus warm verteidigt haben. Insbesondere möchte ich die Beweisführung Freuden thals, aus dem Passus: coowep Euo&aprv 7cot£?v (Abschnitt 1, Ende) gehe mit Bestimmtheit hervor, dass der Verfasser ein Prediger von Beruf gewesen sein müsse, nicht für unan- fechtbar halten. Denn wenn, wie Grimm behauptet, die Predigt — und eine Predigt muss die Abhandlung in der That genannt werden — nicht zum Vortragen, sondern nur zum Lesen bestimmt war, eine Ansicht, gegen die sich nichts triftiges einwenden lässt, warum 1 Dr. J. Freudenthal , Die Flavius Josephus beigelegte Schrift Ueber die Herrschaft der Vernunft* (IV. Makkab&erbuch), eine Predigt aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Breslau (Jahresber. des jüd.- theolog. Seminars) 1869. 208 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. hätte der Verfasser sich nicht auch als gewohnheits- massigen Prediger einführen können, ohne in Wirklich- keit ein solcher zu sein? Ich will also die Frage, zu der sich auch noch Fritzsche (Libri apocryphi V. T.), Schürer (Neu- testamentliche Zeitgeschichte S. 650), H e i n z e (Der Logos S. 202), Creuzer (Stud. und Krit 1853, S. 84, 86) und Reu ss (Ersch und Grubers Encyklop. s. v. Josephus) geäussert haben, offen lassen und die Abhandlung schon um dessetwillen den Schriften des Josephus anreihen, weil sie Jahrhunderte hindurch mit seinem klangvollen Namen geziert war und in den meisten Textausgaben seiner Werke enthalten ist. Es sei übrigens hier gleich bemerkt, dass wir heute wohl nicht mehr den ursprüng- lichen Text vor uns haben; denn vielfach lassen sich daran die Spuren der Interpolations- und Anstückelungs- arbeit erkennen, sodass Freudenthal das Büchlein mit Recht den Torso eines interessanten Kunstwerkes nennt. „Über die Makkabäer oder über die Herrschaft der Vernunft“ lautet der Titel, und wenn dessen zweite Hälfte kaum bezeichnender gewählt werden konnte, so ist die erste dafür um so unzutreffender; denn von den Makkabäern handelt die Schrift nicht, sondern es kann durch den ersten Teil der Überschrift nur angedeutet sein, dass die berichteten Ereignisse sich in der Zeit der Makkabäer zutrugen und ihre Erzählung aus einem der Makkabäerbücher (dem zweiten) geschöpft ist. Dass sie hin und wieder als „ IV. Makkabäerbuch “ den deutero- kanonischen Schriften des alten Testamentes beigesellt wird, will ich nur nebenbei erwähnen. Das Werkchen stellt, wie gesagt, eine Predigt dar, und zwar eine sehr kunstvoll disponierte , 1 sauber stili- 1 S. Freudenthal, a. a. O. S. 18 f. Ueber die Makkabäer, Einleitung. 209 sierte, von innigster Religiosität durchwehte Predigt, die man früher allgemein für eine Perle diesbezüglicher Litteratur hielt. So nennt Eusebius 1 die Schrift „ein nicht unedles Kunstwerk“, Hieronymus 2 „ein sehr anmutiges Buch“, der Lexikograph S ui das 3 „eine ganz vortreffliche Rede oder Abhandlung“. In neuerer Zeit hat sie eine sehr verschiedenartige Beurteilung erfahren. Ewald 4 und Paret 5 z. B. sind voll ihres Lobes, während Gr ätz 6 und Grimm 7 sie als „geschmackloses Martyro- logium“ bezw. als „Machwerk erkünstelter Begeisterung“ bezeichnen. Sei dem wie ihm wolle, jeder unbefangene Leser wird zugeben müssen, dass sie in der That die volle Beachtung aller Freunde jüdisch-hellenischer Predigt- litteratur verdient. Was den Inhalt der Rede betrifft, so wird in ihr nach Art der griechischen Rhetorenschulen als Schwer- punkt des Ganzen ein philosophischer Satz hingestellt, nämlich der, dass die fromme Vernunft Beherrscherin der sinnlichen und seelischen Triebe der Menschennatur sei, dass sie dieselben zwar nicht ausrotten , wohl aber lenken, zügeln und zurückdrängen könne. Zu diesem Satz bringt der Verfasser zunächst eine kurze theoretische Erörterung, die man trotz seines in der Einleitung ge- gebenen Versprechens, mit philosophischer Gründlich- keit untersuchen zu wollen, nicht gerade als ein Zeichen glänzender philosophischer Befähigung ansehen kann. 1 Hist, eccles. III, 10. 2 Catal. script. eccles. s. v. Josephus. 8 S. V. 4 Gescb. Israels IV, 3, S. 634. 6 Einl. zu den Schriften d. Jos., S. 27. 6 Gescb. der Juden 111, 2, S. 445. 7 Einl. zu IV. Makk. S. 287. Josephus, Kleinere Schriften. 14 210 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. Dann aber geht er, weil das Geschichtliche ihm die Hauptsache ist, rasch zu einem ^tatsächlichen Beweis aus der Geschichte des jüdischen Volkes über, indem er berichtet, wie einige jüdische Märtyrer allen Ver- lockungen und Drohungen des Antiochus Epiphanes wie auch den schrecklichsten Qualen widerstanden, um nicht von der Religion ihrer Väter abfallen zu müssen. Wenn er dabei in der Schilderung der grauenvollen Marterscenen des Guten etwas zu viel thut, so kann man ihm das nicht sonderlich übel nehmen; denn seine Zeitgenossen hatten — die fast alltäglich gewordenen blutigen Cirkusspiele beweisen es — ganz andere Nerven als wir, und so rechtfertigte und entschuldigte der Kulturzustand jenes alten Publikums, das Vorgänge wie die geschilderten nicht zu den Unmöglichkeiten rechnen konnte, eine derartige Behandlung des Themas. Übrigens soll die Geschichte der Märtyrer nicht nur als konkretes Beispiel für einen abstrakten Satz ver- wendet, sondern auch durchaus selbständig dem Zu- hörer bezw. Leser vorgeführt werden. So sind, während äusserlich die Einheit des Ganzen gewahrt ist, in Wirklichkeit zwei gleich schwer wiegende Stoffe neben- einander gestellt und nehmen in gleichem Masse unsere Aufmerksamkeit in Anspruch , der eine durch seine philosophische, der andere durch seine religiöse und nationale Bedeutung. Dass die Quelle, aus der der Autor schöpfte, vor- nehmlich das zweite Makkabäerbuch (3; 4, 7— 17; 5, 1 — 11; 6, 8 — 11, 18 — 31; 7) war, leuchtet auf den ersten Blick ein; 1 sind doch manche Stellen der Rede 1 In dieser Ansicht kann mich auch Willrich nicht irre machen , der das zweite Makkabäerbuch für jünger als das vierte Ueber die Makkabäer, Einleitung. 211 wörtlich daraus entlehnt Allerdings weicht er in den Einzelheiten des Martyriums auch wieder vielfach von diesem Buche ab, und* insofern mag er, wie Freuden- thal nach weist, zugleich ein älteres grösseres Geschichts- werk des Jason von Kyrene benutzt haben. Wann die vorliegende Abhandlung entstanden ist, lässt sich nicht genau bestimmen. Seit den Ereignissen unter Antiochus Epiphanes muss jedenfalls schon eine längere Zeit verstrichen gewesen sein ; denn die Über- lieferung von den grossen Glaubenskämpfen ist bereits zur Sage geworden, und die Personen zeigen sich uns in jener nebelhaft schwankenden, verklärten Gestalt, die sie erst anzunehmen pflegen, wenn die deutliche Erinnerung verwischt ist und entlegene Vergangenheit einen Glorienschein um ihre Helden webt. Anderseits können wir wohl das Jahr 70 n. Chr. als die obere Grenze des Zeitraumes betrachten, innerhalb dessen das Werkchen geschrieben wurde, da der Verfasser ein so gewaltiges Ereignis wie die Tempelzerstörung unter Titus sicher nicht unerwähnt gelassen hätte, wenn die Predigt erst nach diesem Zeitpunkt entstanden wäre. Bedenkt man dazu noch, dass an keiner einzigen Stelle der Schrift von Unruhen in Judaea die Rede ist, so wird man unter Berücksichtigung aller vorgenannten Um- stände die Abfassung etwa in das letzte Jahrzehnt vor Beginn des Jüdischen Krieges, also in die Jahre 56 — 66 n. Chr. verlegen dürfen. Ganz treffend sagt Freudenthal : Der Verfasser war ein strenggläubiger Jude, aber zugleich ein Grieche voll Schönheitssinn und Formtalent, ein gelehriger Schüler erklärt (Forschungen zur hellenistisch -jüdischen Geschichte und Litteratar, S. 166 f.). 21*2 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. griechischer Philosophie und griechischer Rhetorik. Ich füge hinzu: Haben wir nicht aus den anderen Werken des Josephus erfahren, dass er das Zeug in sich hatte, ein solcher Mann zu sein? Brauweiler, im Januar 1901. Dr. Heinrich Clement z. • 1. Im Begriff, mit philosophischer Gründlichkeit die Frage zu erörtern, ob die fromme Vernunft Beherrscherin der Gemütsbewegungen sei, möchte ich euch wohlweislich raten, dieser philosophischen Darlegung eure Aufmerk- samkeit zu schenken. Denn abgesehen davon, das6 eine solche Belehrung für jeden, dem seine Geistesbildung am Herzen liegt, notwendig ist, enthält sie auch das Lob der höchsten Tugend, das heisst^ der Einsicht, 1 indem sie untersucht, ob die Vernunft in'"der That über die der Massigkeit feindlichen Leidenschaften, Schlem- merei nämlich und Begehrlichkeit, obzusiegen vermag, ferner ob sie mächtiger erscheint als die dJer Gerechtig- keit hinderlichen Affekte, wie z. Bosheit, und als diejenigen Triebe, die der Mannhaftigkeit zuwider sind, wie Zorn, Furcht und Unlust. Hat denn aber, so könnte jemand einwerfen, die Vernunft, wenn sie die Leiden- schaften bezwingt, keine Gewalt über Vergesslichkeit und Unwissenheit? Das ist allerdings eine lächerliche Frage. Denn die Vernunft herrscht nicht über ihre eigenen Störungen, sondern über die der Gerechtigkeit, Tapferkeit und Besonnenheit widerstreitenden Triebe, und auch über diese nicht so, dass sie sie ausrottet, sondern so, dass sie ihnen nicht weicht. Ich könnte euch nun an zahlreichen und verschiedenartigen Beispielen zoigen, dass die Vernunft über die Gemütsbewegungen herrscht; weitaus am besten aber glaube ich dies darzuthun, wenn ich euch jene starkmütigen Menschen vorführe, die um der Tugend willen starben, ich meine Eleazar sowie die 1 Ich setze nach apETrJ; ein Komma und lasse ct: vor s.povr'aEo.>; Ausfallen, da sich sonst kein rechter Sinn ergiebt. 214 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. sieben Brüder und deren Mutter. Denn indem sie den göttlichen Gesetzen zulieb alle Folterqualen und den Tod verachteten und aus Gottesfurcht ihr Leben für nichts anschlugen, lieferten sie den Beweis, dass die Ver- nunft den Gemütsbewegungen völlig überlegen ist. Loben muss ich die heldenhaften Männer, die damals um der Gerechtigkeit willen mitsamt der Mutter in den Tod gingen; wegen der Ehre aber, die sie erlangten, möchte ich sie selig preisen. Ihr Starkmut und ihre Ausdauer erregten ja nicht nur bei allen übrigen Menschen, sondern selbst bei ihren Peinigern Bewunderung, und indem sie den Tyrannen durch ihre Standhaftigkeit besiegten, legten sie den Grund zur Befreiung ihres Volkes von der Zwing- herrschaft. Ich glaube nunmehr ohne weiteres zur Frage selbst übergehen zu sollen und mache, wie dies meine Gewohnheit ist, den Anfang mit der Begründung des Themas, um alsdann die Rede auf jene Märtyrer zu bringen. Gott dem Allweisen aber sei die Ehre! 2. Wir fragen also, ob die Vernunft über die Ge- mütsbewegungen herrscht, und untersuchen, was eigent- lich Vernunft ist und was Affekt, ferner wie viele Arten der Affekte es giebt und ob sie alle von der Vernunft regiert werden. Vernunft ist der Geist* der mit richtiger Überlegung das auf Weisheit hinzielende Leben allem anderen vorzieht; Weisheit ist Erkenntnis göttlicher und menschlicher Dinge und ihrer Gründe. Die letztere aber besteht in der auf Grund des Gesetzes erlangten Bil- dung, vermöge deren wir das Göttliche in seiner Erhaben- heit, das Menschliche zu unserm Nutzen kennen lernen. Nun giebt sich die Weisheit in vierfacher Hinsicht als Scharfsinn, Gerechtigkeit* Starkmut und Massigkeit kund. Obenan steht der Scharfsinn, kraft dessen die Vernunft den Affekten überlegen ist. Von den Affekten aber sind die zwei umfassendsten Arten die Lust und der Schmerz, und jede dieser beiden Gemütsbewegungen kann auf den Körper sowohl als auf die Seele einwirken. Übrigens zählt man in der Lust wie im Schmerz eine Menge von Stufenfolgen. Der Lust geht vorher die Begierde, und Ueber die Makkabäer. 215 €8 folgt ihr das Wohlgefühl; der Unlust aber geht vorher das Widerstreben, und es folgt ihr die Bekümmernis. Der Zorn ist eine der Lust und der Unlust gemeinsame Leidenschaft, die zum Ausbruch kommt, wenn jemand darüber nachdenkt, dass ihm etwas fehl ging. In die Lust einbegriffen ist auch jene bösartige Gemütsstimmung, die unter allen Leidenschaften die mannigfaltigsten Formen aufweist und sich in Bezug auf die Seele als Prahlerei, Geldgier, Ehrgeiz, Zanksucht und Neid, in Bezug auf den Körper als Vielfresserei, Schlemmerei und Alleinessen 1 offenbart. Nun giebt es, gerade als wenn Lust und Unlust zwei Pflanzen des Körpere und der Seele wären, viele Nebenschösslinge dieser Pflanzen; sie alle reinigt der grosse Gärtner Vernunft, beschneidet sie, bindet sie auf, begiesst sie, verpflanzt sie in jeder mög- lichen Weise und veredelt so die Stimmungen und Leiden- schaften ihrem Wesen nach. Denn die Vernunft geht allen Tugenden voran und beherrscht die Gemütsbe- wegungen, und dass sie dies thut, erkennen wir ja schon von vornherein an den der Mässigkeit feindlichen Dingen selbst Mässigkeit ist somit das, was die Be- gierden zügelt. Von den letzteren aber sind die einen seelisch, die anderen körperlich, und über beide Arten herrscht offenbar die Vernunft. Denn wenn wir uns zu verbotener Nahrung hingezogen fühlen, was veranlasst uns, die daraus entspringende Lust aufzugeben? Doch sicherlich die Erwägung, dass die Vernunft die Begierden im Zaum zu halten vermag. Ich glaube also, dass wir uns der Begehrlichkeit nach Fischen, Geflügel, Vier- füsslern und allen sonstigen Speisen, die uns durch das Gesetz verboten sind, lediglich deshalb enthalten, weil die Vernunft die Oberhand hat. Die begehrlichen Leiden- schaften werden eben von dem verständigen Geist ge- 1 Gemeinsame, durch Gespräche gewürzte Mahlzeiten waren bei den geselligen Griechen und dann auch bei den Völkern, die deren Sitten annahmen, sehr gebräuchlich, während das Alleinessen, ohne alle Gesellschaft, als Zeichen einer rohen, nur auf die Befriedigung sinnlicher Genüsse gerichteten Denkungsart galt. 216 Des Flavins Josepbus kleinere Schriften. bändigt und abgelenkt, und alle körperlichen Triebe schlägt die Vernunft in Feßseln. 1 3. Was ist übrigens wunderbares daran, wenn sogar das Verlangen der Seele nach Vereinigung mit der Schönheit aufgehoben wird? In diesem Sinne wird die Selbstbeherrschung Josephs gepriesen, weil er durch ver- nünftige Überlegung die Wollust niederkämpfte. Denn obgleich er noch jung war und in dem Alter stand, wo man sich nach geschlechtlichem Umgang sehnt, drängte er dennoch die aufwallende Leidenschaft zurück. Aber die Vernunft bezwingt offenbar nicht nur den heftigen Trieb zur Wollust, sondern sie herrscht auch — das wird man nicht verkennen — über jede andere Be- gierde. So heisst es ja im Gesetz: „Du sollst nicht be- gehren deines Nächsten Weib noch alles, was sein ist.“ Wenn nun das Gesetz uns nicht einmal erlaubt, zu be- gehren, wie viel mehr muss es uns dann die Über- zeugung beibringen, dass die Vernunft den Begierden halt gebieten kann wie auch den Leidenschaften, die der Gerechtigkeit im Wege stehen! Denn wie könnte ein an Alleinessen , Schwelgerei und Unmässigkeit im Trinken gewöhnter Mensch sich ändern, wenn die Vernunft nicht augenscheinlich Herrin über die Leidenschaften wäre ? Ebenso bezwingt ein treuer Anhänger des Gesetzes, mag er auch noch so geldgierig sein, den eigenen Charakter,, indem er den Dürftigen ohne Zins Darlehen giebt 2 und beim Eintritt des siebenten Jahres die Schuld- summe [erlässt. 3 Ferner beeinflusst das Gesetz mittels der Vernunft einen Geizhals, sodass er weder auf den abgeernteten Feldern noch in den Weinbergen Nachlese hält. 4 Und in den übrigen Verhältnissen des Lebens 1 Wer denkt hier nicht an Platos berühmtes Gleichnis von der Wagenlenkerin Vernunft, welche die feurigen Rosse — die ver- schiedenen Neigungen der Menschennatur — zusammen hält und zügelt? 2 2. Mos. 22, 24; 3. Mos. 26, 35—37 ; 5. Mos. 23, 20 f. 8 5. Mos. 15, 1 ff. 4 3. Mos. 19, 9f. Ueber die Makkabäer. 217 kann man gleichfalls sehen, wie die Vernunft über die Triebe erhaben ist. Das Gesetz nämlich herrscht auch über die Wertschätzung der £ltern, indem es die Tugend ihretwegen nicht preisgiebt, und steht höher als die Zu- neigung zur Gattin, indem es wegen einer Übertretung sie zurechtweist, und lenkt die Liebe zu den Kindern, 1 indem es für begangene Sünden sie bestraft, und ge- bietet nicht minder dem Verkehr der Freunde, indem es um ihrer Schlechtigkeit willen sie züchtigt. Haltet es übrigens nicht für widersinnig, dass die Vernunft durch Vermittlung des Gesetzes sogar die Feindschaft in mildere Bahnen lenkt: denn man soll die Nutzbäume der Feinde nicht abhauen, 2 das in Verlust geratene Eigentum der Gegner aufbewahren und ihre gefallenen Tiere wieder aufrichten. 3 Auch den stärkeren Affekten gegenüber, als da sind Herrschsucht, Ehrgeiz, Prahlerei, Anmassung und Neid, zeigt sich die Vernunft als Siegerin. Alle diese schlimmen Leidenschaften wendet der ver : ständige Geist zum Guten, verdrängt und bezwingt sie gleichwie den Zorn ; denn auch über diesen ist er Meister. So that Moyses, als er dem Dathan und Abiram grollte, in seinem Zorn nichts gegen die beiden, sondern be- schwichtigte seinen Grimm durch vernünftige Über- legung. 4 * Denn der verständige Geist besitzt, wie ich schon sagte, die Macht, den Leidenschaften die Spitze zu bieten und sie teils anderswohin zu lenken, teils zu unterdrücken. Weshalb denn sonst erhob unser hoch- weiser Vater Jakob gegen Simeon und Levi den Vor- wurf, dass sie ohne vernünftige Überlegung das ganze Volk der Sikimiten niedergemacht hätten, 6 indem er 6agte: „Verflucht sei ihr Zorn“? Wenn nämlich die Vernunft den Zorn nicht beherrschen könnte, würde er so nicht gesprochen haben. Als Gott den Menschen 1 5. Mos. 21, 18; Sprüche Sal. 13, 24; 19,18; 23, 13 f. ; 29, 15 ; 17. 2 5. Mos. 20, 19 f. 8 2. Mos. 23,2; 4; 5. 4 4. Mos. 16. 8 1. Mos. 49, 5— 7. 218 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. bildete und ihn mit Vernunft und freiem Willen schmückte, da pflanzte er ihm auch die Leidenschaften und Seelenstimmungen ein und setzte den Verstand als Herrscher über die inneren Sinneswerkzeuge auf den Thron. Auch gab er dem Verstand ein Gesetz, nach welchem dieser sein königliches Amt besonnen, gerecht, gütig und wacker versehen müsse. Warum aber, könnte jemand aufs neue ein werfen, hat die Vernunft, wenn sie Herrin über die Leidenschaften ist, nicht auch Gewalt über Vergesslichkeit und Un- wissenheit? Das ist, nochmals gesagt, eine überaus lächerliche Frage; denn die Vernunft beherrscht zweifellos nicht ihre eigenen Störungen, sondern die rein körper- lichen Affekte. So kann niemand die Begehrlichkeit in uns vernichten, aber dass wir der Begehrlichkeit nicht sklavisch unterthan sind, das zu bewirken ist die Ver- nunft imstande. Den Zorn kann niemand in unserer .Seele vernichten, aber dass wir nicht Knechte des Zornes sind, dazu vermag die Vernunft ihre Hilfe zu leihen. Die Bosheit kann niemand in uns vernichten, aber dass wir von der Bosheit nicht unterjocht werden, dazu kann die Vernunft als treue Mitstreiterin beitragen. Die Ver- nunft rottet eben die Leidenschaften nicht mit Stumpf und Stiel aus, sondern sie kämpft dieselben nieder. Das lässt sich recht klar an dem Durste des Königs David beweisen . 1 Den ganzen Tag über hatte David an der Spitze seines] Volk es die Feinde bekämpft und viele von ihnen getötet. Als es nun Abend geworden war, ging er schweissbedeckt und aufs äusserste ermattet zum königlichen Zelt, um welches das ganze Heer unserer Vorfahren sich gelagert hatte. Die anderen eilten sämt- lich zur Abendmahlzeit; der König aber mochte, obwohl es ihn sehr dürstete und eine Menge Quellen in der Nähe waren, seinen Durst aus diesen nicht stillen, sondern es ergriff ihn ein unsinniges Verlangen nach dem Wasser, das im feindlichen Lager floss, und dieses Verlangen 1 2. Sam. 28, 13—17. Ueber die Makkabäer. 219 dörrte ihn aus und verzehrte ihn sozusagen gänzlich. Weil nun die Leibwächter jammerten, dass der König Durst leiden müsse, warfen sich drei jugendliche und starke Krieger aus Ehrfurcht vor dem Wunsche ihres Königs in volle Waffenrüstung, ergriffen einen Krug und überstiegen die feindliche Verschanzung. Unbemerkt von den Wachtposten am Thor schlüpften sie hinein, spürten im ganzen Lager umher, fanden die Quelle und brachten voll Mut dem Könige daraus zu trinken. Aber obwohl David vor Durst brannte, bedachte er doch, wie überaus gefahrvoll es sei, den Geist glauben zu machen, ein Trunk habe denselben Wert wie Blut. Deshalb liess er der Begierde gegenüber die Vernunft zur Geltung kommen und spendete das Wasser Gott dem Herrn. Denn der vernünftige Geist ist, wie schon bemerkt, im- stande, den Zwang der Leidenschaften zu besiegen, die Flammen verzehrender Triebe zu löschen, die Schmerzen des Körpers, seien sie noch so stark, zu bemeistern und durch das edle Streben der Vernunft alle Herrschgelüste der Leidenschaften zu verachten. Nunmehr aber wird es Zeit für uns, das Beispiel zur Theorie von der Herr- schaft der Vernunft aufzustellen wie folgt. 4. Unsere Väter lebten wegen ihrer Treue gegen die Gesetz^ in tiefem Frieden und genossen einen guten Ruf, weshalb denn auch Seleukus Nikanor, 1 der König von Asien, ihnen Gelder für den Tempeldienst spendete und ihre Verfassung billigte. Dann aber suchten einige Umstürzler die allgemeine Eintracht zu stören und be- schworen vielfaches Unheil herauf. Ein gewisser Simon - nämlich war mit Onias, einem edlen und vortrefflichen Manne, der damals die Hohepriesterwürde auf Lebens- zeit besass, verfeindet, und da er ihm trotz aller erdenk- lichen Verleumdungen beim Volke nicht zu schaden vermochte, entfernte er sich heimlich, um das Vaterland 1 Muss heissen : Philopator. Als König von Asien wird er hier bezeichnet, weil das Reich der Seleukiden asiatische Länder umfasste. ’ Nach 2. Makk. 3, 4 Vorsteher des Tempels. 220 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. zu verraten. Er begab sich also zu Apollonius, dem Statt- halter von Syrien, Phoenicien und Cilicien , 1 und sprach zu ihm: „Aus Eifer für das Interesse des Königs bin ich gekommen, um anzuzeigen, dass viele Tausende an Privat- geldern, welche mit dem Tempel nichts gemein haben, in den Schatzkammern Jerusalems aufgehäuft liegen ; sie kommen doch eigentlich dem Könige Seleukus zu.“ Als Apollonius sich eingehend über die Sache unterrichtet hatte, lobte er den Simon wegen seiner Anhänglichkeit an den König; alsdann eilte er zu Seleukus und machte ihm von dem reichen Schatz Mitteilung. Der König erteilte ihm die nötige Vollmacht, und nun rückte er eiligst mit dem verwünschten Simon und einem gewaltigen Heere gegen unsere Vaterstadt heran . 2 Gleich nach seiner Ankunft erklärte er, er sei im Auftrag des Königs erschienen, um die in den Schatzkammern liegenden Privatgelder zu holen. Ob dieser Rede trauerte das Volk und wider- sprach dem Vorhaben; man hielt es für schrecklich, dass diejenigen, die ihre Ersparnisse dem heiligen Schatz 3 an vertraut hatten, deren beraubt werden sollten, und sträubte sich nach Möglichkeit. Apollonius aber betrat unter Drohungen das Heiligtum, während die Priester mit Weib und Kind im Tempel zu Gott flehten, er möge den geweihten Ort vor Schändung bewahren, ^.ls nun Apollonius mit bewaffneter Macht eindrang, um das Geld zu rauben , erschien vom Himmel her hoch zu zu Ross und mit blitzenden Waffen eine Engelschar, welche die Soldaten mit Furcht und Entsetzen erfüllte. Halb entseelt fiel Apollonius in dem für das Volk be- stimmten Vorhofe des Tempels zu Boden, breitete die Hände gen Himmel aus und beschwor die Hebräer 1 2. Makkabäer 8, 5 beisst es : Statthalter von Coelesyrien und Phoenicien. 2 Nach 2. Makk. 3 , 7 ff. war es nicht Apollonius, sondern der königliche Schatzmeister Heliodor, der nach Jerusalem zog, um die Gelder wegzunehmen. 8 Die Schatzkammern befanden sich im Tempel (s. Jüdischer Krieg V, 5, 2). Ueber die Makkabäer. 221 uuter Thränen, für ihn zu beten und das himmlische Heer zu besänftigen. Der Hohepriester Onias, den diese Worte rührten und der ausserdem besorgt war, König Seleukus möchte glauben, Apollonius sei nicht der gött- lichen Gerechtigkeit, sondern einem Angriff von mensch- licher Seite erlegen, betete denn auch für ihn . 1 So wurde Apollonius wider Erwarten gerettet und eilte von dannen, um dem König seine Erlebnisse zu berichten. Als nun Seleukus gestorben war, folgte ihm in der Regierung sein Sohn 2 Antiochus Epiphanes, ein sehr grausamer und übermütiger Mann, der dem Onias die Hohepriester- würde nahm und sie an dessen Bruder Jason übertrug, weil dieser versprochen hatte, ihm jährlich dreitausend- sechshundertundsechzig 3 Talente zu geben, wenn er ihm das Amt verleihen würde. Daraufhin machte Antiochus ihn zum Hohepriester und vertraute ihm auch die Leitung des Volkes an. Jason aber lenkte und verführte das Volk zu allerlei Ungesetzlichkeiten. So erbaute er nicht nur eine Ringschule gerade auf dem Burgfelsen 4 unserer Vaterstadt, sondern er schaffte auch die Besorgung des Heiligtums gänzlich ab. Darüber erzürnt, liess die gött- liche Gerechtigkeit den Antiochus als Feind gegen die Stadt anrücken. Als dieser nämlich in Aegypten mit Ptolemaeus Krieg führte, vernahm er, dass sich das Ge- rücht von seinem Tode verbreitet habe und wie sehr die Bewohner Jerusalems darüber erfreut seien. Sogleich brach er nun gegen sie auf, und nachdem er sie besiegt hatte, erliess er den Befehl, dass alle, die man bei der Befolgung des väterlichen Gesetzes ertappe, mit dem Tode bestraft werden sollten. Als er aber auf keine Weise die Gesetzestreue des Volkes zu brechen ver- mochte, vielmehr sehen musste, wie alle seine Drohungen und Strafen vergeblich waren und sogar Frauen dafür, 1 Vergl. hierzu 2. Makk. 3, 27 — 34, wo der Hergang etwas anders dargestellt ist. 2 Muss heissen : Bruder. u Nach 2. Makk. 4,8 f. nur 590. 4 Akra. 222 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. dass sie ihre Knäblein hatten beschneiden lassen, sich mitsamt den Kindern zerschmettern Hessen, obwohl ihr Schicksal ihnen klar vor Augen stand — als, sage ich, seine Befehle so vom Volke verachtet wurden, da zwang er selbst durch Anwendung der Folter jeden einzelnen, unreine Speisen zu kosten und das Judentum abzu- schwören. &. So nahm denn der Tyrann Antiochus nebst seinen Beisitzern auf einer Erhöhung Platz, rings umgeben von seinen bewaffneten Schergen, und befahl diesen, einen Hebräer nach dem anderen herbeizuschleppen und sie zu nötigen, Fleisch von Schweinen und solchen Tieren, die den Götzen geopfert waren, zu essen ; wer sich weigere, Unreines zu gemessen, der solle auf dem Rad gefoltert und getötet werden. Nachdem nun schon viele aus der Menge herangeschleppt waren, führte man vor den König einen Mann mit Namen Eleazar, der aus priesterlichem Geschlecht stammte, von Beruf Schriftgelehrter war und bereits in hohem Alter stand ; wegen der letzteren Eigen- schaft kannten ihn viele aus der Umgebung des Tyrannen. Bei seinem Anblick sagte Antiochus : „Bevor ich mit den Foltern gegen dich beginne, alter Mann, will ich dir raten, vom Schweinefleisch zu kosten und dich dadurch zu retten. Ich habe Scheu vor deinem Alter und deinen grauen Haaren; freilich scheinst du mir trotz dieser grauen Haare nicht verständig geworden zu sein, da du dem Aberglauben der Juden noch anhängst. Denn weshalb sträubst du dich, von dem Fleische dieses Tieres zu essen, das die Natur uns als überaus wohlschmeckende Nahrung geschenkt hat? Es ist ja widersinnig, sich der Genüsse zu enthalten, die von jeder Schande frei sind, und unrecht, die Gaben der Natur zurückzuweisen. Und noch viel unvernünftiger handelst du meines Erachtens, wenn du auf Grund einer eingebildeten Ansicht von der Wahrheit auch noch meine Person geringschätzest und dir dadurch Strafe zuziehst. Willst du nicht erwachen aus dem Schlaf, in den eure Weisheitslehre dich ver- senkt hat, das Thörichte deiner Ansichten verbannen, Ueber die Makkabäer. 223 e ine deinem Alter ziemende Verständigkeit annehmen, einer Wahrheit huldigen, die dir nur von Nutzen sein kann, und zum Dank für mein freundliches Zureden Mitleid mit deinem Greisenalter haben ? Bedenke ferner, dass, wenn es wirklich eine Macht giebt, die euren Aberglauben schirmt, sie dir wohl jede durch Gewalt erzwungene Gesetzesübertretung verzeihen wird." Wäh- rend der Tyrann dem Eleazar auf solche Weise das gesetzwidrige Mahl aufzudrängen versuchte, erbat dieser sich das Wort und begann, als er die Erlaubnis zu sprechen erhalten hatte, mit lauter Stimme folgender- massen zu reden : „Wir, Antiochus, die wir das göttliche Gesetz in all unserem Thun befolgen, hegen die Meinung, kein Zwang könne so stark sein, dass wir dem Gesetz den Gehorsam versagen müssten. Deshalb glauben wir ihm in keinem Punkte entgegenhandeln zu sollen. Ja, selbst wenn unser Gesetz, wie du annimmst, nicht in Wahrheit von Gott herstammte, von uns aber für gött- lich gehalten würde, so dürften wir auch dann unsere Ansicht in betreff der Gottesverehrung nicht aufgeben. Denke nur nicht, es sei eine kleine Sünde, wenn wir Unreines essen. Denn es ist ganz gleich, oh man in kleinen oder in grossen Dingen gegen das Gesetz verstösst; wird es doch in beiden Fällen auf die nämliche Weise mit Füssen getreten ! Du verspottest unsere Philosophie, als wäre es ein Zeichen von Thorheit, dass wir unser Leben danach einrichten. Aber sie lehrt uns Mässig- keit, sodass wir alle Lüste und Begierden unterdrücken, übt uns in Tapferkeit, sodass wir jede Mühsal gern er- tragen, und unterweist uns in Gerechtigkeit und Frömmig- keit, sodass wir nur den wahren Gott und zwar mit ge- bührender Pracht verehren. Darum gemessen wir nichts Unreines. Denn eben weil wir fest glauben, Gott selbst habe das Gesetz aufgestellt, sind wir auch überzeugt, dass der Gesetzgeber unserer Natur entsprechend ver- fahren ist In diesem Sinne hat der Urheber des Gesetzes uns gestattet, das unserer körperlichen Eigenart Zuträg- liche zu verspeisen, hingegen verboten, von dem Fleische 224 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. zu essen, das ihr widersteht. Es entspricht nun ganz dem Gebaren eines Tyrannen, uns nicht nur zur Ge- setzesübertretung im allgemeinen, sondern auch zur Miss- achtung des Speiseverbotes zwingen zu wollen ; du würdest uns ja weidlich auslachen, wenn wir die uns so verhasste unreine Nahrung verzehrten. Doch du wirst, was meine Person betrifft, ein solches Gelächter nicht erheben, auch nicht — das versichere ich dir bei dem heiligen Schwur unserer Vorfahren, dem Gesetz die Treue zu halten — , wenn du mir die Augen ausstechen und die Eingeweide rösten liessest. Ich bin nicht so alt und schwächlich, dass mir nicht um der Frömmigkeit willen die Vernunft wieder verjüngt würde. Lass also, was das anbetrifft, nur die Räder bereitstellen und das Feuer noch stärker entfachen; ich habe nicht soviel Mitleid mit meinem Alter, dass ich deshalb das väterliche Gesetz für un- giltig erklären möchte. Nein, ich werde dich nicht ver- leugnen, weise belehrendes Gesetz, nicht dich abschwören, teure Enthaltsamkeit, nicht dich entehren, nach Erkenntnis ringende Vernunft, nicht dir entsagen, geliebtes Priester- tum, noch dir, Gesetzeskunde; und nicht beflecken wird dieser Mund mein ehrwürdiges Alter und die letzten Tage eines gottesfürchtigen Lebens. Rein sollen mich die Väter aufnehmen, wenn ich furchtlos deinen Martern bis zum Tode getrotzt habe. Du wirst allerdings in deiner Ruchlosigkeit mich quälen; meine religiöse Über- zeugung aber kannst du weder durch Worte noch durch thätliches Vorgehen erschüttern!“ 6. Ah Eleazar in solcher Weise die' Aufforderung des Tyrannen beantwortet hatte, rissen ihn die um- stehenden Soldaten mit roher Gewalt zu den Folter- werkzeugen. Zunächst entkleideten sie den Greis, der aber aufs reichste geschmückt blieb durch den Glanz seiner Frömmigkeit; dann banden sie ihm die Hände auf dem Rücken zusammen und marterten ihn mit Geisselhieben , während vom anderen Ende des Platzes ein Herold rief: „Gehorche den Befehlen des Königs!“ Der hochherzige und wahrhaft edle Eleazar indes gab, Ueber die Makkabäer. 225 als wäre die Folterung für ihn nur ein Traum, nicht im mindesten nach, sondern er wandte die Augen hoch gen Himmel und liess als altersschwacher Greis sein Fleisch von den Hieben zerreissen. Blutüberströmt und mit Wunden bedeckt sank er schliesslich zu Boden, weil sein Körper die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte; aber auch da noch blieb sein Geist standhaft und ungebeugt. Einer von den grausamen Kriegsknechten sprang nun gegen seine Weichen an und trat ihn mit dem Fuss, damit er sich von seinem Fall erhöbe. Eleazar aber verachtete die Schmerzen, die ihm der Tritt verursachte, spottete der Gewalt, harrte in seinen Qualen aus und triumphierte ungeachtet seines hohen Alters gleich einem tüchtigen Ringkämpfer über seine Peiniger, indem er, während der Schweiss ihm vom Antlitz rann und seine Brust sich keuchend hob, in seiner Seelenstärke sogar bei den Henkern Bewunderung erregte. Deshalb gingen einige aus der Umgebung des Königs teils aus Erbarmen mit seinem Alter, teils aus Mitleid für ihn, da sie ihn von früher her kannten, teils aus Achtung vor seinem Starkmut zu ihm und sprachen: „Weshalb stürzest du dich thörichterweise selbst in dieses Leid, Eleazar? Wir wollen dir von dem gesottenen Fleisch vorsetzen, und dann kannst du dich ja anstellen, als ob du Schweine- fleisch ässest, und dich so retten.“ Der Greis aber, den dieser Rat erst recht grausam zu peinigen schien, rief mit lauter Stimme: „Fern sei es, dass wir Söhne Abra- hams so schimpflich denken und aus Zaghaftigkeit eine That erheucheln, die uns nicht ziemt. Auch wäre es ja unvernünftig, wenn wir, die wir bis zur Schwelle des Greisenalters der Wahrheit gefolgt sind und den hieraus entspringenden Glauben als treue Anhänger des Gesetzes bewahrt haben, jetzt noch die Gesinnung wechselten und mit unseren grauen Haaren der Jugend das Urbild der Gottlosigkeit vorführten. Auf diese Weise würden wir ein Beispiel für die Übertretung der Speiseverbote geben und, abgesehen davon, dass wir den Rest unserer Tage in Schimpf und Schande verleben müssten, auch noch Josephua, Kleinere Schriften. 15 Go gle 226 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. wegen unserer Feigheit von allen verhöhnt, von dem Tyrannen aber als Schwächlinge verachtet werden. Unser göttliches Gesetz bis in den Tod zu schirmen, wäre uns dann versagt, während hingegen ihr als echte Söhne Abrahams mit edlem Sinn für eure Religion sterben könntet. Doch was zögert ihr, Söldner des Tyrannen?“ Als sie ihn nun den Martern gegenüber so standhaft sahen und sich überzeugen mussten, dass er selbst durch ihr Mitleid sich nicht zur Sinnesänderung bewegen liess, schleppten sie ihn über das Feuer, warfen ihn hinein, brannten ihn mit grässlichen Werkzeugen und gossen ihm übelriechende Flüssigkeiten in die Nase. Er aber, schon bis auf die Knochen versengt und im Begriff, den Geist aufzugeben, richtete die Augen zu Gott empor und betete: „Du weisst, o Gott, dass ich, obwohl Rettung mir möglich war, den qualvollen Feuertod für das Gesetz erleide. Deshalb sei deinem Volke gnädig, lass, indem du dich zu ihren Gunsten mit unserer Strafe begnügst, mein Blut zum Sühnmittel für sie werden und nimm statt ihrer Seelen die meinige an!“ Mit diesen Worten starb der heilige Mann voll Heldenmut an den Martern und widerstand allen Qualen bis zum Tode durch die Ver-*^ nunft um des Gesetzes willen. Geht daraus nicht klar hervor, dass die fromme Vernunft Herrin über die Triebe ist? Denn hätten diese sich der Vernunft überlegen gezeigt, so wäre ihnen von mir das Zeugnis der Herr- schaft erteilt worden. Da aber im vorliegenden Falle die Vernunft die Oberhand behalten hat, so müssen wir ihr billigerweise die Fähigkeit, zu regieren, einräumen. Auch sind wir, um nicht der Lächerlichkeit zu verfallen, genötigt zuzugeben, dass sie die Kraft hierzu besitzt, da sie ja die von aussen kommenden Schmerzen be- zwingt. Sie herrscht aber, wie ich gezeigt habe, nicht allein über die Schmerzen, sondern auch über die Ge- lüste, denen sie in keiner Hinsicht nachgiebt. 7. Wie ein vortrefflicher Steuermann nämlich lenkte die Vernunft unseres Vaters Eleazar das Schiff der Frömmigkeit in dem Meer der Triebe, und obwohl er Go gle Ueber die Makkabäer. 227 von den Wogen der Martern überflutet, d. h. den Droh- ungen des Tyrannen entsprechend gepeinigt wurde, wandte er keineswegs das Steuer der Frömmigkeit, bis er in den Hafen des ewigen Sieges eingelaufen war. Niemals widerstand eine mit vielen und mannigfaltigen Maschinen belagerte Stadt so wie der hochheilige Eleazar, der, während Qualen und Folterwerkzeuge seinen makel- losen Geist bedrängten, seine Peiniger durch die Ver- nunft, die Beschützerin der Frömmigkeit, besiegte. Wie einen vorspringenden Felsen stellte Vater Eleazar seine Gesinnung hin und zerteilte so die Wogen der Triebe. O du deines Amtes würdiger Priester, nicht entweihtest du deine unbefleckten Zähne, nicht den an rituelle Speise gewöhnten Leib durch Verzehren unreiner Nahrung ! Treuer Befolger des Gesetzes, weisheits voller Jünger des gött- lichen Wortes, wahres Vorbild aller, die das Gesetz mit dem eigenen Blute heiligen und durch ihren in den tödlichsten Martern vergossenen edlen Schweiss beschirmen wollen! Du, Vater, hast durch deine Standhaftigkeit unsere Ge- setzestreue ruhmvoll bezeugt, durch deine erhabene Rede die heiligen Bräuche vor dem Verfall bewahrt, durch deine Thaten die Worte der göttlichen Weisheit be- kräftigt, du Greis, stärker als Foltern, machtvoller als Flammenglut, Eleazar, grösster Bezwinger der Leiden- schaften! Denn wie der Vater Aaron, bewaffnet mit dem Rauchfass, durch das mörderische Feuer schritt und den flammenden Engel 1 besiegte, so ist Aarons Nach- komme Eleazar trotz des ihn verzehrenden Feuers seinen vernünftigen Entschliessungen nicht untreu geworden. Und was das wunderbarste ist: er, der Greis, dessen körperliche Kraft schon gebrochen, dessen Muskeln ge- lähmt, dessen Sehnen geschwächt waren, wurde durch die Vernunft dem Geiste nach wieder jung. O glück- seliges Greisenalter, ehrwürdiges Silberhaar, Leben 1 Bezieht sich auf 4. Mos. 16, 46—48. Die dort erwähnte Seuche ist hier als das Werk eines Glutengels aufgefasst. Vergl. Tract. Sabbath 89, 1. Go gle 228 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. voll Gesetzestreue, dem der Glaube das Todessiegel auf- drückte ! Steht es nun fest, dass dieser altersschwache Mann die tödlichen Qualen aus Frömmigkeit verachtete, so ist zweifellos die fromme Vernunft Beherrscherin der Triebe. Man könnte freilich ein werfen: Nicht alle bezwingen die Leidenschaften, weil nicht alle eine scharf überlegende Vernunft besitzen. Aber so viele der Frömmigkeit zu- gethan sind , die streben aus ganzem Herzen nach ein- sichtsvoller Vernunft, und nur sie allein können über die Triebe des Fleisches Gewalt haben. Dem scheint mir nun die Schwäche der Vernunft nicht im Wege zu stehen. Denn wenn jemand sein ganzes Denken nacb den Vorschriften der Philosophie einrichtet, wenn er auf Gott vertraut, wenn er überzeugt ist, man könne nur dadurch glückselig werden, dass man um der Tugend willen jede Drangsal erträgt — sollte die Gottesfurcht eines solchen Menschen nicht über alle Leidenschaften triumphieren? Ja, der Weise allein ist mutig, der Weise allein Herr seiner Triebe! 8. Aus diesem Grunde haben selbst knabenhafte Jüng- linge, die den Eingebungen frommer Vernunft folgten, noch schwerere Martern überwunden. Als nämlich der Tyrann bei seinem ersten Versuch so offenkundig unter- legen war, da er einen Greis nicht zwingen konnte, ver- botene Speise zu gemessen, befahl er in heftigem Zorn, andere aus der gefangenen Hebräerschar vorzuführen; wenn sie unreine Nahrung zu sich nähmen, sollten sie frei ausgehen, im Falle der Weigerung aber grausam ge- foltert werden. Auf diesen Befehl des Tyrannen wurden mit ihrer alten Mutter sieben Brüder herangebracht, schöne, bescheidene, edle, gottesfürchtige und in jeder Hinsicht liebenswürdige Menschen. Kaum hatte der Tyrann sie erblickt, wie sie gleichsam als Chor 1 die 1 Das Bild ist hergenommen aus der griechischen Tragödie, iu der der Chor (12 — 24 Säuger) uuter einstimmigem Gesang seuten- tiösen Inhalts gemessene Tänze auf der Orchestra aufluhrte. Ueber die Makkabäer. 229 Mutter umgaben, als er aus Gefallen an ihnen und von ihrem edlen Anstand betroffen ihnen zulächelte, sie näher heranrief und sprach: „Ihr Jünglinge, freundlich be- wundere ich die Schönheit eines jeden von euch, und da ich eine solche Brüderschar gar hoch schätze, so wider- rate ich euch nicht nur, das wütende Benehmen des eben gefolterten Greises nachzuahmen , sondern lade euch auch ein, meine Freundschaft zu gemessen, wenn ihr meinen Rat befolgt habt. Denn wie ich die, welche meinen Befehlen nicht gehorchen, zur Strafe ziehen kann, so vermag ich anderseits denen wohlzuthun, die sich meinem Willen fugen. Erfüllt ihr nun mein Gebot, so sollt ihr Würden und Befehlshaberstellen in meinem Reiche erhalten und eurer Jugend froh werden, nach- dem ihr euch aus den ererbten Fesseln eurer Satzungen losgemacht und griechische Lebensart angenommen habt. Erregt ihr aber durch Ungehorsam meinen Zorn, so werdet ihr mich nötigen, schreckliche Strafen zu ver- hängen und jeden einzelnen von euch auf der Folter sterben zu lassen. Habt also Mitleid mit euch selbst, da auch ich, obwohl euer Feind, um eurer Jugend und schönen Gestalt willen mich euer erbarme, und bedenket wohl, dass euch im Falle der Gehorsamsverweigerung nichts als ein qualvoller Tod bevorsteht.“ Nach diesen Worten liess er die Folterwerkzeuge vor ihnen aufstellen, damit auch die Furcht vor diesen sie veranlassen möchte, Unreines zu verzehren. Als nun die Räder, eisernen Hände, Gliederverrenker, Schraubstöcke, Schindwerk- zeuge, die Schwingen, Ressel, Pfannen, Fingerschrauben und Keile sowie die Blasebälge zum Entfachen des Feuers von den Kriegsknechten herbeigeschleppt waren, erhob der Tyrann abermals seine Stimme und sprach : „Fürchtet euch, ihr Knaben 1 Das gerechte Wesen, dem ihr eure Verehrung darbringt, wird euch übrigens die erzwungene Missachtung des Gesetzes gnädig nachsehen “ Sie aber waren, als sie die schmeichelnden Worte vernahmen und die grässlichen Werkzeuge sahen, so weit entfernt, in Schrecken zu geraten, dass sie sogar dem Tyrannen 230 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. widersprachen und durch edle Beredsamkeit auf sein grausames Gemüt einzu wirken suchten. Wären nun Feiglinge und Verzagte unter ihnen gewesen, welcher Worte, meint ihr, hätten sie sich wohl bedient? Sicher- lich würden sie dann gesprochen haben wie folgt: „Ach, was sind wir unglücklich und überaus thöricht zugleich ! Der König ermahnt uns ja und sichert uns Wohlthaten zu für den Fall, dass wir ihm gehorchen. Warum also gefallen wir uns in eitlen Ratschlüssen und wagen den todbringenden Ungehorsam? Wollen wir uns nicht viel- mehr, liebe Brüder* vor den Marterwerkzeugen ängstigen, die Schrecken der Folterung bedenken, den leeren Ruhm, der daraus entspringt, und die verderbliche Prahlerei .fliehen? Lasst uns Mitleid haben mit unserem Jüng- lingsalter, Erbarmen mit den grauen Haaren unserer Mutter, und beherzigen wir, dass der Ungehorsam uns .den Tod bringen muss, dass aber anderseits die göttliche Gerechtigkeit uns verzeihen wird, wenn wir in anbetracht •unserer Zwangslage den König fürchten. Weshalb .wollen wir dem freudevollen, Leben entsagen und auf die Süssigkeit der Welt verzichten? Übrigens verurteilt das Gesetz selbst uns nicht wegen der Handlungen zum Tode, die wir gegen unseren Willen, aus Furcht vor den Martern begehen. Woher denn kommt uns solcher Wider- spruchsgeist, und warum haben wir Vergnügen an einer Halsstarrigkeit, die uns dem Tod in die Arme werfen wird, da, wir doch unbehelligt leben können, wenn wir des Königs Willen thun?“ £.ber nichts von alledem Hessen die der Folterung harrenden Jünglinge verlauten, ja sie dachten nicht einmal daran; denn sie schätzten die Triebe gering und bemeisterten die Schmerzen. Deshalb sprachen sie, sowie der Tyrann auf hörte, ihnen den Genuss unreiner Speise anzuraten, als hätten sie alle zusammen nur eine Seele, einstimmig zu ihm: 9. „Was zauderst du, Tyrann? Handle, wie es dir beliebt! Denn wir sind bereit, eher zu sterben, als unseren väterlichen Satzungen untreu zu werden. Wir hätten uns auch mit Recht vor unseren Ahnen zu schämen, Ueber die Makkabäer. 231 wenn wir dem Gesetze nicht vollauf gehorchten und den Rat des Moyses verschmähten. Mute uns also keine Gesetzesübertretung zu, und da du uns hassest, so hege kein grösseres Mitleid mit uns als wir selbst. Härter wie der Tod kommt uns ja dein Erbarmen .vor, das uns zum Zwecke unserer Rettung das Gesetz missachten lassen will. Du suchst uns dadurch zu erschrecken, dass du uns mit dem Martertode drohst, als ob du soeben von Eleazar nichts gelernt hättest. Wenn aber unter den Hebräern die Greise so gottesfürchtig sind, dass sie um der Religion willen selbst vor Foltern nicht zurückbeben, wie viel mehr ziemt es da uns Jüng- lingen, unter Verachtung deiner Straf- und Zwangs- mittel zu sterben, denen sogar unser greiser Lehrer Eleazar getrotzt hat! Stelle uns also auf die Probe, Tyrann, und glaube nicht, dass, wenn du uns wegen unserer Frömmigkeit zu Tode peinigst, deine Martern unseren Seelen etwas schaden könnten. Denn wir werden durch standhaftes Ertragen dieser Qualen die der Tugend ver- heissenen Belohnungen erlangen und bei Gott sein, um dessetwillen wir ja leiden; du aber wirst für den an uns begangenen grausamen Mord von der göttlichen Gerechtigkeit zur verdienten ewigen Strafe gezogen werden.“ Als sie so sprachen, geriet der Tyrann nicht nur wegen ihres Ungehorsams in Erbitterung gegen sie, sondern zürnte ihnen auch ob ihrer Unglücksprophe- zeiung. Auf seinen Befehl führten nun die Schergen sogleich den ältesten der Jünglinge herbei, zerrissen ihm die Kleider und banden ihm die Hände und Arme mit Riemen zusammen. Dann geisselten sie ihn, und als sie des Schlagens überdrüssig waren und nichts ausgerichtet hatten, warfen sie den edlen Jüngling aufs Rad, streckten ihn hier aus und verrenkten ihm den ganzen Körper. An allen Gliedern zerbrochen, stiess er die Verwünschung aus: „Verruchtester Tyrann, Feind der himmlischen Gerechtigkeit, herzloser Wüterich, nicht weil ich jemand getötet oder gegen Gott gefrevelt habe, marterst du mich so, sondern weil ich das göttliche Gesetz beschirmte.“ 232 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. Und als die Soldaten zu ihm sagten: „Entschliesse dich, zu essen, damit du von der Folter erlöst wirst", ant- wortete er: „Euer Rad, elende Knechte, ist nicht stark genug, meine Vernunft zu ertöten. Zerschneidet mir die Glieder, verbrennt mir das Fleisch, zerreisst mir die Gelenke! An allen diesen Martern werde ich euch zeigen, dass nur die Söhne der Hebräer im Kampfe für die Tugend unbesiegbar sind!" Als er so sprach, zün- deten sie Feuer unter ihm an und drückten das Rad noch stärker zu Boden, sodass es über und über mit Blut befleckt wurde, während die rieselnde Lymphe den Haufen glühender Kohlen auslöschte und über die Speichen des Marterwerkzeuges die Fleischstücke herab- fielen. Aber obgleich dem hochherzigen und seines Vaters Abraham würdigen Jüngling schon die Bänder der Knochen zerschnitten waren, seufzte er nicht, sondern hielt, als ob die Flammen ihn gegen den Untergang gefeit hätten, tapfern Gemütes die Martern aus. „Be- nehmt euch wie ich, Brüder,“ rief er, „verlasset mich nicht in alle Ewigkeit, verleugnet nicht eure Verwandt- schaft mit mir, dem Standhaften. Kämpfet den heiligen und edlen Kampf für die Frömmigkeit, durch welche die gerechte und bereits bei unsern Vätern wirksame Vorsehung veranlasst wird, uns gnädig zu sein und den schändlichen. Tyrannen zu bestrafen.“ Mit diesen Worten hauchte der heilige Jüngling seinen Geist aus. Während man nun allseitig seine Seelenstärke bewunderte, führten die Schergen den Nächstjüngeren vor, legten ihm die eisernen Hände an und befestigten ihn mit scharfen Nägeln an der Schwinge. Und als die wilden Panther auf die vorder Folterung an ihn gerichtete Frage, ob er essen wolle, die gebührende Antwort erhalten hatten, zogen sie die eisernen Hände an und rissen ihm von den Nackenmuskeln bis zum Kinn .das ganze Fleisch und die Kopfhaut ab. Er aber ertrug diesen Schmerz wacker und sprach : „Wie süss ist doch jegliche Todesart für unsere angestammte Frömmigkeit! Glaubst du nicht, grausamster aller Tyrannen, dass du jetzt stärker ge- Ueber die Makkabäer. 233 peinigt wirst als ich, da du sehen musst, wie die hoch- mütigen Pläne deiner Tyrannei durch die Standhaftig- keit, die wir unserer Religion zulieb an den Tag legen, vereitelt werden? Denn was mich betrifft, so fühle ich meine Leiden durch die der Tugend eigenen Freuden gemildert; du hingegen bist mitten in deinen gottlosen Drohungen gefoltert, abscheulichster Tyrann, wie du auch der Strafe, die Gottes Zorn über dich verhängt, nicht entgehen wirst." 10. Als auch dieser den ruhmvollen Tod erlitten hatte, schleppte man den Dritten heran, der von vielen ein- dringlich ermahnt wurde, zu essen und sich zu retten. Er aber entgegnete ihnen: „Wisset ihr nicht, dass mich derselbe Vater zeugte, dieselbe Mutter gebar wie die eben Gestorbenen, und dass wir im selben Glauben er- zogen sind? Ich werde mich nicht weigern, die edle Zusammengehörigkeit mit meinen Brüdern zu bekennen." Die Henker jedoch vernahmen die Worte des Jünglings mit Unwillen, banden ihm Hände und Füsse auf die gliederverrenkenden Maschinen und rissen sie ausein- ander, indem sie die Knochen aus den Gelenken hoben ; so zerbrachen sie ihm Finger, Arme, Schenkel und Ell- bogen. Als sie ihn nun auf keine Weise einzuschüchtern vermochten, quälten sie ihn dadurch, dass sie ihm die Haut samt den Spitzen der Finger abzogen. Dann legten sie ihn aufs Rad und zerstückelten ihn von den Halswirbeln an, sodass er sein eigenes Fleisch zerfetzt und an den Eingeweiden die Blutstropfen herabfliessen sah. Im Begriff zu sterben aber rief er aus: „Wir, ent- setzlicher Tyrann, ertragen diese Leiden um des gött- lichen Gebotes und der Tugend willen ; du aber wirst für deine Gottlosigkeit und Mordsucht unaufhörliche Qualen erdulden müssen." Würdig seiner Brüder, gab er sodann den Geist auf, und nun zogen sie den Vierten herbei mit den Worten: „Geberde nicht auch du dich so rasend wie deine Brüder.“ Er aber antwortete ihnen: „Das Feuer, das ihr gegen mich zur Anwendung bringen wollt, brennt nicht so gewaltig, dass es mich feige machen 234 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. könnte. Bei dem glückseligen Tode meiner Brüder, bei dem ewigen Verderben des Tyrannen, bei dem rühm- lichen Leben der Frommen : ich will die Verwandtschaft mit den Braven nicht verleugnen. Ersinne Martern, Tyrann, damit du auch durch sie erfahrest, dass ich ein Bruder der soeben Gepeinigten bin.“ Als dies der mord- gierige, durch und durch ruchlose Bluthund Antiochus vernahm, befahl er, ihm die Zunge auszuschneiden. Der Jüngling aber sprach : „ Und wenn du mir das Werk- zeug der Sprache raubst, Gott erhört auch die Stummen. Sieh, ich strecke die Zunge vor; schneidet sie ab! Unsere Vernunft wirst du ja damit nicht verstummen machen. Mit Freuden lassen wir uns für das Gesetz Gottes die Glieder des Körpers verstümmeln; dich aber wird binnen kurzem Gott der Herr heimsuchen, weil du die Zunge ausschneidest, die ihm Lohlieder sang.“ 11. Kaum war auch er an den Martern gestorben, als der Fünfte heraneilte und ausrief: „Ohne Zögern unterwerfe ich mich der Folter, die du, Tyrann , um der Tugend willen über uns verhängst. Freiwillig trat ich vor, damit du, wenn auch ich deiner Hand erlegen bin, der himmlischen Gerechtigkeit um so zahlreichere Frevel * zu büssen hast. Du Menschenfeind und Tugendhasser, weshalb wütest du so gegen uns? Etwa weil wir den Schöpfer des Weltalls verehren und nach seinem vor- trefflichen Gesetze leben? Aber dafür kommen uns Be- lohnungen, nicht Strafen zu!“ Als er so gesprochen, fesselten ihn die Kriegsknechte und schleppten ihn zur Schwinge. Hier banden sie ihn auf die Knie nieder, zwängten diese in eiserne Fussfesseln und bogen seine Hüften über einen radformigen Keil zurück. Da er nun hierum ganz wie ein Skorpion um ein Rad gekrümmt war, zerbarsten ihm die Glieder. Aber obgleich ihm auf diese Weise der Atem benommen wurde und er zu er- sticken drohte, brachte er noch die Worte hervor: „Gegen deinen Willen, Tyrann, erzeigst du uns einen grossen Gefallen, indem du uns in den Stand setzest* durch edle Schmerzen unsere Anhänglichkeit an das Ueber dio Makkabäer. 235 Gesetz darzuthun.“ Alsdann verschied er, und nun ward der sechste Knabe vorgeführt. Dieser entgegnete auf die Frage des Tyrannen, ob er essen und frei sein wolle, folgendermassen : „An Jahren bin ich jünger als meine Brüder, doch der Gesinnung nach ebenso alt wie sie. Zu gleichem Thun geboren und erzogen, müssen wir für die gemeinsamen Zwecke auch in gleicher Weise sterben. Gefällt es dir also, mich zu foltern, wenn ich die ver- botene Speise nicht geniesse, gut, so foltere mich!“ Nach diesen Worten wurde er aufs Rad geschleppt und, nachdem ihm dort die Glieder ausgerenkt und die Wirbel zerbrochen waren, langsam verbrannt. Die Schergen nämlich machten scharfe Spiesse glühend, brachten sie an seinen Rücken, durchbohrten ihm die Seiten und ver- sengten seine Eingeweide. Er aber rief trotz seiner Qualen aus: „O heiliger Wettkampf, zu dem unsere Brüderschar berufen wurde, um für den Glauben die Folter zu bestehen, und in dem wir nicht unterlegen sind! Denn unbesiegt, Tyrann, ist die fromme Lehre. Mit der Tugend bewehrt, will ich wie meine Brüder sterben; du aber, Tyrann, rufst selbst einen gewaltigen Rächer gegen dich auf. Du Schöpfer von Foltern, Feind aller wahrhaft frommen Menschen, wir sechs schwache Knaben sind deiner Tyrannei Meister geworden! Denn dass du unsere Vernunft nicht beugen und uns nicht zum Verzehren unreiner Speise zwingen konntest, ist das nicht gleichbedeutend mit deiner Niederlage? Deine Flammen waren kühl für uns, deine Marterwerkzeuge schmerzlos, deine Gewalt ohne Kraft! Uns stehen ja nicht die Schwertträger eines Tyrannen, sondern die des göttlichen Gesetzes zur Seite, und deshalb ist unsere -Vernunft unüberwindlich.“ 12. Als er hierauf in einen Kessel geschleudert und selig entschlafen war, trat auch der Siebente, der jüngste von allen, vor. Mit ihm fühlte der Tyrann Mitleid, und obwohl er von den anderen Brüdern schwer beleidigt worden war, liess er ihn, als er bemerkte, wie man ihm schon die Fesseln anlegte, näher kommen und versuchte 2o6 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. ihm folgen dermassen zuzureden: „Du siehst das Ende deiner thörichten Brüder ; denn wegen ihres Ungehorsams sind sie zu Tode gemartert worden. Auch du wirst, wenn du dich widerspenstig benimmst, schrecklich ge- foltert werden und vorzeitig sterben. Gehorchst du aber, so sollst du mein Freund sein und an der Leitung des Reiches teilnehmen.“ Während dieser Ermahnungen winkte er die Mutter des Knaben heran, um sie da- durch, dass er ihr sein Mitleid wegen des Verlustes so vieler Söhne bezeugte, zu veranlassen, den Übrig- gebliebenen zum Gehorsam zu bewegen und ihn so zu retten. Nachdem aber die Mutter, wie ich gleich er- zählen werde, ihm in hebräischer Sprache zugeredet hatte, rief er: „Bindet mich los, ich habe dem König und allen seinen anwesenden Freunden etwas zu sagen.“ Antiochus und seine Umgebung, aufs höchste erfreut über die Ankündigung des Knaben, Hessen ihm schnell die Fesseln abnehmen. Er aber eilte zu den Pfannen, trat ganz nahe an sie heran und sprach: „Du ruchloser Tyrann, schändlichster aller Bösewichte, scheust du dich nicht, nachdem du Reichtum und Herrschaft von Gott empfangen, dessen Diener zu töten und die frommen Bekenner zu martern? Dafür straft dich die göttliche Gerechtigkeit mit viel heftiger und ununterbrochen brennendem Feuer 1 und mit Foltern, die dich in alle Ewigkeit nicht lassen werden. Trugst du, wütende Bestie, kein Bedenken, Wesen von gleichen Gefühlen, aus den- selben Stoffen gebildet, der Zunge zu berauben und, nachdem du sie verstümmelt, zu Tode zu quälen? Sie freilich sterben in edler Erfüllung ihrer religiösen Pflichten ; du aber, Elender, wirst jämmerlich klagen, weil du die Streiter der Tugend ohne Grund gemordet hast „Des- halb,“ fuhr er fort, „will auch ich jetzt sterben und hinter der V^rtrefflichkeit meiner Brüder nicht feige zurückstehen. Zugleich aber rufe ich den Gott der 1 Vergl. hierzu die Tftlmudstellen : Ros-hasanah 17,1; Shnhedrin DO, 2; Sabbath 113,2. l’eber die Makkabäer. 237 Väter an, dass er unserm Volke gnädig sein, dich hin- gegen in deinem irdischen Leben sowohl als nach dem Tode bestrafen möge.“ Nachdem er dieses Gebet ge- sprochen, stürzte er sich selbst in die Pfannen und gab so den Geist auf. 13. Haben nun die sieben Brüder in der That den grausamsten Schmerzen bis zum Tode getrotzt, so ist dadurch völlig bewiesen, dass die fromme Vernunft über die Triebe herrscht. Denn ebenso wie wir uns zu dem Geständnis bequemen müssten, dass die Jünglinge ihren Trieben unterlegen wären , wenn sie ihnen nachgegeben und Unreines verzehrt hätten , ebenso müssen wir jetzt, da dies nicht der Fall ist, sondern sie durch ihr ver- nünftiges, Gott wohlgefälliges Handeln die Triebe unter- drückten und die Herrschaft des Geistes daran erkennen liessen, dass er über Leidenschaften und Qualen trium- phierte, zugestehen, dass die Vernunft solcher Menschen, die selbst durch Feuersglut nicht erschüttert wurden, über die Triebe erhaben war. Wie nämlich Bollwerke, die den Häfen vorgebaut sind, den drohenden Anprall der Wogen Zurückschlagen und den in die Rhede Ein- fahrenden einen sicheren Ankerplatz gewährleisten, so hat die siebentürmige Vernunft der Jünglinge den Hafen der Gottesfurcht befestigt und die zügellosen Leiden- schaften gebändigt. Im heiligen Chor der Frömmigkeit ermunterten sie sich gegenseitig folgendermassen : „Lasst uns, ihr Brüder, für das Gesetz brüderlich sterben. Eifern wir den drei Jünglingen in Assyrien nach, die sich gleichfalls aus dem feurigen Ofen nichts machten. Fürchten wir uns nicht, den Beweis für unsere Frömmig- keit zu liefern!“ Der eine rief: „Bleibe mutig, mein Bruder“, der andere: „Halte wacker stand“; ein Dritter wies auf die Ereignisse der Vorzeit hin : „Erinnert euch, woher ihr stammt und wer der Vater war, von dessen Hand Isaak um der Frömmigkeit willen geschlachtet werden sollte.“ Alle aber schauten strahlenden Antlitzes und mit hohem Mut erfüllt einander an und sprachen ; „Von ganzem Herzen wollen wir uns weihen Gott dem 238 Des F1&T1U9 Josephus kleinere Schriften. Herrn, dem Schöpfer der Seelen, und mit unseren Leibern einen Schutzwall um das Gesetz bilden. Fürchtet euch nicht vor dem, der scheinbar unsere Körper tötet; denn wer Gottes Gebot Übertritt, dessen Seele setzt sich der grossen Gefahr aus, in ewiger Qual verharren zu müssen. Waffnen wir uns also mit der die Triebe beherrschenden göttlichen Vernunft. So nämlich werden, wenn wir aus dem Leben geschieden sind, Abraham, Isaak und Jakob uns in ihren Schoss aufnehmen und alle Väter uns preisen.“ Und jedem einzelnen Bruder, der von ihnen weggerissen wurde, riefen die anderen zu: „Beschäme uns nicht, Bruder, und täusche nicht unsere schon dahin- gerafften Brüder. Ihr kennt ja recht gut die Ureachen der brüderlichen Liebe, welche die all weise Vorsehung Gottes den Kindern durch die Väter zuteil werden liess und durch den Mutterleib einpflanzte: in letzterem wohnen die Brüder gleich lange Zeit; sie werden in derselben Zeit gestaltet, durch dasselbe Blut ernährt, durch die- selbe Lebenskraft vollendet, nach Ablauf derselbeh Zeit geboren, und sie schöpfen ihre Milch aus denselben Quellen , von denen die einander liebenden Seelen an der gleichen Mutterbrust getränkt werden ; auch gewinnen sie gar sehr durch die gemeinsame Erziehung, das täg- liche Beisammensein, die sonstige Bildung und Übung im Gesetze Gottes.“ Indem die sieben Brüder in dieser Weise ihre gegenseitige Zuneigung betonten, schlossen sie sich immer fester aneinander an. Denn nachdem sie unter dem gleichen Gesetz erzogen waren, die gleichen Tugenden geübt hatten und in Gerechtigkeit mitsammen gross geworden waren, liebten sie sich jetzt nur um so mehr. Der Wetteifer in der Tugend erhöhte ja ihre gegenseitige Übereinstimmung, weil einer des anderen Liebe durch Frömmigkeit noch stärker entfachte. Aber obwohl ihr Zusammenleben und ihre Gewöhnung an die Tugend den Trieb zur Bruderliebe selbst über die Natur hinaus bei ihnen vermehrte, hielten doch die Übrig- bleibenden um der Frömmigkeit willen den Anblick ihrer gequälten und bis zum Tode gemarterten Brüder Ueber die Makkabäer. 209 aus. Ja, sie drängten sich sogar zur Folterung, sodass sie nicht allein die Schmerzen verachteten, sondern auch die Aufwallungen brüderlicher Liebe bemeisterten. 14. O Vernunft, königlicher als Könige, freier als Freie! O heilige, harmonische Übereinstimmung der sieben Brüder in der Frömmigkeit ! Niemand von ihnen zitterte, niemand bebte vor dem Gang zum Tode, sondern sie alle eilten zur Marterbank, als ob sie den Weg zur Unsterblichkeit einschlügen. Denn wie Hände und Füsse übereinstimmend nach den Befehlen der Seele sich be- wegen, so wurden jene heiligen Knaben durch die un- vergängliche Frömmigkeit wie durch eine einzige Seele angetrieben, für ihre religiöse Überzeugung zu sterben.' O heilige Siebenzahl gleichgesinnter Brüder ! Denn wie die Schöpfungstage um die Sieben, so bewegten sich die Knaben im Kreise um die Frömmigkeit 1 und lösten so die Furcht vor dem Martertode. Wir freilich schaudern, wenn wir die Misshandlung jener Jünglinge erfahren; sie aber, die nicht allein von der Peinigung hörten, sondern auch die augenblickliche Ausführung der Drohung sahen, priesen sich glücklich, da sie wegen ihrer Stand- haftigkeit im Ertragen von Leiden, insbesondere von Feuerqualen, Bewunderung erregten. Und was könnte es auch schmerzlicheres geben als Flamraenpein? Denn des Feuers Macht, scharf und schneidend, vernichtete ihre Leiber im nu. Und doch kann es nicht wunder nehmen, dass die Vernunft jener Männer in den Qualen die Oberhand behielt, wenn sogar der Geist einer Frau sich über viel mannigfaltigere Schmerzen hinwegsetzte. Ertrug doch die Mutter der sieben Jünglinge die jedem einzelnen ihrer Kinder auferlegte Pein. Richtet euer 1 Nach dem Vorschläge Freudenthals vertausche ich euozßetav und eßöojxdSa, wodurch sich für die überaus schwierige Stelle obiger Sinn ergiebt. Die Schöpfungstage kreisen ewig um die Sieben, d. li. sie folgen aufeinander in immer gleichen Kreisen von sieben Tagen, deren Mittelpunkt der siebente Tag ist, und so bewegten sich die sieben Jünglinge um die Frömmigkeit Als ihren Mittelpunkt (s. Freudenthal, a. a. O. S. 164 f.). 240 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. Augenmerk darauf , wie verbreitet die innige Liebe zu den Kindern ist, die alle Geschöpfe zum Mitgefühl mit ihrer Leibesfrucht veranlasst: denn auch die unver- nünftigen Tiere hegen die nämliche Sorgfalt und Zu- neigung für ihre Jungen, wie die Menschen. Zahme Vögel beschützen ihre Brut, indem sie sich auf den Dächern der Häuser ansiedeln ; andere gebären , nach- dem sie sich auf Bergeshöhen oder in den Abhängen der Schluchten oder in Höhlen und Wipfeln der Bäume ein- genistet haben, und suchen jeden Näherkommenden ab- zuwehren. Ist ihnen aber das letztere nicht möglich, so umflattern sie die Jungen in schmerzlicher Sorge, rufen mit der ihnen eigentümlichen Stimme den Bedrängten zu und trachten ihnen auf diese Weise nach Möglich- keit zu helfen. Doch was bedarf es, um das Vor- handensein elterlicher Zuneigung zu den Sprösslingen nachzuweisen , der Beispiele von weniger intelligenten 1 Tieren? Schaut auf die Bienen, wie sie um die Zeit der Honigbereitung jeden Störenfried angreifeu, mit ihrem Stachel wie mit einem Schwerte diejenigen verwunden, welche sich der Brut nähern, und bis zum Tode kämpfen. Aber die an edler Gesinnung dem Abraham gleichende Mutter der Jünglinge liess sich von dem Mitgefühl mit ihren Söhnen nicht beugen. 15. Ja, die Vernunft ist Herrin über die Leiden- schaften, und die Gottesfurcht jener Mutter überwog die Liebe zu den Kindern. Sie konnte wählen zwischen der Frömmigkeit und der zeitlichen Rettung ihrer sieben Söhne gemäss dem Versprechen des Tyrannen, und sie zog die Frömmigkeit vor, die zum ewigen Leben führt im Gehorsam gegen Gott. O, wie soll ich die zärtlichen Gefühle der Eltern für ihre Kinder schildern? Diese Gefühle prägen dem kleinen Wesen des Kindes auf wunderbare Weise die Gleichheit der Seele und der Ge- stalt ein, hauptsächlich deshalb, weil die Mütter grösseres Mitgefühl mit den Kindern hegen wie die Väter. Denn 1 Diese Bedeutung hat hier offenbar das Wort aXoyos. Ueber die Makkabäer. 241 weil die Mütter weit schwächere und liebebedürftigere Seelen haben, ist ihre Zuneigung zu den Kindern um so grösser. Mehr als alle anderen Mütter aber liebte die Mutter jener sieben Jünglinge ihre Kinder, da die sieben Schwangerschaften ihr die Liebe zu denselben notwendigerweise einpflanzen und die vielen Schmerzen, die sie um jeden einzelnen erduldet hatte, ihr be- sonderes Mitgefühl für die Söhne wecken mussten — und doch schätzte sie aus Gottesfurcht die zeitliche Kettung der Kinder gering. Übrigens bewirkten die vortrefflichen Eigenschaften und besonders die Gesetzes- treue der Jünglinge, dass die Liebe der Mutter zu ihnen sich noch steigerte. Denn sie waren gerecht, mässig, edelmütig, liebevoll gegeneinander, und ihrer Mutter so zugethan, dass sie sogar bis zum Tode in der Beob- achtung des Gesetzes ihr gehorchten. Aber obwohl sich so manches ereignete, das bei der liebenden Mutter Mitgefühl erregen musste, konnten doch die verschieden- artigsten Martern der sämtlichen Jünglinge ihre Ver- nunft vom rechten Wege nicht ablenken ; vielmehr er- mahnte sie jeden einzelnen der Söhne und dann auch alle miteinander, für die Frömmigkeit in den Tod zu gehen. O heilige Natur, Bande des Blutes, sinnige Zärt- ligkeit, edle Erziehung, unbezwingliche Mutterliebe! Einen ihrer Söhne nach dem anderen sah die Mutter den Flammen preisgegeben, und doch blieb sie stand- haft um des Glaubens willen; sie sah, wie das Fleisch ihrer Kinder im Feuer schmolz, wie die Zehen und Finger zuckend am Boden lagen, wie die Muskeln vom Nacken bis zum Kinn gleich einer Maske zutage traten. Jetzt, arme Mutter, erfuhrst du ihretwegen grössere Schmerzen, als du bei ihrer Geburt ausgestanden hattest. Du bist das einzige Weib, das die vollendete Frömmigkeit zur Welt brachte! Dich erschütterte nicht der sterbende Erstgeborene, nicht der Zweite, der in vseinen Martern kläglich dich anschaute, nicht der Dritte, als er seinen Geist aufgab; dich machte es nicht wankend, als du sehen musstest, wie sie der Reihe nach in ihren Josepbus, KlelnörbS^tÄ - »»«^. 242 Des tflavius Josephus kleinere Schriften. Qualen die Henker anstarrten und ihre verfallenen Züge den nahen Tod verkündeten. Nicht jammertest du, als du das Fleisch deiner Kinder versengt, ihre abge- schnittenen Hände und Köpfe auf ein anderliegend, eine Leiche über die andere fallend erblicktest; und als du den Platz mit den Überresten deiner gefolterten Söhne be- deckt sahst, vergossest du keine Thräne. Die Gesänge der Sirenen, die Stimmen der Schwäne machen auf die Zuhörer keinen solchen Eindruck, wie die Rufe der gepeinigten Kinder auf die Mutter. Wie oft und wie sehr wurde da, als die Söhne mit Rad und Feuer ge- martert wurden, auch die Mutter gequält! Aber die fromme Vernunft stärkte mitten in den Gemütsbewegungen ihr Herz und bewog sie, die Mutterliebe für jetzt zu unterdrücken, obwohl sie den Tod ihrer sieben Kinder und die grässliche Mannigfaltigkeit der Martern mit ansehen musste. Das alles überwand die edle Mutter im Vertrauen auf Gott. Und wenn sie auch in ihrer Seele wie zur Ratssitzung vereint eine Anzahl mächtiger Räte hatte, die Natur, die Verwandtschaft, die Mutter- liebe, die Folterung der Söhne, und dabei über zwei Beschlüsse hinsichtlich ihrer Kinder verfügte, einen tod- bringenden und einen rettenden, so stimmte sie dennoch nicht für die zeitliche Rettung ihrer Söhne, sondern gedachte des gottesfürchtigen Mutes, den ihr Vater Abraham be- wiesen hatte. O Mutter des Volkes, Rächerin des Ge- setzes, Beschützerin der Frömmigkeit, preisgekrönte Siegerin im Kampf der Gefühle ; du Weib, starkmütiger als Männer, tapferer und ausdauernder als Helden ! Denn wie die Arche des Noe bei der allgemeinen Über- schwemmung, die Welt in sich tragend, mutig dem An- prall der Wogen standhielt, so hast auch du, Wächterin des Gesetzes, obwohl rings von der Brandung der Leiden- schaften umtost und von heftigen Winden, den Martern der Söhne, geschüttelt, aus Gottesfurcht wacker dem Sturme getrotzt. 16 . Wenn nun sogar ein Weib und dazu noch eine bejahrte Mutter von sieben Kindern den Anblick ihrer Go gle Ueber die Makkabker. 243 zu Tode gemarterten Söhne ertrug, dann ist gewiss die fromme Vernunft Beherrcherin der Triebe. Ich habe also gezeigt, dass nicht bloss Männer über die Affekte erhaben waren, sondern auch eine Frau die grössten Qualen für nichts achten konnte. Waren doch die um Daniel lagernden Löwen 1 nicht so wild, und der für Misael entfachte Ofen 2 nicht so schrecklich glühend, wie die natürliche Liebe zu den Kindern jene Heldin verzehrte, die ihre sieben Söhne so vielfach gemartert sah. Aber durch dH fromme Vernunft erstickte die Mutter ihre so zahlreichen und heftigen Gemütsbewegungen. Es muss auch beachtet werden, dass, wenn die Frau zaghaft gewesen wäre, sie als Mutter ihre Kinder wenigstens bejammert haben würde. Vielleicht hätte sie dann so gesprochen: „O ich Elende und tief Unglückliche, die ich sieben Söhne geboren habe und nun die Mutter von keinem bin! Zwecklos die sieben Empfängnisse, unnütz die sieben Schwangerschaften , vergeblich die mühsame Ernährung, unheilbringend die milchspendende Brust! Umsonst ertrug ich euretwegen, ihr Kinder, grosse Schmerzen und die noch schwereren Sorgen der Erziehung. Denn ach, von meinen Söhnen sind die einen unvermählt, die anderen nutzlos verheiratet. Ich soll eure Kinder nicht sehen, nicht ,als Grossmutter glücklich gepriesen werden. Fürwahr, beklagenswert bin ich, die Mutter so vieler und edler Söhne, da ich jetzt verlassen und allein stehe! Und wenn ich gestorben bin, werde ich keinen Sohn haben, der mich begräbt!“ Aber in derartigen Wehklagen erging sich die heilige und gottesfürchtige Mutter keineswegs; auch verleidete sie so wenig einem ihrer Söhne den Gang zum Tode, dass sie sich sogar der Trauer über die Gestorbenen ent- hielt Vielmehr ermähnte sie, als wäre ihr Geist von Erz und als leitete sie die Schar ihrer Kinder zur Un- sterblichkeit, die Teuren flehentlich, für ihre religiöse Überzeugung den Tod auf sich zu nehmen. 1 Daniel 6, W ff. 3 Daniel 3. 1 «* 244 Des Flavius Josephns kleinere Schriften. Ja, diese Mutter war ihrer Frömmigkeit wegen eine erprobte Gottesstreiterin, sie besiegte mit der Ausdauer des Weibes den Tyrannen, sie wurde in Tbat und Wort kräftiger als ein Mann erfunden! Denn als du mit deinen Kindern ergriffen wurdest, standest du im Anblick der Marter Eleazars und riefst deinen Söhnen in hebrä- ischer Sprache zu: „Meine Kinder, das ist ein edler Kampf; zu ihm seid ihr berufen, um für euer Volk Zeugnis zu geben; streitet deshalb mutig für das väter- liche Gesetz. Es wäre ja schimpflich, wenn dieser Alte um der Frömmigkeit willen die Qualen aushielte, ihr aber als starke Jünglinge davor zurückbebtet. Erinnert euch, dass ihr durch Gottes Gnade die Welt betreten habt und euch des Lebens erfreuen durftet Sonach müsst ihr eben um Gottes willen jede Pein ertragen. Für ihn eilte auch unser Vater Abraham seinen Sohn Isaak zu schlachten, der eines Volkes Ahnherr werden sollte, und Isaak erschrak nicht, als er die schwert- bewaffnete Hand des Vaters auf sich niederzucken sah. Daniel der Gerechte ward den Löwen vorgeworfen, Ananias, Azarias und Misael wurden in den feurigen Ofen geschleudert — und sie harrten aus um Gottes willen. Und ihr, die ihr das gleiche Gottvertrauen hegt, wollet nicht betrübt sein; denn es ist unvernünftig, dass frommsinnige Menschen den Leiden erliegen sollten.“ Solche Ermahnungen richtete die Mutter an jeden ihrer Söhne und beschwor sie, lieber zu sterben als den Be- fehl Gottes zu übertreten, zumal sie wüssten, dass alle, die um Gottes willen gestorben seien, in Gott weiter lebten, wie Abrabam, Isaak und Jakob und alle anderen Patriarchen. 17. Einige von den Kriegsknechten erzählten übrigens, die Mutter habe, als auch sie zum Tode geführt werden sollte, sich selbst in die Flammen gestürzt, damit niemand ihren Leib berühre. 1 O edle Frau, die in Gemeinschaft 1 Auch der Talmud (Abodah Sarah 18, 1) berichtet, die Mutter habe sich selbst getötot, während das 2. Makkabäerhuch (7, 41) nur kurz sagt: Zuletzt starb auch die Mutter der Jünglinge. Ueber die Makkabäer. 245 mit ihren sieben Söhnen die Gewalt des Tyrannen brach, seine verruchten Anschläge zunichte machte und echten Glaubensmut bewies! Wie ein Dach auf Säulen, so hast du, auf deine Kinder gestützt und ohne zu wanken, den Stürmen der Folterung widerstanden. Sei also voll Zuversicht, heilige Mutter, da du für deine Ausdauer eine feste Hoffnung bei Gott hast! Nicht steht so erhaben der Mond mit den Sternen am Himmel, wie du deshalb, weil du deine sternengleichen Söhne strahlend zur Frömmigkeit geführt, bei Gott hohe Ehre geniessest und mit ihnen im Himmel ewig lebst . 1 Vom Erzval er Abraham stammten ja die Deinen ab. Könnten wir die Geschichte dieser Frömmigkeit in einem Gemälde darstellen, wie würden wir da bei dem Anblick der Mutter schaudern, die von dem peinvollen Bekennertod ihrer sieben Kinder nicht erschüttert wird! Und recht wäre es gewesen, dem Volke zum Gedächtnis auf das Grabmal die Inschrift zu setzen: HIER RUHEN EIN GREISER PRIESTER, EINE MATRONE UND SIEBEN JUENG- LINGE, GETOETET DURCH EINES TY- RANNEN GEWALT, DER DIE VER- FASSUNG DER HEBRAEER ZERSTOE- REN WOLLTE. SIE HABEN IHR VOLK VERTEIDIGT, INDEM SIE AUF GOTT SCHAUTEN UND BIS IN DEN TOD ALLE MARTERN ERTRUGEN. In der That war der Kampf, den sie ausfochten, ein göttlicher. Die nach der Standhaftigkeit urteilende Ver- nunft war Preisrichterin , der Gewinn unvergängliches, ewiges Leben. Als Vorkämpfer trat Eleazar auf; um die Wette mit ihm rang die Mutter der sieben Jüng- 1 Wörtlich: zum Stern geworden bist (ri4ri0-a,,ic r v